Die Hinrichtung von drei Männern, die eine Fähre gekapert hatten, und
die harten Urteile, die an die 74 kubanischen Dissidenten im
vergangenen April ergingen, lösten weltweite Empörung aus; zumindest
bei Teilen der Medien und den meisten Regierungen. Der Sprecher des US
State Departments, Richard Boucher, sagte, die Vereinigten Staaten
fühlten sich" auf das Gröbste verletzt," und Außenminister Colin Powell
verlangte die sofortige Freilassung dieser, so Powell wörtlich,
"Gefangenen aufgrund ihres Gewissens".
Doch bevor wir die einzelnen Punkte näher analysieren, wollen wir
zunächst einen Blick auf die Fakten werfen. Die drei zum Tode
verurteilten Männer hatten eine Passagierfähre überfallen, um die
Vereinigten Staaten zu erreichen. Dieses war der dritte Versuch dieser
Art auf Kuba in gerade mal zwei Wochen; eine Situation, die durch ein
US-Gesetz begünstigt wird, das allen Kubanern Asyl garantiert, die die
USA erreichen, unabhängig davon, auf welche Weise das geschieht.
Gleichzeitig hatte die kubanische Regierung damit begonnen, Dissidenten
schärfer zu beobachten, einschließlich der Mitglieder des "Projektes
Varela". Das Hauptanliegen dieser Gruppe ist ein Referendum, das sie
als Teil einer "stufenweisen Annäherung" in Richtung Beseitigung der
aktuellen Staatsform verstehen, die aus der Revolution 1959 hervorging
und deren Hauptcharakteristikum eine vom Staat gelenkte Wirtschaft ist.
Im Wesentlichen stehen besagte Dissidenten jedoch nicht für nicht für
"Demokratie", sondern eine Rückkehr zum Kapitalismus. Das Maß der
Gefängnisstrafen reicht von sechs bis achtundzwanzig Jahren. Das
formale Urteil gegen die meisten der Angeklagten lautete auf
"Verbrechen gegen die Unabhängigkeit oder die territoriale
Unversehrtheit des Staates".
Es gab zahlreiche Beweise, die eindeutig belegten, dass die meisten
dieser Oppositionellen hohe Summen Geldes von der Bush-Administration,
vertreten durch den Chef der US-Vertretung in Havanna, James Cason,
empfangen hatten. Diese Tatsache ist nie von Powell oder von
irgendeinem anderen der US-Wortführer geleugnet worden. Im Gegenteil,
alle diese Fakten sind leicht auf den diversen Internet- Seiten der US-
Regierung nachzuprüfen. Im Jahr 2000, spendete die US-Agentur für
internationale Entwicklung (USAID) drei kubanischen Organisationen
670.000 US$, "um die Arbeit unabhängiger Journalisten auf Kuba zu
unterstützen und die Publikation ihrer Arbeiten sowohl auf der Insel
als auch im Ausland zu ermöglichen " (USAID-Report, Auswertung des
USAID Kuba- Programms, 2001).
Mit solchen Mitteln versuchen die amerikanischen Imperialisten, die
Arbeit der konterrevolutionären Kräfte in Kuba und in anderen Ländern
zu fördern. Sie mischen sich ständig in die inneren Angelegenheiten
anderer Staaten ein, wenn sie deren politische Ausrichtung nicht mögen.
So gibt es auch keinen Zweifel daran, dass die amerikanische Botschaft
in Caracas und die CIA aktiv an den Bemühungen der Konterrevolutionäre
in Venezuela, die Regierung von Hugo Chavez zu stürzen, beteiligt
waren. Das State Department (Außenministerium) beschreibt diese Art von
Tätigkeit offiziell als einen "legitimen Übergriff": Jeder Versuch, die
Interessen des US- Imperialismus zu verteidigen, ist vollkommen in
Ordnung, selbst wenn man sich in die Tätigkeiten fremder Regierungen
einmischt. Etwas völlig Anderes ist es selbstverständlich, sollte eine
fremde Macht ähnliche Methoden bezüglich der USA anwenden... Ein
solcher "Übergriff", etwa eines ausländischen Diplomaten, gilt in den
USA als kriminelles Vergehen und kann mit Haftstrafen von bis zu zehn
Jahren geahndet werden. Dieses trifft auf jeden zu, "der der Direktive
oder Kontrolle fremder Regierungen oder Beamten unterworfen ist" (§ 18,
Absatz 951 des Bundesgesetzbuchs der Vereinigten Staaten von Amerika).
