Millionen von Menschen weltweit haben kollektiv mit Entsetzen reagiert, als ein IDF-Luftangriff in Rafah ein Zeltlager für vertriebene Zivilisten verwüstete und mindestens 45 Menschen getötet hat. Die sozialen Medien sind voll mit Bildern von verbrannten und zerstückelten Männern, Frauen und Kindern, die im Schlaf ermordet wurden. Lenin schrieb einmal, dass der Kapitalismus Schrecken ohne Ende ist: In Gaza werden diese Worte in der Sprache von Feuer und Blut geschrieben, so dass die ganze Welt sie sehen kann.
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Die Stadt Rafah sollte als Zufluchtsort für Palästinenser dienen, die durch Israels unerbittlichen Krieg gegen den Gazastreifen, der bereits Gaza-Stadt in Schutt und Asche gelegt und mindestens 100’000 Menschen getötet oder verstümmelt hat, vertrieben wurden. Doch der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu droht seit langem mit einer Invasion der südlichen Stadt und behauptet, dies sei notwendig, um Israels Kriegsziel, die Zerstörung der Hamas, zu erreichen.
Trotz wochenlanger Ausflüchte und des Drucks von Israels Verbündeten im Westen, die Operation nicht fortzusetzen (nicht etwa aus Sorge um die Palästinenser, sondern aus Angst, dass die Situation ausser Kontrolle gerät), begann sie vor drei Wochen mit der Einnahme des Grenzübergangs zu Ägypten durch Israel. Seitdem wurde die Stadt aus der Luft schwer bombardiert, und Panzer sind in ihr Zentrum gerollt.
Allein in den letzten drei Wochen sind eine Million Palästinenser aus Rafah geflohen. Wohin sollen diese verzweifelten Menschen jetzt gehen? Alles, was sie weiter nördlich erwartet, sind zerbombte Trümmer, nicht explodierte Sprengkörper und das völlige Fehlen grundlegender Infrastruktur wie sanitäre Anlagen. Die Hilfslieferungen wurden reduziert, und der Hunger ist weit verbreitet.
Und wie wir bei den tragischen Ereignissen vom Sonntag gesehen haben, werden sie selbst in den «sicheren» Gebieten der Stadt von 2000-Pfund-Bomben, die mitten in der Nacht auf ihre Köpfe abgeworfen werden, in Stücke gerissen oder lebendig verbrannt. Mit anderen Worten: Sie haben die Wahl, an Ort und Stelle zu bleiben und den Tod zu riskieren; oder zu fliehen und den Tod zu riskieren.
Trotz gegenteiliger Augenzeugenberichte bestreitet Israel, dass der Angriff in der humanitären Zone in al-Mawasi stattfand Das Statement der IDF behauptet, dass «Massnahmen» ergriffen worden seien, um Kollateralschäden zu vermeiden, und fügt hinzu, dass sie «jeglichen Schaden für unbeteiligte Zivilisten während der Kampfhandlungen bedauern».
Wie üblich verband die IDF ihre fadenscheinige Bekundung des «Bedauerns» mit dem Versprechen, eine «Untersuchung» durchzuführen. Wir haben dieses Lied schon oft gehört: Jedes Mal, wenn ein Kriegsverbrechen begangen wird, schiebt die IDF die versprochene Untersuchung auf die lange Bank, bevor sie zu dem Schluss kommt, dass kein Fehlverhalten vorlag. So war es zum Beispiel nach der Ermordung der beliebten palästinensischen Journalistin Shireen Abu Akleh durch einen IDF-Scharfschützen Es gibt viele Beispiele für diese Vorgehensweise und keinen Grund, jetzt etwas anderes anzunehmen.
Netanjahu opfert Leben für seine politische Karriere
In einem selteneren Schritt hat Netanjahu eine persönliche Erklärung vor dem israelischen Parlament abgegeben, in der er den Bombenanschlag als «tragischen Fehler» bezeichnete und das Versprechen der Armee wiederholte, den Vorfall zu untersuchen. Diese Haltung Netanjahus, der normalerweise keine Reue über den Tod von Palästinensern zeigt, spiegelt den Druck der öffentlichen Meinung wider. Sie ist ein Beweis für die grosse Wut, die diese jüngste Gräueltat ausgelöst hat.
