Knapp 5 Jahre nach ihrer Gründung befindet sich die Front Gauche (Linksfront) in einer tiefen Krise. In nicht wenigen Städten hat die Linksfront – übrigens ebenso wie die PCF (Französische Kommunistische Partei) und die Parti die Gauche (PG) - keine Listen, um im März 2014 bei den ersten seither stattfindenden Kommunalwahlen teilzunehmen.
Zudem hat Mitte Dezember die PG angekündigt, innerhalb von 4 Monaten ihre Beteiligung an der Parti de la Gauche Européenne niederzulegen. Diese Gruppierung ist ein Zusammenschluss etlicher linkssozialistischer und kommunistischer Parteien auf europäischer Ebene. Soeben wurde an dessen Spitze Pierre Laurent wiedergewählt. Wozu dieser Rückzug?
Pierre Laurent hat den Vorschlag einer gemeinsamen Liste der Parti Socialiste und der PCF beim ersten Durchgang der Kommunalwahlen in Paris unterstützt, so verlautbart die Führung der PG.
In L`Humanité Dimanche vom 19. Dezember hat Cédric Clérin sich folgendermaßen geäußert: „Will die PG denn die Haut der Linksfront? Den Eindruck könnte man haben, so wie die Trennungsgesten sich häufen!“ Ihrerseits bekräftigt die PG, die Führung der PCF sei für die Zuspitzung verantwortlich und bringe die Linksfront in Gefahr.
Die Aktivisten und die Sympatisanten der Linksfront haben nicht selten ihre liebe Not im Kreuzfeuer der kritischen Öffentlichkeit. Was die inneren Vorgänge in der Linksfront während der zurückliegenden Monate immer unverständlicher macht ist das Gewirr unterschiedlicher realpolitischer Tendenzen und Forderungen, die – sowohl in der PCF wie auch in der PG – vor allem ideologischer Natur sind, sodass die Schachzüge und Stellungnahmen mehr oder weniger gekünstelt ausfallen.
So wurden beispielsweise bezüglich der Kommunalwahlen alle möglichen politischen Begründungen und hehren Grundsätze aufgefahren um wahltaktische Entscheidungen zu rechtfertigen, die im Wesentlichen nur von einem Willen beseelt sind: nämlich für die eigene Richtung so viele Listenplätze wie irgend möglich zu ergattern und damit Geld, Prestige usw.
Mit der Entscheidung, ihre Mitwirkung in der PGE vorläufig einzustellen, hat die Führung der PG eine sehr einfache Haltung bezogen, die unseren Kampf keinen Millimeter voranbringen kann. Die Arbeiterschaft kennt die PGE nicht, und die internationalen Fragen interessierten sie kaum. Dieser Schritt der PG kann nicht dazu beitragen, ihnen etwas über ihre Ideen oder ihr Programm zu vermitteln. Sie hat tausend Probleme und tausend Hoffnungen.
Die Haltung gegenüber der Regierung
Es bleibt, dass in alledem wenngleich in sehr konfuser Weise auch die tatsächlichen politischen Unterschiede zwischen den Richtungen der PCF und der PG zutage treten. Und der grundsätzliche Unterschied lag in der Einstellung zu einer etwaigen Regierungsverantwortung. Wir schreiben „lag“ und nicht „liegt“, denn mit etwas Abstand betrachtet scheint sich die Haltung der PCF-Führung in den letzten Wochen zu wandeln. Sowohl die PCF als auch die PG kritisieren die Sparpolitik der sozialdemokratischen Regierung unter Francois Hollande, aber im allgemeinen geht die PG damit strenger ins Gericht als die PCF. Dieser unterschiedliche Tonfall ist aber zumindest nach den Maßstäben der Mehrzahl der Arbeiter keineswegs nur eine Äußerlichkeit. Hier werden die Worte gegenüber Francois Hollande und seinen Ministern nicht auf die Goldwaage gelegt. Die Linksfront muss als Sprachrohr für diesen Zorn fungieren. Aber bis zum Dezember 2013 gab es noch einen feinen Unterschied in der Auffassung der Aufgaben und der politischen Ziele der Linksfront gegenüber der Regierung.