Die Heuchelei der US-Regierung wird noch deutlicher, wenn wir uns die
Geschichte von fünf Kubanern betrachten, die zur Zeit empfindliche
Haftstrafen in US- Bundesgefängnissen verbüßen (zwei davon "sitzen"
lebenslänglich). Die fünf versuchten, Gewaltakte der extrem rechten
exilkubanischen Terroristengruppen in Miami gegen Kuba zu verhindern.
Die USA behaupten, in einen globalen "Krieg gegen den Terrorismus" mit
einbezogen zu sein. Aber die US-Regierung zeichnet - mit Hilfe der CIA
- für die Hauptfinanzierung, das Training und die Bewaffnung vom extrem
Rechten verantwortlich, im Bündnis mit der kubanischen Mafia in Miami,
die sich hinter vielen Terrorakten der letzten Jahre gegen die
kubanische Regierung verbirgt. Folglich machte sich das FBI die fünf
kubanischen Agenten zur Zielscheibe, anstatt die rechten Terroristen zu
inhaftieren! Kein heuchlerischer Protest und nicht ein einziger
moralisierender Artikel in der bürgerlichen Presse kann diese
Doppelbödigkeit der US-Administration übertünchen. Der Heuchelei ist
kein Ende, wenn man sieht, wie Washington empört gegen die Todesurteile
auf Kuba aufbegehrt und darob ganz entspannt vergisst, dass jedes Jahr
in den USA Hunderte Männer und Frauen in den Todeszellen der
US-Gefängnisse Platz nehmen. Seit 1976 hat die US-Justiz über 700
Menschen hingerichtet, davon allein 248 in Texas. Außerdem wurden 95
der seit 1973 hingerichteten Personen im Nachhinein durch die Gerichte
vollständig entlastet, d.h. sie waren unschuldig.
Die USA haben absolut kein Recht, sich über die Praxis der Todesstrafe
auf Kuba zu beschweren, hält sie doch selbst diesbezüglich den
Weltrekord. Und George W. Bush hat am wenigsten die Legitimation zu
protestieren. Als Gouverneur von Texas war, das seit 1976 fast ein
Drittel aller Todesurteile in den USA verhängte, war er rasch wegen
seines undifferenzierten Umgangs mit der Todesstrafe und seiner
Weigerung, Milde walten zu lassen, berüchtigt.
Dieser Umstand ist auch eine Klassenfrage. Die überwiegende Mehrheit
der sehr großen Anzahl von Inhaftierten in den USA und die Allermeisten
von denen, die zum Tode verurteilt werden, sind arme Leute -
hauptsächlich Schwarze und Latinos. Außerdem ist die USA, neben
Somalia, das einzige Land in der Welt, das die UN-Konvention über die
Rechte von Kindern bislang nicht unterzeichnet hat. Warum? Weil in den
USA auch Menschen zum Tode verurteilt werden können, die zum Zeitpunkt
ihres Verbrechens das 18. Lebensjahr noch nicht vollendet hatten; in 18
Bundesstaaten ist sogar die Hinrichtung Sechzehnjähriger gesetzlich
festgelegt - die oben genannte Konvention enthält eine Klausel, die
dieses Vorgehen untersagt.