Netanjahus Überlegungen sind in erster Linie innenpolitisch motiviert. Er ist mit zunehmender Frustration über den Verlauf des Krieges konfrontiert, in dem es offensichtlich weder gelungen ist, die Hamas zu zerstören, noch gibt es Fortschritte bei der Rückkehr der israelischen Geiseln, die von dieser Organisation festgehalten werden. Angesichts seiner Umfragewerte und der Tatsache, dass der grösste Oppositionsblock um Benny Gantz mit vorgezogenen Neuwahlen droht, sobald der Krieg zu Ende ist, weiss Netanjahu, dass seine Zukunft von einer Fortsetzung des Konflikts abhängt.
Gleichzeitig ist seine Koalitionsregierung auf die Unterstützung rechtsextremer ultrazionistischer Gangster wie Itamar Ben-Gvir und Bezalel Smotrich angewiesen. Sie wollen eine neue Nakba mit der totalen Liquidierung und/oder Vertreibung der Palästinenser im Gazastreifen und in den besetzten Gebieten. Diese extremen Reaktionäre haben damit gedroht, die Regierung Netanjahu zu stürzen und Neuwahlen zu erzwingen, sollte es zu irgendeinem Fortschritt in Richtung eines dauerhaften Waffenstillstands kommen.
Darüber hinaus steht Netanjahu im Mittelpunkt mehrerer Gerichtsverfahren wegen Korruption, die er hinauszögern kann, solange er im Amt bleibt. Daher ist er fest entschlossen, eine vollständige Invasion von Rafah durchzuführen und den Krieg so lange wie möglich am Laufen zu halten, mit all dem Tod und der Zerstörung, die dies mit sich bringen wird. Mit anderen Worten: Netanjahu erkauft sich mit dem Blut Tausender unschuldiger Palästinenser einen Rettungsanker für seine politische Karriere und seine persönliche Freiheit.
Die Folgen dieser Unnachgiebigkeit reichen weit über die Grenzen Israels hinaus. Die arabischen Massen im gesamten Nahen Osten empfinden ein tiefes Gefühl der Sympathie und Solidarität mit den Palästinensern. Jeder neue Schrecken, den die IDF in Gaza auslöst, verstärkt die Wut, die unter den Füssen der despotischen Regime von Jordanien, Ägypten, Kuwait, Saudi-Arabien und so weiter brodelt.
Die kapitalistischen Diktatoren, die an der Spitze dieser Länder stehen, wurden alle durch den Gaza-Krieg blossgestellt. Während sie Lippenbekenntnisse über die Misere ihrer «muslimischen Brüder» ablegen, befanden sich alle von ihnen vor dem Konflikt in einem Prozess der «Normalisierung» der Beziehungen zu Israel. In der Folge haben sie bestenfalls nichts getan, um den Palästinensern zu helfen, und schlimmstenfalls das zionistische Regime direkt unterstützt. Im Falle der Militärjunta in Ägypten und des jordanischen Königshauses indem sie als Grenzschutz dienen, um die Palästinenser einzukesseln; oder im Falle der Saudis indem sie helfen, Israel vor Raketen zu schützen, die von den Houthi-Truppen als Vergeltung für das Massaker an den Palästinensern abgefeuert werden.
Dort, wo in diesen Ländern Proteste ausgebrochen sind, um Massnahmen zum Schutz der Palästinenser zu fordern, wurden staatliche Streitkräfte eingesetzt, um sie zu unterdrücken, was zu den wachsenden Ressentiments beiträgt. Wenn Netanjahu den Einsatz weiter erhöht, wird es für diese Regime immer schwieriger, den Druck innerhalb der Gesellschaft einzudämmen. Es besteht die Gefahr, dass der Krieg aus dem Gazastreifen überschwappt oder eine neue revolutionäre Welle auslöst, wie die, die den Nahen Osten nach 2011 überschwemmt hat, aber auf einem noch höheren Niveau.
Imperialisten besorgt über die sich zuspitzende Situation
Diese Möglichkeit ist den Imperialisten im Westen nicht entgangen, die zunehmend über die Auswirkungen des rücksichtslosen israelischen Vorgehens in diesem Krieg beunruhigt sind. Das Letzte, was sie wollen, ist ein breiterer Krieg oder eine revolutionäre Explosion, die ihre Interessen in der Region bedrohen oder die schwache Weltwirtschaft in den Abgrund reissen könnte.
