Nachdem die wichtigsten Oppositionsparteien in Venezuela beschlossen haben, die Kommunalwahlen am 10. Dezember zu boykottieren, öffnet das den Raum für KandidatInnen, die den revolutionären Flügel der Bolivarischen Bewegung repräsentieren.
Diese kandidieren gegen die offiziellen handverlesenen KandidatInnen der regierenden PSUV (Vereinigte Sozialistische Partei Venezuelas).
Die Bürokratie und der Staat haben mit allerlei Tricks darauf reagiert, um diese an ihrer Kandidatur zu hindern. Die Kampagnen von Eduardo Samán in Caracas und Angel Prado in Simón Palanas (Bundesstaat Lara) haben die schwelenden Widersprüche innerhalb der chavistischen Bewegung zum Vorschein gebracht.
Momentan befindet sich die proimperialistische rechte Opposition in Venezuela in einem desolaten Zustand. Die Wahlen zur Verfassungsgebenden Versammlung am 30. Juli, die sie nicht verhindern konnte, und die eine hohen Wahlbeteiligung verzeichneten, bedeuteten das Ende ihres vier Monate langen Versuches, die Regierung von Präsident Maduro mit Gewalt zu stürzen. Die Regionalwahlen vom 15. Oktober verschärften die Spaltung innerhalb der Opposition, als einige Parteien zum Boykott aufriefen, andere wiederum teilnahmen. Der Sieg der PSUV in 18 von 25 Regionen sorgte für Unruhe unter den Anhängern der Opposition. Einige Parteien bezichtigten die Regierung der Wahlfälschung, während andere die von ihnen gewonnenen Regierungsämter annahmen.
Es war in erster Linie nicht eine Zunahme der Unterstützung der Regierungspolitik, die wir beobachten konnten, sondern vielmehr die Demoralisierung der oppositionellen Kräfte mit Hilfe eines gesunden Klasseninstinkts der ArbeiterInnen und der Armen, die entschlossen waren, die Opposition an der Wahlurne aufzuhalten. Die wirtschaftliche Lage bleibt katastrophal und es gibt starke Kritik an der Regierung und der Verfassungsgebenden Versammlung, die über keine klare und effektive Strategie verfügen, diese in den Griff zu bekommen. Die Hyperinflation schmälert weiterhin die Löhne, die Entwertung der Währung wird fortgesetzt und die Regierung wurde gezwungen, Gespräche mit den Gläubigern über die Restrukturierung und Refinanzierung der Staatsschulden und die der staatseigenen Ölgesellschaft PDVSA zu führen. Erschwerend hinzu kommen die von Trump verhängten Finanzsanktionen, die darauf abzielen, die venezolanische Wirtschaft zu strangulieren, indem man ihr den Zugang zu internationalen Finanzierungsquellen verweigert.
In diesem Zusammenhang haben die Kommunalwahlen die Debatten innerhalb der Bolivarischen Bewegung neu eröffnet, die wegen der Notwendigkeit des Zusammenhaltens gegen die bösartigen und brutalen Angriffe der Opposition zumeist unterdrückt worden waren.
Die Spannungen zwischen dem revolutionären linken Flügel der chavistischen Bewegung und dem bürokratisch-reformistischen Flügel, der die PSUV dominiert, sowie dem Staatsapparat sind offen ausgebrochen. In einer Anzahl von Kommunen*, besonders auf dem Lande, kandidieren alternative Bolivarische KandidatInnen gegen die PSUV. So z. B. Angel Prado aus der Kommune El Maizal im Bundesstaat Lara, Augusto Espinoza aus der Kommune Cajigal im Bundesstaat Sucre, Jesus Silva aus Alexis Vive (Lara), und Jose Maria „Chema“ Romero, Mitglied der Revolutionären Strömung Bolivar und Zamora, der am Aufbau der Kommune Simon Bolivar in Baez im Bundesstaat Apure beteiligt war.
