Wahlen in Israel: Um an der Macht zu bleiben, stützt sich Netanjahu auf die extreme Rechte

Am 9. April wird in Israel ein neues Parlament gewählt. Benjamin Netanjahu, der derzeitige Premierminister der nationalistischen Likud-Partei, muss sich Korruptionsvorwürfen stellen. Um an der Macht zu bleiben, braucht Netanjahu die Unterstützung mehrerer rechtsextremer Parteien.

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Gleichzeitig liegt Benny Gantz' Kahol Lavan, ein gemäßigteres und liberaleres, aber dennoch nationalistisches Bündnis, bei den Umfragen an der Spitze.

Benjamin Netanjahu war insgesamt 14 Jahre lang israelischer Premierminister. Nach seinem Amtsantritt als Premierminister im Jahr 1996 bestand sein erstes großes Projekt darin, brutale Einschnitte im israelischen Sozialstaat vorzunehmen und neoliberale Sparmaßnahmen durchzuführen. Dies half den israelischen Kapitalisten, zusätzliche Gewinne zu erzielen, schuf aber gleichzeitig soziale Spannungen unter der Oberfläche. Heute leben 24 Prozent der israelischen Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze. Die Lebensmittelpreise und Mieten sind hoch, während die Löhne für die überwiegende Mehrheit der Beschäftigten niedrig sind. Während Israel versucht, das Bild einer florierenden Start-up- und Hightech-Wirtschaft zu vermitteln, gehört es zu den OECD-Ländern in denen die soziale Ungleichheit besonders hoch ist.

Diese sozialen Spannungen führten 2011 zu einem Ausbruch von Wut unter der israelischen Arbeiterklasse, als Hunderttausende, inspiriert durch den arabischen Frühling, auf die Straßen von Tel Aviv, Haifa und Jerusalem gingen, um gegen die hohen Lebenshaltungskosten und die Korruption zu protestieren. Aber die Proteste endeten in „Regierungskommissionen“, die die Forderungen der Bevölkerung „berücksichtigen“ und „Lösungen finden“ sollten. Kein Problem wurde dadurch gelöst.

Jedes Mal, wenn die Frage der sozialen Ungerechtigkeit die politische Stabilität in Israel bedroht, versuchen die israelische herrschende Klasse und ihre politischen Vertreter, die Aufmerksamkeit von diesem Thema abzulenken, indem sie sich dem israelischen Nationalismus zuwenden. Der Zionismus und das Belagerungsszenario, dass Israel von allen Nachbarmächten bedroht wird, insbesondere vom Iran, der Hisbollah und den Palästinensern. Dies dient dazu, Klassengrenzen zu verwischen und die gesamte jüdisch-israelische Bevölkerung hinter dem Banner des Zionismus zu versammeln. Was wir im Ersten Weltkrieg aus Deutschland als „Burgfriedenspolitik“ kennen, ist der ständige Zustand in Israel. Nationalismus, Rassismus sowie die Unterdrückung der Palästinenser sind daher für die Stabilisierung des israelischen Kapitalismus von wesentlicher Bedeutung. Der Kampf gegen Rassismus und die Unterdrückung der palästinensischen Bevölkerung ist daher der Schlüssel zur sozialen Frage in Israel.

Die Furcht vor den „bösen Arabern“, dem Iran und den Palästinensern war eigentlich die propagandistische Grundlage von Netanjahus Macht und Ruhm als Politiker. „Ich mag Netanjahu nicht, aber er ist der Einzige, der für unsere Sicherheit sorgen kann“, ist ein Satz, den ich oft von Israelis höre. Netanjahu zeigte auch, dass es beim Zionismus nicht darum geht, den Antisemitismus zu bekämpfen oder die Lehren aus dem industriellen Massenmord an sechs Millionen Juden im Holocaust zu ziehen. Um die Position Israels in den internationalen Beziehungen zu stärken, unterzeichnete er Abkommen mit Polen und Ungarn und versicherte den beiden Ländern, dass diese überhaupt nicht als Täter in den Holocaust verwickelt gewesen seien. Das ist nicht nur historisch falsch, sondern kommt zu einer Zeit, in der Zehntausende in Polen und Ungarn bei antisemitischen, ultra-nationalistischen Demonstrationen mitmarschiert sind. Für Netanjahu ist der Holocaust nichts anderes als politisches Kapital, das bewies er u. a., als er eine Rede vor dem Zionistischen Weltkongress im Jahr 2015 hielt und behauptete, dass es nicht Hitler, sondern der Großmufti von Jerusalem war, der die Idee hatte, alle europäischen Juden zu ermorden.