Die Liste, auf der zahlreichen Versuche der USA, konterrevolutionäre
Attacken gegen Kuba zu unterstützen, wird immer länger. 1961 versuchte
man sogar, die Insel im Rahmen der unsäglichen Schweinebucht- Episode
zu besetzen. Und seit Beginn der Revolution ist das Handelsembargo
gegen Kuba in Kraft. Aber es ist nicht nur die Person Castro, die der
US- Bourgeoisie Sorgen bereitete und bereitet. Was sie am meisten
fürchtet ist die Natur des Regimes, das in Kuba besteht. Man kann in
diesen Kreisen die Tatsache nicht hinnehmen, dass 90 Meilen von der
eigenen Küste entfernt ein Land existiert, in dem der Kapitalismus
abgeschafft worden ist. Die kubanische Revolution war ein Signal für
die unterdrückten Massen Lateinamerikas. Das ist der Grund, warum die
US-Imperialisten Kuba hassen - nicht wegen Verstößen gegen die
Menschenrechte, wie bürgerliche Medien unentwegt betonen.
Die "Linke" gibt dem Druck des Imperialismus nach - gerade deshalb
müssen wir uns in unserer Analyse fest auf der Grundlage einer
Klassenposition bewegen, um von den gegenwärtigen Geschehnissen auf
Kuba nicht inhaltlich fortgespült zu werden: Die Interessen der
Arbeiterklasse stehen an erster Stelle, egal, ob in Kuba oder anderswo.
Derart gewappnet werden wir nicht Gefahr laufen, abgehoben über
abstrakte Themen wie "Demokratie" oder "Gerechtigkeit" zu diskutieren.
Letzteres sind, leider, genau die Inhalte, über die sich viele
Links-Intellektuelle den Kopf zerbrechen. Washingtoner Angriffe und
Attacken von Seiten bürgerlicher Medien der USA und Europas sind nichts
Neues.
Im vorliegenden Fall jedoch kommt die Kritik am Castro-Regime nicht nur
von den eben Genannten - der laute Chor der Denunziationen wird diesmal
von alten "Freunden" Kubas ergänzt, wie zum Beispiel vom
portugiesischen Nobelpreisträger für Literatur, José Saramago; oder dem
Verfasser von "Die offenen Adern Lateinamerikas", Eduardo Galeano aus
Uruguay. Eine hitzige Debatte ob dieser Frage ist auch innerhalb vieler
linker Parteien in Europa und Lateinamerika ausgebrochen.
Diese "Freunde von Kuba" haben einige wichtig Grundlagen vergessen: In
einer kapitalistischen Welt existiert keine absolute "Demokratie" oder
"Gerechtigkeit". Die formale bürgerliche Demokratie ist nur ein
Feigenblatt, um die Diktatur einer Handvoll wohlhabender Bänker und
Konzernherren zu verbergen. Und seit Neuestem wird noch nicht einmal so
getan, als wolle man tatsächlich das Wohl der Wähler als ersten Punkt
auf die Tagesordnung setzen. Man betrachte vor allem die USA, wo jedes
Kind weiß, dass Bush nur durch Schwindel die Wahl gewann. Dasselbe gilt
für den Begriff "Gerechtigkeit". Die Grundregel, dass "alle Menschen
vor dem Gesetz gleich sind", ist nur solange gültig, wie man die Dicke
ihrer Geldbörsen ignoriert! Wie zu jedem anderen Punkt gibt es ein
Gesetz für die Reichen und ein weiteres für die Armen. Der Autor
Anatole France schrieb vor langer Zeit von der Majestät des Gesetzes,
das es Reich und Arm gleichermaßen erlaubt, unter einer Brücke zu
verhungern und zu schlafen.
Es gibt viele Eigenschaften am Regime in Kuba, mit denen wir nicht
einverstanden sind. Aber eines kann nicht geleugnet werden: die
kubanische Revolution enteignete sowohl Imperialisten als auch die
Bourgeoisie und schuf die Voraussetzungen für immense Verbesserungen im
Gesundheitswesen, der Bildung und den allgemeinen Lebensbedingungen für
die Masse der Bevölkerung; das ist das "Verbrechen", welches die
Imperialisten Kuba nie verzeihen können. Seit Jahrzehnten versuchen
sie, die Errungenschaften der Revolution zu zerstören und Kuba wieder
an den Busen des Imperialismus zurückzuholen.