Seit den allerersten Maßnahmen der Regierung Hollande im Jahr 2012 hat die PCF-Führung einen Kurswechsel und eine wahrhaft linke Politik gefordert. Diese Formel kehrt seither unablässig in der öffentlichen Propaganda der Partei wieder. Die ist für sich.genommen nicht verkehrt. Aber in Anbetracht des Handelns der Regierung ist sie vollkommen abgekoppelt von der tatsächlichen Stimmung der arbeitenden Klasse, die schnell begriffen hat, dass Francois Hollande sie im Stich lässt, dass er sich nur mehr um das Wohl der Begüterten kümmert und damit im Grunde die Politik seines Vorgängers Nicolas Sarkozy fortführt. Sie glauben schon längst nicht mehr an eine Linkswende der Regierung. In der Tat hat seine Ausrichtung sich kein bisschen nach links gewendet, vielmehr deutlich nach rechts. Hinsichtlich der Wirksamkeit der Appelle der PCF an die Regierung hat die Arbeiterklasse sich daher keinen Illusionen hingegeben. Und damit hatten sie vollkommen Recht.
Im Bewusstsein dieses Problems hat die Parteiführung mit schöner Regelmäßigkeit erklärt, man müsse den Kurswechsel gegenüber der Regierung durchsetzen, und zwar mittels Mobilisierung der arbeitenden Klasse. Die Linksfront wurde somit als ein Druckmittel hingestellt, welches die Arbeiterbewegung gegenüber der sozialistischen Regierung einsetzen könnte um deren Politik eine linke Ausrichtung zu verleihen. Aber diese Vorstellung ist ziemlich wirklichkeitsfern. Alle Erfahrung der letzten Jahre mit Linksregierungen in Europa zeigt, dass in Wahrheit angesichts der tiefen Krise des kapitalistischen Systems und der prokapitalistischen Degeneration der „sozialistischen“ Funktionäre weder Massendemonstrationen noch 24stündige Generalstreiks von noch so großer Breite die Politik der „Linksregierungen“ auch nur geringfügig beeinflussen können. Das ist zahlreichen französischen Arbeitern aufgefallen.
Die Führungskräfte der PS (Sozialistische Partei) unterscheiden sich in nichts von ihren Entsprechungen in Griechenland, Spanien oder Portugal. Kaum sind sie an der Macht, wenden sie sich mit gleicher Härte gegen die machtvolle Mobilisierung der Jugend und der Arbeiterschaft. Völlig der Marktwirtschaft hörig werden Hollande und seine Minister den Kelch bis zur Neige leeren, bis sie das bei den Wahlen teuer zu stehen kommt. Eine Regierung, die das kapitalistische System billigt, muss auch seinen Gesetzen Folge leisten. Im Zusammenhang der gegenwärtigen Krise heißt das, die von der herrschenden Klasse vorgeschriebene Sparpolitik muss ausgeführt werden. Hollande, Ayrault und ihresgleichen setzen sie mit Begeisterung in die Tat um.
Die Linksfront muss sich somit vor der Arbeiterklasse als linke Alternative zur Regierung Hollande darstellen, das heißt als eine politische Kraft, die bereit ist, sich mit der PS anzulegen – und nicht als einfacher Vermittler eines „Druckes“, der auf die Linke ausgeübt wird. Dies ist die – formell tadellose – Haltung der PG-Führung praktisch seit dem Amtsantritt von Francois Hollande. Wie gesagt war ein Kurswechsel der PCF-Führung zu bemerken, seit Francois Hollande am 31.12. vorigen Jahres seine „Wünsche“ an das französische Volk – vor allem an die großen Arbeitgeber – gerichtet hat.
Zum Beispiel die „Wünsche“ von Pierre Laurent am 13. Januar, der mit folgenden Worten darauf verzichtete, die Regierung zum Kurswechsel aufzufordern: „es ist nicht an der Zeit (von der Regierung) zu verlangen, was nicht kommen wird“. Ebenso hat er dazu aufgerufen, „die großen Linien einer sozialistischen Alternative zu ziehen“. Andere Gruppierungen sind halbherziger. Aber die Wendung ist zu bemerken – und willkommen, sofern sie sich dann auch festigt.