Netanjahu und die extreme Rechte

Um an der Macht zu bleiben, hat sich Netanjahu immer mehr auf die extreme Rechte gestützt. In den letzten Jahren hat er der rechtsextremen Siedlerbewegung im palästinensischen Westjordanland und in Ostjerusalem nicht nur Zugeständnisse gemacht, sondern sie aktiv unterstützt. Er nahm Rechtsextremisten wie den ehemaligen Verteidigungsminister Lieberman in seine Regierung auf und verschärfte seine Rhetorik gegenüber den Palästinensern und dem Iran. Im vergangenen Jahr verabschiedete Netanjahu mit seiner Mehrheit in der Knesset - dem israelischen Parlament - das rassistische Nationalstaatsgesetz, erklärte Israel zum „jüdischen Staat“ und machte alle nichtjüdischen Bürger offiziell zu Bürgern zweiter Klasse. Alle diese Maßnahmen fanden Unterstützung von rechts, provozierten aber auch Spannungen in der arabischen Bevölkerung und der Linken in Israel.

Jetzt, kurz vor den Wahlen, wird Netanjahu wegen Korruption angeklagt. In den Umfragen liegt seine Likud-Partei hinter Gantz' Kahol Lavan an zweiter Stelle. Daraufhin schmiedete Netanjahu ein Bündnis mit Parteien der extremen Rechten, u. a. mit der rechtsnationalistischen HaBajit haJehudi (Jewish Home) und der Otzma Yehudit, der Nachfolgerin der rechtsextremen Kach-Partei, die 1994 wegen der Unterstützung von Terroranschlägen gegen die arabische Bevölkerung verboten wurde. Im vergangenen Jahr warnte Michael Ben-Ari, der Vorsitzende der Otzma Yehudit, die in Israel lebende arabische Bevölkerung:

"Wenn du gegen einen Juden sprichst, wirst du nicht am Leben bleiben.... Du wirst nicht abgeschoben oder dir wird deine Staatsbürgerschaft nicht entzogen. Du wirst nicht mehr am Leben bleiben! Du wirst vor ein Erschießungskommando gestellt, niedergeschossen - das ist es, was Araber verstehen."

Als Gegenleistung für seine Unterstützung als Premierminister versprach Netanjahu den Ultrarechten Ministerposten in seiner zukünftigen Regierung.

Trump und Netanjahu

Netanjahus Rechtsruck wird von der US-Regierung seit Beginn der Präsidentschaft von Trump entschieden unterstützt. In den letzten Jahren ist die Position des US-Imperialismus im Nahen Osten immer fragiler geworden. Die USA konnten nicht mehr wie bisher über die Region herrschen. Ein Abkommen mit dem Iran war notwendig, um es den USA zu ermöglichen, ihr Engagement im Irak zu reduzieren. Der ehemalige US-Präsident Obama verfolgte diese Linie auf Kosten der Gefährdung der Beziehungen zu den traditionellen US-Verbündeten in der Region. Nach einem ähnlichen Muster wie bei Nordkorea und dem Handelskrieg mit China, als Trump an die Macht kam, drehte er den Spieß um und stieg aus dem Atomabkommen mit dem Iran aus. Dann wandte er sich mit der gesamten politischen, wirtschaftlichen, diplomatischen und militärischen Macht der USA der Festigung des Bündnisses mit Israel und den Saudis zu.

Mit der Annullierung des Iran-Deals hat Trump das größte Hindernis zwischen den USA und ihren natürlichen Verbündeten in der Region, Saudi-Arabien und Israel, beseitigt. Er hofft nun, dass er mit ihrer Hilfe den wachsenden iranischen und russischen Einfluss eindämmen kann. Trump ist eindeutig bereit, der palästinensischen Bevölkerung noch mehr Leid zuzufügen, um Netanjahu zu entschädigen. Er hofft, die palästinensische Führung so stark zu schwächen, dass sie gezwungen sein wird, weitere Zugeständnisse an den israelischen Staat zu machen.