In dieser Auseinandersetzung kann es keine Neutralität geben. Wir
müssen Kuba gegen die imperialistischen Angreifer ständig verteidigen.
"Ja" werden die Freunde von Kuba antworten, "aber wir sind gegen
Gewalt"- eine Aussage, die nicht neu ist. Viele
reformistisch-pazifistisch angehauchte Linke in Europa beschweren sich
häufig über den Einsatz von Gewalt "im allgemeinen". Wir glauben auch,
dass der Einsatz von Gewalt bedauerlich ist. Aber wir müssen auch in
Betracht ziehen, dass wir in einer Welt leben, in der sich die
herrschende Klasse Tag für Tag und ohne Scham der grausamsten
Strategien bedient, um ihre Interessen durchzusetzen. Der Krieg im Irak
spricht für sich. Die einzige Möglichkeit, Gewalt dauerhaft zu
überwinden, besteht in der endgültigen Überwindung eines Systems, das
diese ständig hervorruft und mit seiner Spaltung in Arm und Reich für
himmelschreiende Ungerechtigkeit sorgt. Dieses System heißt
Kapitalismus.
Die Wahrheit ist immer konkret, pflegte Hegel zu sagen, eine Aussage,
die auch für uns Geltung haben muss. In unserem Fall liegt die
leistungsfähigste und sich am wildesten gebärdende kapitalistische
Nation der Welt, die USA, im Konflikt mit einer kleinen Insel, die es
geschafft hatte, sich der Knute des Imperialismus zu entziehen und die
Produktionsmittel in Gemeineigentum zu überführen. Seit dem
Zusammenbruch der UdSSR kämpft Kuba verzweifelt ums Überleben, während
seine Feinde sich bemühen, Kuba international zu isolieren und langsam
zu erdrosseln. Wir betonen: In diesem Konflikt kann die internationale
Arbeiterklasse nicht neutral bleiben. Wir stehen an der Seite Kubas im
Kampf gegen den US-Imperialismus. Wir sind solidarisch mit einem Land,
das den Analphabetismus beseitigt hat und wo das Gesundheitssystem bei
weitem das fortschrittlichste in ganz Lateinamerika ist. Dies gelang
Dank des planvollen Umgangs mit den Ressourcen und der konsequenten
Aufhebung der Anarchie des kapitalistischen Marktes. Alles das sind
Errungenschaften, die wie ein Leuchtfeuer die schwarze Nacht der
Knechtschaft der Menschen in Lateinamerika erhellen, und dieses Licht
brennt den Imperialisten in den Augen.
Auf der Grundlage dieses Klassenstandpunkts können wir die Situation
nun besser, weil aus der Sicht der Arbeiterklasse, analysieren. Der
Versuch des US-Imperialismus, Kuba von innen heraus auszuhöhlen, wird
an vielen Fronten ausgetragen. Die internen Schwierigkeiten Kubas
aufgrund der entfallenen Wirtschaftshilfe der UdSSR kommen den Staaten
dabei zu Hilfe. Nach dem Kollaps des stalinistischen Regimes in Rußland
ist Kuba seit Beginn der neunziger Jahre isoliert und ohne
Unterstützung aus den Ländern des ehemaligen Ostblocks. Das stürzte die
Insel in eine tiefe Krise: Das Bruttoinlandsprodukt sank zwischen 1989
und 1993 um verheerende 35%. Um diese Talfahrt zu stoppen, führte die
Regierung Mitte der Neunziger einige marktwirtschaftliche "Reformen"
durch. Das Resultat: 600 Firmen auf Kuba sind nun in der Hand
multinationaler Konzerne. Das Regime gestattete ausländischen
Unternehmen den Kapitalexport und erlaubte gleichzeitig Abkommen über
Joint Ventures. Das Staatsmonopol im Außenhandels wurde teilweise
abgeschaffen, und einer begrenzten Anzahl von Einzelpersonen wurde die
Gelegenheit gegeben, Geschäfte, hauptsächlich in der Tourismusbranche,
zu machen. Der Tourismus stellt momentan die Haupteinnahmequelle der
Insel dar. Im heutigen Kuba gibt es Elemente eines dualen
Wirtschaftssystems, bei der die staatlich organisierte Wirtschaft von
Grundzügen der kapitalistischen Produktionsweise flankiert wird; dem
entsprechen die parallel existierenden Währungen, der Dollar und der
kubanische Peso. Das hat die soziale Ungleichheit verschärft, und Kuba
ist mehr und mehr den Höhen und Tiefen der Weltwirtschaft ausgeliefert.