Einige dieser KandidatInnen kandidieren für die Kommunistische Partei oder die Tupamaros, sie repräsentieren alle Gebiete, in denen die kommunale Bewegung wirklich verankert ist und sich weiterentwickelt. Es sind auch Gebiete, in denen der Kampf gegen die reaktionäre Offensive Anfang des Jahres einen revolutionären Charakter angenommen hat, mit der Organisierung von Selbstverteidigungskomitees, der Beschlagnahme von Land, das Landbesitzern gehörte, welche die Reaktion mitfinanzierten und -organisierten etc. In einigen dieser Kommunen existieren auch besetzte Fabriken, die meistens agrarische Produkte herstellen. Diese Kommunen mussten sowohl gegen die Macht der Kapitalisten und Landbesitzer als auch gegen die Sabotage durch die Bürokraten in den lokalen Behörden, den Provinzgouverneuren und verschiedenen Regierungsinstitutionen und Ministern kämpfen. In einem sehr scharfen Artikel beschreibt der frühere Minister für die Kommunen Reinoldo Iturriza die Bedeutung dieser Herausforderungen durch die Wahlen:
„Obwohl man nicht von einem Massenphänomen sprechen kann, sind sie (die Kandidaturen) aus verschiedenen Gründen zweifelsfrei ein äußerst bedeutendes Ereignis. Es hat immer eine angespannte Beziehung zwischen den Kommunen und den Bürgermeistern gegeben. Mit einigen Ausnahmen, wie in der Gemeinde Torres im Bundesstaat Lara (zuerst mit Julio Chavez und gegenwärtig mit Edgar Carrasco) tendieren diejenigen, die Regierungsaufgaben auf kommunaler Ebene übernehmen dazu, die Orte, an denen es Initiativen der populären Selbstverwaltung gibt, mit Misstrauen zu betrachten, selbst wenn es sich nur um einen bescheidenen kommunalen Rat handelt. Das sind keine gewöhnlichen Spannungen: Auf keiner Ebene kommt der Zusammenstoß zwischen den repräsentativen und partizipatorischen politischen Ideen so deutlich zum Ausdruck. Man könnte sagen, dass das politische Erdbeben, d. h. die Bolivarische Revolution, hier ihr Epizentrum hat, diese politischen Ideen sind tektonische Störungszonen, die ständig in Bewegung sind.“
Die Bürokratie reagierte wütend. Der Fall von Angelo Prado ist vielleicht der skandalöseste von allen. Nachdem er mit Hilfe einer Massenmobilisierung alle ihm in den Weg gestellten Hürden überwunden hatte, um sich als Kandidat registrieren zu können, behauptete der Nationale Wahlrat, er benötigte für seine Kandidatur die Genehmigung der Verfassungsgebenden Versammlung (VV), deren Mitglied er ist. Tatsache ist jedoch, dass einige hochrangige Mitglieder der VV ebenfalls kandidieren, denen jedoch keine Steine in den Weg geworfen wurden, da sie offiziell von der PSUV-Führung bestimmt worden waren.
Am 28. November wurde ihm durch eine ungeheuerliche Entscheidung der VV das Recht zur Kandidatur verweigert. Der einzige Grund für diese Entscheidung ist die Tatsache, dass er im Falle der Kandidatur die Wahl gewonnen hätte. Seine Bewerbung wurde von 9.000 WählerInnen in der Stadt unterstützt und er wurde mit 13.000 von 17.000 möglichen Stimmen in seinem Wahlbezirk für die VV gewählt. Die Bürokratie reagiert äußerst besorgt auf die Herausforderung durch einen Kandidaten, der die Basis der Bewegung authentisch repräsentiert, der für eine revolutionäre Demokratie steht und nicht für Kompromisse mit der Bourgeoisie.
Eduardo Samáns Kandidatur in Caracas
Vielleicht ist der Fall von Eduardo Samán der aufsehenerregendste, weil dieser für das Amt des Bürgermeisters des Rates des Municipio Libertador, einem Wahlbezirk, der den größten Teil der Hauptstadt Caracas abdeckt, kandidiert. Samán ist nicht der einzige Gegenkandidat der offiziellen PSUV-Kandidatin Erika Farias. Ursprünglich hatte Oswaldo Riveiro, der die Unterstützung der Revolutionären Tupamaro Bewegung hatte, angekündigt kandidieren zu wollen. Riveiro ist der populäre Moderator der Fernsehshow Zurda Konducta, über die er dem kompromisslosen Kampf der revolutionären Bewegung gegen die bürgerliche Opposition Gehör verschafft hat. Er spielte eine Rolle bei den Protesten, die nach der Niederlage bei den Wahlen zur Nationalversammlung im Dezember 2015 einen radikalen Kurs für die Bolivarische Bewegung forderten. Einige Tage, nachdem er seine Kandidatur angekündigt hatte, entschieden sich die Tupamaros, diese zurückzuziehen und er hatte keine Möglichkeit mehr zu kandidieren. Es ist klar, dass die Tupamaros unter den Druck der Bürokratie gerieten, um ihn fallen zu lassen.
Damit blieb nur noch Eduardo Samán übrig, der die Unterstützung durch die Kommunistische Partei (PCV), die Gruppierung Vaterland für Alle (PPT) und die Bewegung Electoral del Pueblo (MEP) gewonnen hatte. Die MEP zog später ihre Unterstützung zurück, während die PCV und die PPT standhaft blieben. Der Nationale Wahlrat (CNE) versuchte die Registrierung von Samán zu blockieren, aber mit einer Kampagne, die öffentlichen Druck erzeugte, wurde die Kandidatur schließlich genehmigt. Danach versuchte der CNE einen weiteren Trick anzuwenden. Da sowohl die PPT als auch die PCV im Vorfeld ihre KandidatInnen registriert hatten, könnten die Namen der auf den Wahlzetteln unter diesen Parteilogos nicht geändert werden, behaupte der CNE. Deshalb werde Samáns Name überhaupt nicht auf den Wahlzetteln erscheinen. Leute, die ihn wählen wollen, müssten entweder die zurückgezogenen KandidatInnen der PCV oder PPT wählen, die Stimmen würden aber für Samán gezählt werden. Das Ganze ist vollkommen skandalös, denn es wird unnötige Verwirrung stiften und es gibt überhaupt keinen Grund, warum sein Name nicht unter den Parteilogos der PCV und der PPT erscheinen darf.
