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Parlamentswahlen in Irland: Sinn Féin wird stärkste Kraft

Die Ergebnisse der Parlamentswahlen vom 8. Februar 2020 zeigen, dass Irland in Bezug auf die politische Polarisierung und den Niedergang der Mitte den Rückstand gegenüber dem Rest Europas aufgeholt hat. Eine neue Periode der Instabilität hat begonnen, die als Auftakt zur Irischen Revolution dienen wird.

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Die Parlamentswahlen in Irland haben den beiden wichtigsten bürgerlich-kapitalistischen Parteien einen historischen Schlag versetzt und das traditionelle Zwei-Parteien-System außer Gefecht gesetzt. Sinn Féin hat mit 24,5 Prozent den höchsten Stimmenanteil erhalten und damit sowohl Fine Gael als auch Fianna Fáil übertroffen, die 22,2 bzw. 20,9 Prozent erreichten.

Auch die Grüne Partei hat einen Anstieg auf über sieben Prozent erlebt. Das Zwei-Parteien-System in Irland hatte sich seit 1932 mit einen politischen Machtwechsel zwischen Fine Gael und Fianna Fáil gehalten, doch seit 2008 ist dieses System in eine Krise geraten. Diese Wahl stellt jedoch einen Wendepunkt dar. Die irischen Arbeiter und Jugendlichen haben die beiden wichtigsten Parteien und den von ihnen vertretenen, von Austerität geprägten Status quo mit Nachdruck abgelehnt. In der Vergangenheit appellierte Fianna Fáil bei Bedarf an die Linke, während Fine Gael sich dem Rechtspopulismus zuwandte. Aber keine dieser Parteien war jemals an einer wirklichen Veränderung interessiert und es sieht so aus, als ob ihre Vorherrschaft vorüber sein könnte. Dies ist Teil eines europäischen, ja weltweiten Zusammenbruchs der so genannten „politischen Mitte“.

Das Establishment wurde diskreditiert

Irland ist einzigartig in Westeuropa, da das Land noch nie eine linke Regierung hatte und von der herrschenden Klasse Europas als eine wertvolle Ausnahme zu den politischen Polarisierungsphänomenen nach 2008 angesehen wurde. Irland hat nun mit einem Knall aufgeholt. Die Bankenkrise von 2008 traf Irland besonders hart, und seine Wirtschaft geriet in eine schwere Rezession und rutschte in das, was Ökonomen eine Depression nannten. Um die Kreditaufnahme und die Ausgaben niedrig zu halten und in dem verzweifelten Versuch, den Haushalt auszugleichen, haben beide Parteien des Establishments der Arbeiterklasse brutale Kürzungen und Sparmaßnahmen auferlegt.

Bis 2016, nach acht Jahren dieser Angriffe aufeinanderfolgender Regierungen, fiel der gemeinsame Stimmenanteil der beiden Parteien erstmals unter 50 Prozent. Die einzige Möglichkeit, eine zuverlässige Regierung zu bilden, bestand darin, dass sie sich durch Abkommen für eine Minderheitsregierung aufeinander verließen.

Dies war für die herrschende Klasse notwendig, da dies der einzige verlässliche Weg war, Sparmaßnahmen durchzusetzen, die Unternehmenssteuer und die öffentlichen Ausgaben niedrig zu halten und die wieder auftauchende nationale Frage zu bewältigen. Diese nationale Frage wird durch den Brexit und die völlige Unbeholfenheit und Unfähigkeit sowohl im Stormont, dem nordirischen Parlament, als auch in Westminster noch verschärft. Aber diese Zeit der stabilen Regierung hatte ihren Preis, den die herrschende Klasse jetzt zu zahlen hat. Durch ihre Mitgliedschaft in einer „Großen Koalition“ haben Fine Gael und Fianna Fáil offen gezeigt, wie ununterscheidbar ihre Politik ist und dass keine der beiden Parteien etwas zugunsten der Arbeiterklasse ändern wird. Trotz der Tatsache, dass Fine Gael wollte, dass diese Wahl zu einem Referendum über Umgang des bisherigen Regierungschefs Leo Varadkas (Fine Gael) mit dem Brexit wird, rückten Klassenfragen in den Vordergrund und zeigten den starken Linksruck in der irischen Gesellschaft. Dies spiegelte sich in den Antworten bei den ersten Umfragen wider, in denen Alltagsfragen dominierten. Von den Hauptgründen, die die Menschen für ihre Stimmabgabe angaben, nannten 32 Prozent die Gesundheitsfürsorge und 26 Prozent sagten, dass Wohnen/Obdachlosigkeit der wichtigste Entscheidungsfaktor für ihre Stimmabgabe sei. Der Brexit stand mit nur einem Prozent sehr weit unten auf der Tagesordnung. Es gibt einen wachsenden Klassenzorn über die Verschlechterung der Lebensbedingungen und der wirtschaftlichen Situation in Irland. Jüngste Berichte zeigen, dass 15,7 Prozent der irischen Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze leben, das entspricht 760.000 Menschen. Es gibt eine anhaltende Immobilienkrise, zumal die Mieten in Dublin jetzt höher sind als in Tokio oder Singapur. Die Immobilienpreise sind in sieben Jahren um 86 Prozent gestiegen. Fast 10.000 Menschen leben in Notunterkünften und gelten nach Angaben der Regierung als obdachlos.