Obendrein gehen die Einkünfte aus dem Tourismus seit etwa zwei Jahren
stetig zurück. Der Weltmarktpreis für das wichtige Exportgut ist
ebenfalls gesunken. Kuba steht also erneut vor ernsten wirtschaftlichen
Problemen. Einigen Quellen zu Folge liegt die Arbeitslosigkeit momentan
bei 10% der werktätigen Bevölkerung, während weitere 10% als
"unterbeschäftigt" eingestuft werden.
Diese zunehmenden sozialen Unterschiede stellen eine ernste Bedrohung
der kubanischen Revolution dar. Eine Schicht der Gesellschaft
bereichert sich mit Hilfe dieser "Markt"- Reformen, und es gehört zum
Wesen dieser Schicht der" neuen Reichen", dass der Imperialismus dort
einen fruchtbaren Nährboden findet und dem Kapitalismus den
Wiedereinzug auf Kuba erleichtert. Die im entstehen begriffene
kubanische Kapitalistenklasse besteht aus verschiedensten Spekulanten
und Schwindlern, die sich "die guten alten Zeiten von vor 1959"
zurückwünschen, als Kuba ein großes Casino mit Bordell im Obergeschoss
zu sein schien, das vom Big Business der USA und der Mafia betrieben
wurde. Der US-Imperialismus versucht, sich in diesen wieder
erstarkenden Kreisen zu verankern, um aus deren Mitte heraus die
Politik der Sabotage und Subversion zu forcieren.
Das kubanische Regime hat versucht, diese Aktivitäten zu unterbinden,
indem es zu den rauhen Methoden der Unterdrückung Zuflucht nahm. Wir
hegen keinerlei Sympathie für diese konterrevolutionären Elemente;
genauso wenig stimmen wir in den verlogenen Chor jener "Freunde Kubas"
ein, ertöne dieser auch von "links". Wir müssen die jüngsten Ereignisse
im Kontext betrachten. In ganz Mittel- und Südamerika, von Feuerland
bis zum Rio Grande, gibt es nicht ein einziges stabiles bürgerliches
Regime. Die jüngsten Ereignisse in Lateinamerika zeigen deutlich, dass
die US-Imperialisten sich darauf vorbereiten, revolutionäre Prozesse
(die sich oft über Jahre hinziehen können) zu unterbinden, sei es offen
und mit wirtschaftlicher bzw. militärischer Gewalt wie in Kolumbien;
oder verdeckt, indem man die konterrevolutionären Kräfte eines Landes
unterstützt, deutlich zu sehen am Beispiel Venezuelas. In einer solchen
Situation ist die Existenz Kubas ein Dorn im Auge Washingtons. Der
Stachel muss aus ihrer Sicht so bald wie möglich entfernt werden.
Fidel Castro antwortete seinen Kritikern diesbezüglich Folgendes: "Wir
(das kubanische Volk, d. Ü.) werden jetzt in eine Schlacht permanenter
Provokationen seitens der USA verwickelt, mit dem Ziel, eine Aggression
gegen unser Land zu rechtfertigen". Das trifft genau den Kern. Als
Folge des kriminellen Angriffskrieges gegen den Irak hat sich der
Schwerpunkt in der Bush- Administration weiter nach rechts verschoben.