Die Haltung der PG
Doch das bleibt abzuwarten, die Haltung der PCF scheint sich also in dieser Frage der der PG anzunähern. Es bleibt aber dabei, dass die Haltung der PG-Parteispitze alles andere als zufriedenstellend ist. Sie werfen - zumindest verbal - der Führung der PCF vor, durch die vielen Bündnisse mit der PS im Vorfeld des ersten Durchgangs der Kommunalwahlen die Glaubwürdigkeit der Linksfront zu untergraben. Aber gleichzeitig wendet sich die Führung der PG ihrerseits der EELV (Grüne) zu und schließt zahlreiche Bündnisse mit dieser Partei. Das ist jedoch ein schwerer Fehler. Die Grünen sitzen in der Regierung. Bei der letzten rückschrittlichen Rentenreform haben ihre Abgeordneten sich der Stimme enthalten. Ein Zusammenschluss der Linksfront mit einer Regierungspartei kann nur Zweifel und Verwirrung unter der Jugend und der Arbeiterschaft säen, die von der prokapitalistischen Politik der Regierung entmutigt werden. Das gilt für die PS genauso wie für die EELV.
Bestimmte Aktivisten der PG antworten darauf ohne Zögern: „ja, aber die Grünen sind nur der kleine Partner in der Regierung“. Als ob der Opportunismus nach Größe oder Gewicht zu bemessen wäre. Man kann so gut „ein bisschen“ opportunistisch sein wie „ein bisschen“ schwanger.
Jean-Luc Mélenchon hat in seinem Blog schön ausgeführt, dass die PG Bündnisse mit den „Basisstrukturen“ der EELV schmiede, doch das ändert am Gesagten nichts. Nach dieser Logik könnte die PCF der Kritik seitens der PG entgegenhalten: „und wir verbünden uns mit den Basisstrukturen der PS“. Es ist außerdem nicht überraschend, dass ausgerechnet die „Basisstrukturen“ der EELV Bündnisse mit der Linksfront schließen: Diese Partei voller kleinbürgerlicher Karrieristen war jederzeit bereit, sich egal mit wem zu verbünden, sofern für sie dabei Listenplätze heraussprangen. Die Grünen pflegen seit langem das Bild ihrer Unabhängigkeit von der PS, doch ganz im Gegensatz dazu haben sie sich noch jedes Mal gebeugt – im Tausch gegen ein paar Posten. Um zur gegenwärtigen Regierung eine linke Alternative aufzubauen, darf die Linksfront sich nicht an dem morschen Ast der Grünen festhalten. Sie muss sich entschlossen der Masse der Arbeiter, der Jugend und der Erwerbslosen zuwenden, die einen Ausweg aus der kapitalistischen Krise suchen.
Mit dem Kapitalismus brechen
Indem sie eine prokapitalistische Politik betreibt hat die PS ihren eigenen Niedergang besiegelt. In Griechenland ist die PASOK zugunsten der SYRIZA zerfallen. Ein ähnlicher Vorgang könnte in Frankreich bevorstehen, zugunsten der Linksfront. Doch sicher ist das nicht. Die Uneinigkeit und der Opportunismus der Führungen von PCF und PG anlässlich der Kommunalwahlen haben zur Folge, dass das Wachstum der Linksfront stagniert – sowohl hinsichtlich der Wahlaussichten als auch hinsichtlich wirkmächtiger Aktivitäten. Die Begeisterung, die Mélenchons Wahlkampf 2012 entfachen konnte, machte die Radikalisierung eines Teils der Jugend und der Lohnabhängigen sichtbar. Wenn also die Linksfront seither an Schwung verliert dann nicht, weil die Radikalisierung verpufft wäre, sondern weil die Parteiführungen der PCF und der PG ihr keinen angemessenen Ausdruck verliehen haben.