Die USA kürzten die gesamte finanzielle Unterstützung für UNWRA, das 1949 gegründete UN-Hilfswerk, das für die Bereitstellung humanitärer Hilfe für palästinensische Flüchtlinge zuständig ist. Sie haben ihre Botschaft nach Jerusalem verlegt und unterstützen die kolonialistische Siedlungspolitik von Netanjahu vorbehaltlos.

Das wahrscheinlichste Ergebnis ist jedoch, dass dies nach hinten losgeht. Im Februar kündigte Netanjahu an, dass Israel einen Teil der Einnahmen, die Israel im Namen der Palästinensischen Autonomiebehörde einzieht, zurückhalten wird, was zu einem Bruch mit dem Präsidenten der Autonomiebehörde Abbas führt, dessen Zusammenarbeit Israel zur Durchsetzung von Sicherheitskontrollen für die palästinensische Bevölkerung im Westjordanland benötigt. Dies ist ein gefährliches Spiel, das Netanjahu für seine Wahlberechnungen spielt. Die Situation der palästinensischen Massen verschlechtert sich und die palästinensische Jugend hat eine beeindruckende Entschlossenheit gezeigt, sich zu wehren. Sie protestieren nicht nur gegen die israelische Besetzung, sondern immer mehr Palästinenser erkennen auch die reaktionäre Rolle, die ihre Führung spielt. Erst vor wenigen Tagen gab es im Gazastreifen Proteste gegen die Hamas-Regierung wegen der Verschlechterung der Lebensbedingungen. Während Demonstranten zu einem Generalstreik aufriefen, ging das Hamas-Regime mit massiver Polizeigewalt gegen sie vor.

Ein Riss in der herrschenden Klasse

Ein wichtiger Teil der israelischen herrschenden Klasse beobachtet dies mit großer Sorge. Ihr ist bewusst, wie explosiv die sozialen Spannungen in Israel/Palästina sind, die sich aus der Besetzung und Unterdrückung der Palästinenser und der Verarmung der jüdischen Arbeiterklasse ergeben. Diese Teile der Bourgeoisie befürchten, dass Netanjahu es zu weit treibt, was zu einer sozialen Explosion führen kann, die das israelische Regime nachhaltig erschüttern würde.

Deshalb wurden die Korruptionsvorwürfe gegen Netanjahu der Öffentlichkeit mitgeteilt und Gantz' Partei fand viel Sympathie und Unterstützung unter der israelischen Bourgeoisie. Gantz, ein ehemaliger General und Stabschef der israelischen Streitkräfte, stellt sich als die vernünftigere und moderatere Alternative zu Netanjahu dar. Gantz ist nicht der einzige ehemalige General auf seiner Liste, Kahol Lavan. Zwei weitere Kandidaten waren ebenfalls Generäle der IDF. Das ist kein Zufall. Es besteht zwar kein Zweifel daran, dass die führenden Mitglieder der Armee zu den Kernanliegen der Verteidigungspolitik und der Ideologie des Zionismus stehen, aber sie waren es, die in der Vergangenheit hitzige Politiker davon abgehalten haben, den Konflikt mit den Palästinensern oder dem Iran unnötig zu eskalieren. Zum Beispiel haben die Armeeführer Netanjahu in den letzten zehn Jahren mindestens zweimal davon abgehalten, den Iran anzugreifen, wie die Zeitung Haaretz feststellte.

Benny Gantz ist der Wunschkandidat der „zentristischen“ Bourgeoisie, aber gleichzeitig holt er sich auch Unterstützung aus der „Mittelschicht“. Liberale kleinbürgerliche und gut bezahlte Angestellte können sich mit Netanjahus rechter Politik immer weniger anfreunden.