Die reaktionäre Clique um Rumsfeld/Cheney hat das Ruder fest in ihrer
Hand. Diese Leute schauen umher, welche Nation als nächstes mit Krieg
zu überziehen sei. Kuba ist in ernster Gefahr. Die Strenge, mit der der
kubanische Staat kürzlich vorging, ist ein Spiegelbild dieser
Situation.Kuba hat das Recht, sich gegen Imperialismus und
Konterrevolution zu verteidigen, und das ist kein Spiel für kleine
Kinder.
Die Notwendigkeit einer internationalistischen Politik
Allerdings: Die größte Gefahr für die kubanische Revolution geht nicht in erster Linie von einer Handvoll Verbrecher und Kapitalismus-Befürworter aus, sondern liegt innerhalb des kubanischen Regimes selbst begründet. Solange Castro an der Macht ist, werden die pro-bürgerlichen Elemente in Schach gehalten werden können. Aber ähnlich wie in der UdSSR, wo weite Teile der Bürokratie im Zuge der Perestroika auf den Übergang zum Kapitalismus vorbereitet wurden, könnte auch Kuba einen tödlichen Ruck Richtung Kapitalismus erfahren, so bald Fidel von der Bühne abtritt. In Übereinstimmung mit der neuen aggressiven Haltung der USA dem Rest der Welt gegenüber, hat Bush die alte Hardliner-Politk gegen Kuba wiederbelebt. Man erhöhte die finanziellen Zuwendungen an kubanische "Dissidenten" und setzte die Insel mit auf die Liste der "Schurkenstaaten". Der Sieg von Imperialismus und "Marktwirtschaft" würde die komplette Zerstörung aller sozialen Errungenschaften der Revolution bedeuten. Wie kann diese Bedrohung abgewendet werden? Es gibt nur einen Weg, nämlich die Herstellung einer Arbeiterdemokratie, und zwar in der Tradition des sowjetischen Rußlands vor Stalins Aufstieg. Leo Trotzki unterstrich vor langer Zeit, dass der "Sozialismus Demokratie benötigt wie der menschliche Körper Sauerstoff ". Wir sprechen selbstverständlich nicht von einer formalen Demokratie der Kapitalistenklasse, sondern meinen eine echte Demokratie der arbeitenden Bevölkerung, die in Räten organisiert sind und die auf Lenins vier Bedingungen gegründet ist:
- freie und demokratische Wahlen mit dem Recht jederzeitiger Abwählbarkeit
- kein Funktionär soll mehr Lohn als ein Facharbeiter erhalten
- Einführung einer Volksarmee anstelle eines stehenden Heeres und/oder Polizei
- allmählich sollten alle administrativen Aufgaben in Rotation vollzogen werden, denn: Wenn jeder der Reihe nach Bürokrat ist, ist niemand Bürokrat.
Trotz aller Probleme stützt die überwältigende Mehrheit der Menschen in
Kuba nach wie vor die Revolution. Aber nur die demokratische Kontrolle
unter Leitung der Arbeiterklasse kann die Wurzel der Konterrevolution
und deren Humus, die Bürokratie, beseitigen. Lasst uns nicht vergessen:
es war die bürokratische Misswirtschaft, gepaart mit Korruption, die
die UdSSR in den Abgrund und 1991 in die kapitalistische
Konterrevolution führte. "Zurück zu Lenin" sollte unser Motto sein.
Echter Sozialismus kann nicht ohne die grundlegenden demokratischen
Rechte, wie etwa Meinungsfreiheit, existieren. Marxisten haben nie
behauptet, dass ein monolithisches Ein-Parteien-System ein Pfeiler des
Sozialismus sei. Auch in Kuba wäre es möglich, jedermann oder jeder
Gruppe umfassende Freiheit zu gewährleisten, solange diese die
Verstaatlichung der Produktionsmittel akzeptieren.