Hinzu kommt, dass Samán einen Boykott gegen seine Kandidatur in den staatlichen Medien angeprangert hat. Quellen in einigen Staatsmedienbetrieben haben erklärt, dass es klare Anweisungen gibt, dass weder Samán noch die Parteien, die ihn unterstützen, erwähnt werden sollen. Dies wurde am 30. November auf die Probe gestellt, als Samán zu einem TV-Interview beim staatlichen Sender ViveTV eingeladen wurde. Vive war stets unabhängiger von der Regierung und gab Fabriken, die von ArbeiterInnen besetzt waren, lokalen Kommunen, revolutionären Basisinitiativen etc. eine Stimme. Samán wurde in der morgentlichen Talkshow eine halbe Stunde lang interviewt. Der Skandal folgte, als Samán öffentlich anprangerte, dass der Direktor des Senders, der Pressesprecher und der Koordinator als direkte Folge des Interviews entlassen worden waren. Der Direktor wies später diese Behauptung zurück und erklärte, seine Ablösung sei das Ergebnis der Zurverfügungstellung seines Postens an den neuen Minister, wie das bei politischen Ernennungen üblich sei. Andere Journalisten jedoch bestätigten Samáns Beschuldigungen.
Eduardo Samán ist eine sehr bekannte Persönlichkeit innerhalb der chavistischen Linken. Eine lange Zeit besetzte er verschiedene Regierungsämter und war kurzzeitig Handelsminister. In diesen Ämtern wurde er bekannt, als er die Korruption bekämpfte, die Bewegung der besetzten Fabriken unterstützte und die Spekulation, Preistreiberei und Schwarzmarkt angriff. 2010 verfasste Samán einen Aufruf zur Bildung einer „radikalen Strömung“ innerhalb der PSUV, welcher ein massives Echo in der Bewegung erfuhr. Unter dem Druck der Bürokratie verabschiedete er sich schließlich von dieser Idee.
Es ist klar, dass die Bürokratie in der PSUV über seine Kandidatur in Panik geraten ist. Wie Samán selbst erklärte, besteht keine Gefahr, dass ein Kandidat der bürgerlichen Opposition das Rennen machen kann. Er fügte hinzu, dass, falls das der Fall wäre, er bereit wäre zugunsten eines gemeinsam vereinbarten bolivarischen Kandidaten zurückzutreten. Aus Sicht der Bürokratie besteht die Gefahr nicht darin, dass ein Kandidat der Opposition gewinnt, sondern vielmehr, dass Samán die offizielle PSUV-Kandidatin Erika Farias besiegen könnte.
Für die bolivarische Basis verkörpert Samán den Kampf gegen den Schwarzmarkt, die Spekulanten, Kapitalisten und multinationalen Konzerne, für Rechenschaftspflicht innerhalb der Bewegung und für eine revolutionäre demokratische ArbeiterInnenkontrolle. Lucha de Clases, die venezolanische Sektion der International Marxist Tendency, unterstützt Samán uneingeschränkt und beteiligt sich an seinem Wahlkampf.
Die GenossInnen behaupten zu recht, dass dies nicht nur als die einzige Möglichkeit gesehen werden sollte, mit der die Errungenschaften der Revolution angesichts der reaktionären Opposition verteidigt werden, sondern auch angesichts einer Regierung, deren einzige Strategie darin besteht, gegenüber den Kapitalisten Zugeständnisse zu machen, um sich aus diesem Grund an die Macht zu klammern.
Die International Marxist Tendency unterstützt deshalb Eduardo Samán und plädiert für ein revolutionäres sozialistisches Programm und die Notwendigkeit die revolutionäre Avantgarde während der Kommunalwahlen vom 10. Dezember und danach zu organisieren.
*Als Kommune (Comuna) wird der Zusammenschluss mehrerer selbstorganisierter Gemeinden bezeichnet, die sich auf Grundlage lokaler Selbstverwaltung in Form von Kommunalen Räten zu einer regionalen Einheit verbinden. Sie können laut der venezolanischen Verfassung eigene Rechts- und Wirtschaftsformen entwickeln. Diese Basisstrukturen werden parallel zu den bestehenden Institutionen aufgebaut und sollen durch die Selbstregierung der Bevölkerung den bestehenden bürgerlichen Staat überwinden.