Ein Marxist im Fernsehen

Es kommt ganz selten vor, dass einem Marxisten im TV eine Bühne geboten wird. Und wenn, dann wird sofort die Antikommunismus-Keule ausgepackt. Der britische Marxist Alan Woods (Herausgeber der Website der International Marxist Tendency, www.marxist.com) zeigte vor kurzem, wie man darauf elegant reagiert und auch vor der Kamera revolutionäre Politik offensiv verteidigt.

Anlässlich des 100. Jahrestages der Oktoberrevolution von 1917 und um die völlig neu editierte Erst-Ausgabe von Leo Trotzkis Stalin-Biographie zu präsentieren, tourt Alan Woods derzeit durch Lateinamerika. Neben vielen Buchpräsentationen und Diskussionen mit linken ArbeiterInnen und Studierenden in Argentinien, Brasilien, Mexiko und Paraguay erhielt Alan Woods auch eine Reihe von Möglichkeiten in bürgerlichen Medien seinen Standpunkt zu vertreten. So auch am 1. Oktober, wo er in einer der bekanntesten Fernsehsendungen Paraguays zur Hauptsendezeit eingeladen war.

Der Moderator Luis Bareiro zeigte sich bei dem Interview äußerst korrekt bis freundlich. Doch die Fragen, die er Alan Woods stellte, hatten das eindeutige Ziel, im Hauptabendprogramm dem werten Publikum eine Show zu bieten, wie einst im römischen Amphitheater, als den Löwen ein Todgeweihter vor die Füße geworfen wurde.

In seiner ersten Frage wollte Bareiro wissen, ob die Ideen von Karl Marx heute noch Relevanz haben. Alan Woods antwortete damit, indem er das „Kommunistische Manifest“ als „das modernste Dokument, das heute existiert“ bezeichnete.
Aber wie steht es um den Begriff von der „Diktatur des Proletariats“, bohrte Bareiro nach. Alan Woods wies darauf hin, dass der Begriff „Diktatur” zu Marx' Lebzeiten anders besetzt war als heute, wo man damit die Regime von Hitler, Mussolini, Stalin oder Franco assoziiert. Für Marx war die Pariser Kommune von 1871 das Vorbild für sein Konzept einer ‚Diktatur des Proletariats`, sprich einer Arbeiterdemokratie, die ‚weit entfernt von der Idee eines totalitären Regimes ist!‘”

Dann hakte Bareiro nach:

„Gibt es heutzutage irgendein Land, das man als marxistisch bezeichnen kann?“

„Auf diese Frage kann ich kurz und bündig antworten: nein, kein einziges.“

„Nordkorea?“
„Das ist eine stalinistische Diktatur, die nichts gemein hat mit dem demokratischen System unter den Bolschewiki.“

„China?“
„China ist heute ein kapitalistisches Land, wo die Arbeiter brutal ausgebeutet werden, wie zu den Lebzeiten von Marx und Charles Dickens.“

Der Moderator wechselte dann das Thema. In Paraguay operiert eine linksterroristische Organisation namens EPP. Er wollte wissen, ob diese Gruppe etwas mit dem Marxismus gemein habe.

„Absolut nichts. Der russische Marxismus entstand aus dem unerbittlichen Kampf gegen den individuellen Terrorismus. Doch meine Ablehnung des Terrorismus hat nichts zu tun mit Gefühlsduselei oder Moralismus. Meine Ablehnung dieser Methoden ergibt sich rein aus der Tatsache, dass sie nicht funktionieren und konterproduktiv sind. In Lateinamerika haben sie zu einem Desaster geführt, mit dem Tod von rund 100.000 Menschen und der Errichtung brutaler Militärdiktaturen.“

„Venezuela?“

„Venezuela zeigt, dass man nicht eine halbe Revolution machen kann. Entweder man zerstört die Macht der Oligarchie, oder die Oligarchie wird uns zerstören. Jetzt stehen wir vor der ernsthaften Gefahr, dass dies passieren wird. Natürlich werden wir die Bolivarische Revolution gegen die Konterrevolution verteidigen, aber das bedeutet nicht, dass wir mit der Politik von Maduro übereinstimmen, die ja erst zu der gegenwärtigen Situation geführt hat...“

„Wie wollen Sie die Macht der Oligarchie zerstören? Wollen Sie alles verstaatlichen?“

„Nein, schaue ich wie ein Extremist aus? Ich halte mich für eine sehr gemäßigte Person. Ich möchte nur drei kleine Dinge verstaatlichen.“
„Was wären diese drei?“
„Grund und Boden, die Banken und die großen Monopole. Das genügt, um die Wirtschaft planen zu können.“

„Und Sie wollen, dass alle gleich viel verdienen?“

„Nein. Es wird Unterschiede geben zwischen Hilfsarbeitern und hoch ausgebildeten Arbeitskräften, wie Ärzten, Wissenschaftlern, Ingenieuren usw. Doch es kann nicht eine Situation akzeptiert werden, wo ein Prozent der Weltbevölkerung mehr Vermögen hat als die ärmere Hälfte der Menschheit. Noch dazu, wo dieses eine Prozent, die die Produktionsmittel besitzt, keine auch nur irgendwie geartete produktive Funktion einnehmen.“

„Und die Medien?“

Alan Woods wies dann darauf hin, dass die Medien überall von den Reichen und Mächtigen besessen und kontrolliert werden, und dass es daher notwendig ist, den Reichen diese Macht zu entreißen, um allen demokratischen Parteien, den Gewerkschaften und Gruppierungen entsprechend ihrer realen Unterstützung in der Gesellschaft Zugang zu den Kommunikationsmitteln zu sichern. Alan Woods fasste seine Position so zusammen: „Sagen wir, ich bin für die Demokratisierung der Medien.“
Kurz vor der letzten Werbeeinschaltung kündigte Bareiro einige weitere Themen an, zu denen er Alan Woods noch befragen wollte, darunter die Genderfrage, die von den Rechten in Paraguay gerne ins Treffen geführt wird, um die Linke zu diskreditieren.

Dann kam es jedoch zu einem überraschenden Ende.

Während des Programms erhielt Bareiro mehrere Anrufe, deren exakten Inhalt man nur erraten kann. Doch Alan Woods Anmerkung zur Frage der Eigentumsverhältnisse in den Medien dürfte der Tropfen gewesen sein, der das Fass zum Überlaufen brachte.

Es gab noch eine kurze Frage zur Genderthematik, worauf Alan Woods antwortete, dass er für die Befreiung der Frau eintritt, aber Theorien ablehnt, die zu einer Spaltung entlang von Gender-Kategorien führen, und dann dankte der Moderator Alan Woods für sein Kommen und erklärte das Interview für beendet. Kurzerhand wurde die Sendung dann abgedreht. So viel zur Freiheit der Presse.

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