Der nationale Trauertag für Nelson Mandela ging für die herrschende Klasse, den ANC und Präsident Zuma in die vollkommen falsche Richtung, als die Massen aus der Reihe tanzten und sich in den Mittelpunkt stellten. Die Trauerfeier war als Vorzeigeveranstaltung für Zuma und dessen Regierung geplant.
Ungefähr 90 Staatsoberhäupter, Präsidenten, Premierminister, Könige, Grossindustrielle und ausländische Würdenträger aus aller Welt nahmen an der Trauerfeier für den früheren südafrikanischen Präsidenten Nelson Mandela teil.
Aber diese "ehrenwerten Persönlichkeiten" standen einer herausfordernden, emotionalen und lärmenden proletarischen Menschenmenge von über 60.000 im FNB Stadion in Soweto gegenüber. Das Ergebnis war eine massive Verlegenheit bei diesen "ehrenwerten Personen" und besonders bei Präsident Zuma, der von den emotionsgeladenen Massen ausgebuht wurde.
Die Trauerfeier sollte die Menschen aus den verschiedenen Klassen und Schichten im Geiste der Einheit zusammenbringen, um sich gemeinsam vor der gesamten Weltöffentlichkeit von Nelson Mandela zu verabschieden. Es wurde erwartet, dass alle ihre Differenzen beiseiteschieben würden, um zu zeigen, dass Südafrika immer noch der "Regenbogenstaat" ist. Stattdessen liessen die Massen die Reichen und Mächtigen wissen, welches genau ihre Gefühle sind. Das erste Angriffsobjekt war Präsident Zuma.
Die riesige Menge begann zu buhen und zu spotten, als Präsident Zuma das grosse Stadion betrat. Die Spottgesänge ebbten schliesslich kurzfristig ab, begannen aber wieder, sobald Zuma auf der Riesenleinwand zu sehen war. Das veranlasste die Organisatoren, das Bild des Präsidenten nicht mehr auf der Leinwand zu zeigen und diese für eine Weile abzuschalten. Das konnte aber kein Dauerzustand sein und nachdem US-Präsident Obama gesprochen hatte, musste der stellvertretende Vorsitzende des ANC Cyril Ramaphosa die Menschenmenge um "Disziplin" bitten, indem er das Erbe Nelson Mandelas beschwor. Aber selbst als er die Menge bat, nahm die Lautstärke der Spottgesänge und der Pfiffe als Trotzreaktion weiter zu.
Teile der Menschen begleiteten ihre Buhrufe mit Gesten, die man aus den Fussballstadien kennt, wenn die Fans die Auswechslung eines Spielers verlangen. Der Präsident war davon völlig bestürzt. Er hat normalerweise ein jugendliches Wesen, aber in dieser Situation waren seine Gesichtszüge wie versteinert.
Die Ironie ist, dass die Menschen, die Zuma ausgebuht haben, Anhänger des ANC waren und ANC-Kampflieder sangen. Es waren Menschen aus der Arbeiterklasse, welche die Massenbasis des ANC bilden. Momentan ist der Präsident in einer Reihe persönlicher Skandale verwickelt und ist ein Vertreter der kapitalistischen Politik, wie dem Nationalen Entwicklungsplan (NDP).
Es wird behauptet, dass mehr als 200 Millionen Rand Steuergelder dafür verwendet wurden, um die private Residenz des Präsidenten auszubauen. Das passiert in einem Land, in dem Wohnungen für Millionen armer BürgerInnen fehlen. In den letzten drei Monaten hat er gegen den Willen der Massen prokapitalistische Gesetze, wie die Änderung der Transportgesetze und das Gesetz über die Lohnkostenzuschüsse für junge Leute unterzeichnet, als Massnahme um die herrschende Klasse zu beschwichtigen. Die arbeitenden Massen liessen ihn am vergangenen Dienstag wissen, wie sie sich fühlen.
Zuerst bezeichneten die Anhänger des Präsidenten die Proteste als "inszenierte Veranstaltung". Einige beschuldigten sogar die Anhänger der Economic Freedom Fighters, einer neuen Partei, die von ausgeschlossenen Mitgliedern der ANC-Jugend gegründet worden war. Aber dieses Argument blieb ohne Wirkung als sich herausstellte, dass es sich bei den Protestierenden um ANC-Anhänger handelte.
ANC-Sprecher Jackson Mthembu verurteilte später das Verhalten der Menschen, die während der Trauerfeier gebuht hatten. Er sagte: "Unter den Trauernden befanden sich einige, die durch ein widerwärtiges und ungebührliches Benehmen auffielen und den Genossen Präsident Zuma durch Zwischenrufe störten. Wir befinden uns in einer Trauerphase. Niemand von uns sollte diesen pathetischen Augenblick nutzen, um unabhängig von seinen persönlichen Ansichten und Problemen, irgendjemanden von uns verächtlich zu behandeln."
Mtembus Ansichten stehen denen der ArbeiterInnen in der Menge diametral gegenüber. Moloi, ein Wäschereiarbeiter aus Soweto, der im Stadion interviewt wurde, sagte: "Er (Zuma) bevorzugt seine eigenen Freunde. Er folgt nicht Mandelas Pfad. Er hat Mandelas Werte preisgegeben."
Ein weiterer Arbeiter, Funeka Gingcara-Sithole, drückte die gleichen Gefühle aus: "Mandela hatte einen Vision. Mandela lebte für diese Vision. Aber Zuma redet, er lebt nicht. Er sollte endlich etwas Ehrenhaftes tun und zurücktreten." Dies sind authentische Stimmen aus der südafrikanischen Arbeiterklasse.