Im Vorfeld der Wahl dominierten Schlagzeilen, wie zum Beispiel die Geschichte eines Obdachlosen, der mit lebensbedrohlichen Verletzungen zurückgelassen wurde, nachdem sein Zelt von einem Fahrzeug der Stadtverwaltung abgeräumt wurde, während er in einer Kiste in der Nähe eines Dubliner Kanals schlief. Im Gesundheitswesen hat es im vergangenen Jahr historische Streiks gegeben, bei denen Krankenschwestern, Pfleger und Rettungssanitäter eine bessere Bezahlung und bessere Arbeitsbedingungen forderten. Diese Streiks fanden bei Millionen von Arbeitern Widerhall und erhielten die Unterstützung einer Bevölkerung, die die rekordverdächtigen Wartezeiten in den Krankenhäusern und den chronischen Mangel an Krankenhausbetten satt hat. Es ist nicht überraschend, dass die „Krise im Gesundheitswesen“ für viele Menschen ganz oben auf der Tagesordnung stand.

Sinn Féin erfasst die Stimmung

Sinn Féin hat bei dieser Wahl diesen Zorn wirkungsvoll aufgegriffen, so lauteten ihre Wahlparolen: „Den Arbeitern und Familien eine Pause geben“ und „Die Menschen wollen Veränderung, Sinn Féin kann diese Veränderung herbeiführen“. Die demonstrativen Ankündigungen, jedem Mieter jedes Jahr eine kostenlose Monatsmiete anzubieten, die Grundsteuer abzuschaffen, die Steuern für Geringverdiener zu senken und mit 65 Jahren die staatliche Rente zu beziehen, waren sehr populär. Mary Lou Mcdonald, die Vorsitzende von Sinn Féin, sagte in einer Fernsehdebatte der Spitzenkandidaten über ihre beiden Konkurrenten, Taoiseach (Regierungschef) Leo Varadkar und Fianna Fáil-Führer Micheál Martin:

„Wenn man diesen Männern zuhört, kann man sich nicht vorstellen, dass der eine die Wirtschaft zum Absturz gebracht hat, und der andere finanzpolitisch so verantwortungslos ist, dass er das teuerste Krankenhaus der Welt errichtet hat.“

Dies wurde mit stürmischem Applaus belohnt. Der Wechsel zu Sinn Féin und zur Linken im Allgemeinen wird am deutlichsten bei den jüngeren Wählern gesehen, 52,8 Prozent der Stimmen der 18 bis 24-Jährigen entfielen auf Sinn Féin, die Grünen und das linke Wahlbündnis Solidarity-People Before Profit. Die Stimmen für Fine Gael und Fianna Fáil betrugen in der Summe magere 29,1 Prozent! Bei den 25 bis 34-Jährigen lag die Unterstützung für Sinn Féin sogar bei 32 Prozent. Tatsächlich war die Sinn Féin in allen Altersgruppen, mit Ausnahme der über 65-Jährigen, die beliebteste Partei. In den von der Regierung definierten „sozialen Klassen“ C2, D und E (die in etwa der Arbeiterklasse entsprechen) stieg die Unterstützung für Sinn Féin auf 33 bis 35 Prozent. Die Wut und die linke Stimmung in der Gesellschaft spiegelten sich auch in den TV-Debatten zwischen den Parteiführern wider, wobei Richard Boyd Barrett, der die linke Wahlkoalition Solidarity-People Before Profit vertrat, als Sieger hervorging. Jedes Mal, wenn er auf das schreckliche Wohlstandsgefälle im Land hinwies und beide Parteien des Establishments gegen die von ihm vorgeschlagenen Gesetzesvorlagen stimmten, die die Verfassung um ein Recht auf Wohnraum erweitern und die Immobilienspekulation und die Bodenspekulation beenden sollten, erhielt er heftigen Applaus.

Patrick Freyne von der Irish Times, scherzte über die Stimmung im Publikum: „Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich Galway für eine Brutstätte der roten Sympathie halten.“ Im Allgemeinen spiegelt dies den Zorn in ganz Irland wider, den Sinn Féin erfolgreich aufgegriffen hat. Dieser Enthusiasmus kam jedoch nicht dem Bündnis Solidarity-People Before Profit zugute, da die Arbeiterklasse auf die größeren Parteien Sinn Féin und die Grünen setzte, die ebenfalls Reformen versprachen. Während des Wahlkampfes war die herrschende Klasse von Angst und Panik erfüllt. Es ist nicht schwer zu verstehen, warum. Sinn Féin versprach, mit der Austeritätspolitik zu brechen. Die Reformen, die sie vorschlagen, sind bescheiden, einschließlich der Besteuerung der Reichen, um die Ausgaben für das Gesundheits- und Bildungswesen zu finanzieren. Aber die irische herrschende Klasse hat sich darauf gestützt, multinationalen Konzernen einen Niedrigsteuerspielplatz anzubieten. Daher lautete Leo Varadkars Antwort auf die populäre Wirtschaftspolitik von Sinn Féin in der zweiten TV-Debatte der Parteivorsitzenden: „Ich denke, es wird eine Chance sein, einige dieser politischen Maßnahmen aufzudecken, die in der DDR nicht funktioniert haben, die in Venezuela nicht funktioniert haben. Sie werden sicherlich auch nicht in Irland klappen.“