HaAvoda und Meretz

In den letzten Jahren hat die ehemalige Arbeiterpartei HaAvoda in den Augen der Arbeiterklasse jegliche Glaubwürdigkeit verloren. Sie weigerte sich, ernsthaft gegen die sich verschlechternden sozialen Bedingungen der israelischen Arbeiterklasse vorzugehen. Außerdem war sie seit der Gründung Israels immer das „linke“ Standbein der zionistischen herrschenden Klasse, das vollständig in den zionistischen Staat eingebettet ist. Praktisch alle Premierminister bis Ende der 70er Jahre stammten aus der Arbeitspartei. Menschen wie Rabin, der während der Intifada den Befehl gab, die Arme palästinensischer Kinder zu brechen, und Barak waren HaAvoda Premierminister. Tatsächlich hat die Partei seit ihrer Gründung den Zionismus und die kolonialistische Siedlungspolitik in ihre eigenen Grundlagen verankert. Die Unterstützung der Arbeitspartei schwand und die nationalistische Radikalisierung der jüdischen Israelis wuchs, als die Illusionen in die "Zweistaatenlösung" schwanden. Die HaAvoda hat der Arbeiterklasse nichts zu bieten. Unterschiede zwischen der HaAvoda und Kahol Lavan sind praktisch nicht vorhanden, so dass die Menschen sich der größeren der beiden Parteien zuwenden.

Die Meretz, eine Partei, die heute am besten mit den Grünen in den meisten europäischen Ländern zu vergleichen ist, hat es geschafft, die Unterstützung liberaler kleinbürgerlicher und wohlhabender Angestellter zu gewinnen, indem sie Netanjahu für Korruption und rechte Politik kritisierte und die Bedeutung der Bekämpfung des Klimawandels und der Unterstützung der Rechte von Minderheiten betonte. Dabei spricht sie aber nicht die Probleme, mit denen die Arbeiterklasse tagtäglich konfrontiert ist, an und ist nicht in der Lage, den arbeitenden Menschen einen Weg aus der Armut zu bieten.

Die Chadash und die arabischen Parteien

Bei den letzten Wahlen kandidierte die linke Chadash mit drei arabischen Parteien (liberal, nationalistisch und islamistisch) auf einer gemeinsamen Liste, die Vereinigte Arabische Liste. Diese Allianz wurde kürzlich aufgelöst. Jetzt kandidiert die Chadash, ein Bündnis hauptsächlich um die Kommunistische Partei herum, zusammen mit der liberal-arabischen Partei auf einer gemeinsamen Liste. Die beiden anderen arabischen Parteien bilden eine eigene Liste.

Im Laufe der Jahre war die Chadash die einzige Partei, die nicht nur eine klare Position gegen die Besetzung einnahm, sondern auch die soziale Ungerechtigkeit in den Mittelpunkt ihrer Politik stellte. Ihre Liste liegt an dritter Stelle in den Umfragen.

Die öffentliche Meinung und das israelische Establishment versuchen, die Chadash als terroristenfreundlich und als Verräter zu diffamieren. Erst vor einer Woche hat der Wahlausschuss Chadash und die anderen arabischen Parteien von der Wahl ausgeschlossen, nachdem eine Petition der rechtsextremen Otzma Yehudit eingereicht wurde. Das oberste Gericht muss nun die endgültige Entscheidung treffen. Dies ist ein völlig undemokratischer Schritt, der darauf abzielt, der arabischen Bevölkerung die politische Repräsentation und der israelischen Bevölkerung im Allgemeinen jede linke Alternative zu nehmen.

Die Spannungen nehmen zu

Vor einigen Monaten hätte niemand ernsthaft daran gezweifelt, dass Netanjahu die kommenden Wahlen gewinnen würde. Jetzt sieht es etwas anders aus. Es ist nicht ausgeschlossen, dass Gantz der nächste Premierminister wird. Obwohl Gantz weder das "kleinere Übel" ist noch etwas an der Unterdrückung der Palästinenser oder der wachsenden sozialen Ungerechtigkeit ändern wird, würde dies dennoch einen politischen Wandel bedeuten. Das letzte Jahr war politisch ein außergewöhnliches Jahr. Eine Reihe großer Protestbewegungen fegten durch Israel, angefangen bei einem großen Marsch für LGBT-Rechte, den Massenprotesten gegen das Nationalstaatsgesetz, einer großen Protestbewegung für Flüchtlingsrechte und einer Reihe von Protesten, darunter eine große Demonstration in Tel Aviv gegen die Unterdrückung von Frauen.

All dies zeigt, dass Israel auf ein anderes Szenario der sozialen Instabilität und Krise zusteuert. Die Gesetze der Dialektik und des Klassenkampfes hören nicht an den Grenzen Israels auf. Die sozialen Spannungen unter der Oberfläche bauen sich auf und werden früher oder später in einer Protestbewegung der Arbeiterklasse ausbrechen, wie derjenigen im Jahr 2011, aber auf einer höheren Ebene.

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