Das Publikum bestrafte nicht nur Präsident Zuma mit Verachtung. Unzählige Male begann es Freiheitslieder zu singen als ausländische Vertreter Reden hielten. Dies zeigt, wie stark die Verachtung der Massen vor ihren "Führern" ist. Diese Leute haben den Kontakt zu den Massen verloren und standen nur verlegen da, weil sie nicht in der Lage waren zu einer proletarischen Menschenmenge zu sprechen.
Aber was immer auch Jackson Mtembu und Seinesgleichen sagen, in Wahrheit ist dies das Ergebnis von zwei Jahrzehnten der Enttäuschung, der Wut und der Hoffnungslosigkeit und dem Fehlen besserer Lebensbedingungen, die in einer starken Mischung zusammenfliessen mit dem Schmerz um den Tod Nelson Mandelas. Es gibt einige, die wie Erzbischof Tutu sagen, dass Mandela dies nicht gewollt habe. Da liegt er falsch. Er bezieht sich auf eine Karikatur von Mandela, welche die Medien in den letzten zwanzig Jahren sorgfältig gepflegt haben. Als Mandela 1994 beim Kongress des südafrikanischen Gewerkschaftsbunds COSATU sprach, sagte er: "Wenn der ANC euch das antut, was die Apartheid euch angetan hat, dann müsst ihr mit dem ANC das machen, was ihr mit der Apartheid gemacht habt." Das waren die Worte des kämpferischen Mandela.
Zu Mandelas Tod schrieben wir Folgendes: "Zweifelsohne wird die herrschende Klasse Nelson Mandelas Erbe von der ‚nationalen Versöhnung‘ und der ‚nationalen Einheit‘ bei seinem Ableben heraufbeschwören. Ihre Absicht ist klar: Sie will die schwarzen Massen kontrollieren und ihren Weg zu einer wirklichen Emanzipation blockieren. Das wird jedoch nicht leicht werden und kann nur kurzfristig erfolgreich sein." Diese Sätze wurden vier Tage vor der Trauerfeier vom Dienstag verfasst.
Die Massen waren das Herz und die Seele der Gedenkveranstaltung. Die imperialistischen und bbürgerlichen Politiker sahen den proletarischen Massen ins Gesicht und sie hassten, was sie zu sehen bekamen. Wir haben oft darauf hingewiesen, wie kämpferisch und geradlinig die südafrikanische Arbeiterklasse ist. Am Dienstag sah die internationale herrschende Klasse dies mit den eigenen Augen.
Wir MarxistInnen werden uns nicht den Heuchlern anschliessen, welche die Massen verurteilen und ihnen "widerwärtiges und ungebührliches Verhalten" vorwerfen. Wir begrüssen die arbeitenden Massen im FNB Stadion, die für ihre eigenen Interessen aufgestanden sind und den Führern deutlich gemacht haben, was genau sie fühlen. Widerwärtig ist das Verhalten und die Heuchelei der Staatsoberhäupter von Ländern wie den USA, die Millionen Menschen in der kapitalistischen Unfreiheit halten, während sich die Führer bereichern und trotzdem Nelson Mandela preisen.
Mandelas Leichnam wird bis zum 14. Dezember, dem Tag seiner Beerdigung, in Pretoria aufgebahrt sein. Was immer jetzt auch geschieht, die arbeitenden Massen haben bewiesen, dass sie bereit sind zu kämpfen. Sie haben das vor der gesamten Welt gezeigt.
1998 schrieben Ted Grant und Alan Woods über den sich entfaltenden Prozess in einem Dokument mit dem Titel. "Marxismus und Imperialismus – Die Krise der Dritten Welt":
"Wir sollten nicht die Wirkung von Zugeständnissen demokratischer Rechte an die schwarze Bevölkerung unterschätzen. Zu Beginn gab es unausweichlich einige Illusionen. Zugeständnisse wie insbesondere Elektrizität und sauberes Wasser in den Townships werden von den Schwarzen als grosse Fortschritte gesehen werden. Aber die Hoffnungen, welche die schwarzen Massen in die ANC-Führer gesetzt haben, gehen über solche Konzessionen hinaus. Bei den schwarzen ArbeiterInnen und besonders bei der Jugend ist die Wut über das Verhalten der ANC-Führung gewachsen. Nach Generationen, die in sklavenähnlichen Verhältnissen lebten, streben die schwarzen Massen nach wirklicher Gleichheit und zivilisierten Lebensbedingungen. Für die Massen ist die Frage der Demokratie stets eine konkrete Frage in Verbindung mit Arbeitsplätzen, Löhnen und Wohnbedingungen. Die ANC-geführte Regierung hat unter einem irreführenden Namen den Wachstums-, Beschäftigungs- und Umverteilungsplan (GEAR) eingebracht, der zu Angriffen auf die Gewerkschaften und Privatisierungen geführt hat… Wir können bereits sehen, was geschieht. Es gibt eine wachsende Unzufriedenheit an der Basis des ANC und der Gewerkschaften über diese Regierung und die Art und Weise, wie eine neue schwarze Elite sich der weissen Bourgeoisie angeschlossen hat, während die Mehrheit der schwarzen Bevölkerung weiterhin in Armut lebt."
Diese Sätze könnte heute geschrieben worden sein. Es besteht jetzt die Aufgabe die wahren Ideen des Marxismus in die Massenorganisationen zu tragen.