Dieses Programm sollte auf Kuba praktisch umgesetzt werden. Die
Revolution würde dadurch gestärkt, und nicht gefährdet, und die
konterrevolutionären Kräfte in Kuba könnten besiegt werden. Aber dies
würde die reale Miteinbeziehung der Arbeiter in die Prozesse von
Wirtschaft und Staat verlangen. Es würde sozialen Fortschritte bringen
und die Beseitigung von Privilegien und von Bürokratie. Die
Errungenschaften der Revolution sind immer noch im Gedächtnis der
Bevölkerung präsent. Man muss nur den Blick auf die karibische bzw.
lateinamerikanische Nachbarschaft richten um zu sehen, was eine
Rückkehr zum Kapitalismus bedeuten würde. Die Aussicht, eventuell
wieder zum Status einer de facto US-Kolonie degradiert zu werden, muss
für die meisten Kubaner eine grauenhafte Vorstellung sein. Dies würde
eine Rückkehr zum Unrecht der Vergangenheit bedeuten.
Ein weitere wichtige Bedingung, um die konterrevolutionäre Offensive
erfolgreich zurückzuschlagen, ist die Notwendigkeit, die Revolution
weltweit auszudehnen, beginnend mit den Ländern Süd- und
Mittelamerikas. Die negativen Erfahrungen selbst der großen ehemaligen
UdSSR zeigen deutlich, daß es unmöglich ist, den Sozialismus in nur
einem Land zu errichten. Momentan ist die (revolutionäre) Situation auf
dem lateinamerikanischen Subkontinent sehr günstig, wie die neuen
revolutionären Entwicklungen in Venezuela, der Sieg von Lula in
Brasilien, die Proteste in Bolivien, in Ecuador, in Kolumbien und in
Argentinien, zeigen. Aber leider setzt Castro, anstatt die
revolutionären Aufbrüche in Lateinamerika zu unterstützen, auf die
diplomatische Karte und hofft bestenfalls auf internationalen Druck zum
Abbau des gegen Kuba verhängten Embargos. Aber diese Rechnung wird
nicht aufgehen.
Castro hat vermutlich Angst davor, den US-Imperialismus zu reizen. Aber
mit dieser Politik wird er wahrscheinlich das Gegenteil dessen
erreichen, was eigentlich gewollt war. Solange die Revolution in den
engen Grenzen Kubas eingeschlossen bleibt, läuft sie Gefahr, erdrückt
zu werden. Und genau das ist es, was der US-Imperialismus erreichen
möchte: Die Niederlage der kubanischen Revolution wäre ein harter
Schlag gegen die Revolution im gesamten Lateinamerika. Doch es scheint,
als blicke Castro nach China. Er möchte eine neue Form von
"Mischwirtschaft" installieren. Aber kein System kann lange in einer
halbe-halbe Situation, zwischen Kapitalismus und einer Planwirtschaft,
überleben. Die eine Methode würde die andere früher oder später
beherrschen.
Ein kapitalistisches Regime in Kuba trüge das Antlitz einer
skrupellosen Diktatur, die wiederum unter dem Joch des US-Imperialismus
diesem zu Kreuze kriechen würde. Das muß um jeden Preis verhindert
werden. Es ist die Barbarei, die der Imperialismus für Kuba bereithält,
sollte er die Insel unter seine Fuchtel bekommen. Was die
amerikanischen und britischen Truppen kürzlich im Irak angerichtet
haben, ist ein Vorgeschmack darauf, was die Zukunft für alle jene
Länder bereithält, die unter ihre Herrschaft fallen. In letzter
Konsequenz kann Kuba nicht ohne die Ausdehnung der Revolution auf ganz
Lateinamerika überleben. Es gibt keine Alternative: langfristig kann es
nur die Errichtung einer echten Arbeiterdemokratie in Kuba als ersten
Schritt in Richtung zu einer sozialistischen Föderation aller Länder
Amerikas geben; oder aber es kommt zu einer kapitalistischen
Konterrevolution mit schlimmen Folgen für die arbeitende Bevölkerung
Kubas.
Erschienen in www.marxist.com im Mai 2003
Übersetzung: Torsten Tullius