Die Forderungen und das Programm der Linksfront sind in der Sache entschieden. Die 6. Republik und die Haushaltsumgestaltung gehen nicht weit genug. Angesichts der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bedrängnis geben die Leitlinien keine Antwort auf die brennendsten Fragen der Lohnabhängigen, vom Anstieg der Arbeitslosigkeit bis zu dem Flächenbrand von Sozialplänen. Die Linksfront muss offensiv auf die Probleme zugehen und ein Programm vertreten, dass darauf zielt, die wirtschaftliche Macht der Kapitalisten zu brechen. Denn dies ist das einzige Mittel, um die Sparpolitik, die Massenarbeitslosigkeit und den gesellschaftlichen Rückschritt zu beenden. Doch weder die PG, noch die PCF noch auch „Ensemble“, die dritte Kraft in der Linksfront, stehen für ein derartiges Programm. Darin liegt die grundsätzliche Unzulänglichkeit der Linksfront. Wollten sie der Wut und der Verzweiflung der Massen angemessenen Ausdruck verleihen, so müssten die Gliederungen der Linksfront den revolutionären Bruch mit dem kapitalistischen System ins Auge fassen, und eine sozialistische Umgestaltung der Gesellschaft, in der die Wirtschaft der strikten Kontrolle durch die Arbeiterschaft selber unterliegt.
Im Manifest der Kommunistischen Partei schrieb Marx:
„Mit einem Wort, die Kommunisten unterstützen überall jede revolutionäre Bewegung gegen die bestehenden gesellschaftlichen und politischen Zustände. In allen diesen Bewegungen heben sie die Eigentumsfrage, welche mehr oder minder entwickelte Form sie auch angenommen haben möge, als die Grundfrage der Bewegung hervor.“
Anlässe gibt es mehr als genug in Frankreich, um die Eigentumsfrage auf die Tagesordnung zu setzen. Jeden Monat werden weitere Unternehmen geschlossen, neue Sozialpläne aufgelegt.
Die Linksfront müsste die Spitze einer breit angelegten Kampagne zur Mobilisierung der Arbeiterklasse bilden unter dem Motto der Enteignung – ohne Entschädigung der Großaktionäre – all der Kapitalisten, die einzig und allein zur Sicherung ihrer Profitraten Unternehmen schließen oder auslagern.
Jean-Luc Melenchon schrieb unlängst in seinem Blog:
„Wir befinden uns auf einem Weg in die Zukunft, der an die Wurzel der Probleme geht, vor denen das Land steht: die Frage der Neuaufteilung der Güter und des Finanzsystems, welches das regelt.“
Doch die Wurzeln unserer Probleme reichen noch viel tiefer als nur bis zur Neuaufteilung der Güter, sie rühren an das Privateigentum der Kapitalisten an den Produktionsmitteln, um diese Güter zu schaffen. Denn dieses bestimmt und begrenzt notwendigerweise jenes. Aus diesem Grund hat Marx die Eigentumsfrage als die zentrale Frage unserer Bewegung bezeichnet. Um wie viel besser könnten wir die Güter gleichmäßig, vernünftig und dem gesellschaftlichen Fortschritt gemäß verteilen, wenn wir selber gemeinschaftlich über die Produktionsmittel verfügen? Dies ist die große sozialistische Idee, die durch die gegenwärtige Krise erneut auf die Tagesordnung gehoben wird, und derer die Arbeiterbewegung sich annehmen muss.
Seit die Aktivisten von La Riposte diese Ideen in den Gliederungen der PCF vertreten, erwecken sie mitunter Erstaunen unter den Mitstreitern, die sagen: „Das ist zu radikal, die Leute werden das nicht verstehen.“ Aber die Leute verstehen das gerade sowenig, wie auch niemand es ihnen erklärt. Falls es zutrifft, dass nicht die gesamte Arbeiterschaft auf Anhieb das Programm einer sozialistischen Revolution gutheißt, dann wird es dazu kommen, dass eine Gruppe Entschlossener aus Jugend und Lohnabhängigen aufgrund ihrer gemeinschaftlichen Erfahrung ihnen aufzeigt, dass dies der einzige Weg ist, der zu einer tatsächlichen Lösung ihrer Probleme führen kann.