Sie sind auch besorgt über ihre innenpolitische Lage. In einem Land nach dem anderen gab es sieben Monate lang ununterbrochene Proteste in Solidarität mit Gaza. Diese Bewegung erhielt zusätzlichen Auftrieb durch eine starke Welle von Uni-Besetzungen an über 100 Universitäten weltweit. Dieser Kampf hat brutale polizeiliche Repressionen, Verleumdungen in der Presse und unbegründete juristische Angriffe über sich ergehen lassen müssen, während Israel jeden Grundsatz des Völkerrechts verhöhnt.
All dies hat die Entrüstung der Arbeiter und Jugendlichen weltweit nur noch verstärkt und die so genannte kapitalistische Demokratie entlarvt, in der freie Meinungsäusserung und Protest solange erlaubt sind, bis die Interessen der Imperialisten und ihrer Verbündeten bedroht sind.
Die schrecklichen Szenen, die sich in Rafah abspielen, giessen weiter Öl ins Feuer. Sie haben die herrschende Klasse im Westen in Panik versetzt. Politiker, die Israel bisher bis zum Äussersten unterstützt haben (darunter der französische Präsident Macron und der britische Aussenminister Cameron), kritisierten plötzlich die IDF und forderten einen Waffenstillstand. Zuvor hatte der Internationale Strafgerichtshof der Staatsanwaltschaft erlaubt, Haftbefehle gegen Netanjahu und Verteidigungsminister Yoav Gallant wegen Kriegsverbrechen zu beantragen, und Israel angewiesen, seine Operationen in Rafah einzustellen.
Israels Politiker antworteten in typischer Manier mit Verachtung und warfen dem höchsten Gericht der Welt vor, „antisemitisch“ motiviert zu sein. Auf die Anerkennung des palästinensischen Staates durch die Irland und Spanien reagierte Tel Aviv, dass dies einer „Belohnung des Terrorismus“ gleichkomme.
US-Präsident Joe Biden hat Israel zwar erneut in Schutz genommen, doch der US-Imperialismus wird immer ungehaltener ob seines wichtigsten Verbündeten im Nahen Osten. Strenge Worte bringen Netanjahu nicht von seinem derzeitigen Kurs ab. Die Amerikaner sind jedoch nicht zu mehr als strengen Worten gegenüber Israel bereit. Alle westlichen Regierungen fahren fort, Israels Krieg in Gaza zu bewaffnen und zu finanzieren, trotz der Krokodilstränen, die jetzt über die verkohlten Leichen in Rafah vergossen werden. Sie sind mit dem mörderischen zionistischen Regime von Netenyhau verbandelt, und nicht bereit, ernsthafte Massnahmen zum Schutz der Palästinenser zu ergreifen.
Die sorgenvollen Erklärungen der letzten Tage sind ein Zugeständnis an die Massen in der Heimat. Gaza spielt bei etlichen Wahlen eine Rolle, darunter auch in Grossbritannien und den USA, wo die wichtigsten Parteien gezwungen wurden, zumindest Lippenbekenntnisse ob den Wert des palästinensischen Lebens abzugeben.
Diese ekelhafte Heuchelei rührt daher, dass die Palästina-Frage zu einem Faktor des weltweiten Klassenkampfes geworden ist. Angesichts der allgemeinen Krise des Kapitalismus ist sie zu einem Blitzableiter der Wut und Unzufriedenheit über endlose Kriege, Armut, Instabilität und Ungerechtigkeit geworden.
Das bedeutet, dass die einzige Möglichkeit, den Palästinensern zu helfen, darin besteht, dass die Arbeiter und die Jugend in jedem Land der Erde den Kampf gegen ihre imperialistischen herrschenden Klassen aufnehmen. Eine koordinierte Streikkampagne in den Schlüsselindustrien die sich zu einem politischen Generalstreik gegen die Kriegstreiber entwickelt, könnte die israelische Kriegsmaschinerie isolieren. Wir brauchen einen revolutionären Kampf im Nahen Osten und in der ganzen Welt, um die Palästinenser von ihrem Alptraum zu befreien und dem kapitalistischen System, der eigentlichen Ursache ihres Elends, ein Ende zu setzen. Wir haben keine Zeit zu verlieren.