Was die herrschende Klasse grundsätzlich fürchtet, ist die Masse der irischen Arbeiter und Jugendlichen, die hinter Sinn Féin steht und vor Wut auf das ganze System kocht. Es gibt noch andere Gründe, warum die herrschende Klasse Sinn Féin fürchtet. Sie hat eine Geschichte als revolutionäre Partei und wird von den Kapitalisten nicht als zuverlässig angesehen. Dies spiegelt sich in dem Rummel um die Opposition von Sinn Féin gegen bestimmte Staatsorgane (die Sonderstrafgerichte) und ihre zentralisierte Parteistruktur wider.

Darüber hinaus ist die nationale Frage nach dem Brexit, die bei weitem noch nicht gelöst ist, mit der Instabilität im Norden wieder in den Vordergrund gerückt. Das irische Establishment hat schreckliche Angst vor den Folgen, wenn Sinn Féin an die Macht kommen sollte. Die Partei ruft zu einem Referendum über die irische Vereinigung sowohl im Norden als auch im Süden auf. Jüngste Umfragen zeigen, dass 51 Prozent der nordirischen Wähler und über 60 Prozent der Wähler im Süden die Vereinigung befürworten. Es ist kein Wunder, dass die britische und irische herrschende Klasse eine Sinn Féin-Regierung um jeden Preis vermeiden wollen.

Zuerst wurde versucht, Sinn Féin in diesem Wahlkampf zu ignorieren, wobei einige die Behandlung von Sinn Féin durch den öffentlich-rechtlichen Rundfunk RTÉ mit den Tagen von Section 31 (einem Zensurgesetz, das während des Nordirlandkonflikts gegen Sinn Féin angewandt wurde) verglichen. Aber nachdem eine Umfrage Sinn Féin auf 25 Prozent bezifferte, geriet das politische Establishment in einen Taumel. Eine Kampagne von Verleumdungen und Angriffen, ähnlich wie wir sie gegen Jeremy Corbyn in Britannien und Bernie Sanders in den USA gesehen haben, wurde gegen die Partei entfesselt.

Obwohl sie wegen ihrer Parteistrukturen und ihrer Wirtschaftspolitik angegriffen wurde, stand wenig überraschend die Hauptangriffslinie gegen Sinn Féin im Zusammenhang mit den Aktionen der Provisorischen IRA (PIRA), deren politischer Flügel die Partei von ihrer Gründung in den 1970er Jahren bis zum Karfreitagsabkommen 1998 und der Auflösung der PIRA im Jahr 2005 war. Die brutalen Folterungen und Morde an Paul Quinn im Jahr 2007, die angeblich von der PIRA verübt wurden, sind wieder in allen großen irischen Medien in Umlauf gebracht worden. Conor Murphy, der Sinn-Féin-Finanzminister in Nordirland, war gezwungen, sich bei den Eltern von Paul Quinn zu entschuldigen. Diese Ereignisse wurden vom irischen Establishment auf zynische Weise dazu benutzt, das Wasser zu trüben und einige Tage vor dem Wahlgang die Schlagzeilen der Zeitungen zu beherrschen.

Doch selbst das hat nicht funktioniert. Tatsächlich hat das Ausmaß des Erfolgs von Sinn Féin viele überrascht, auch die Parteiführung selbst! Im Mai erzielte die Partei ein enttäuschendes Ergebnis bei den Europawahlen, bei denen sie nur 11,7 Prozent und einen EU-Abgeordneten gewinnen konnte. Dies war vor allem auf die niedrige Wahlbeteiligung und die mangelnde Begeisterung für die Europawahlen zurückzuführen. Die Partei erwartete ein ähnliches Ergebnis bei den Parlamentswahlen.

Aufgrund des besonderen Wahlsystems in Irland, wo in den Wahlkreisen, in denen vier bis sechs Abgeordnete gewählt werden, eine übertragbare Einzelstimme verwendet wird, ist es klüger, weniger Kandidaten aufzustellen, wenn man keine guten Ergebnisse erwartet, um eine Aufteilung unter den eigenen Stimmen zu vermeiden. In einem schlechten taktischen Schachzug hat Sinn Féin nur 42 Kandidaten in den 39 Wahlkreisen aufgestellt, die jeweils mehrere Abgeordnete entsenden, also weit weniger als die 79 Abgeordneten, die für eine Mehrheit im Dubliner Parlament erforderlich sind, und weniger als Fianna Fáil oder Fine Gael, die mit einem geringeren Stimmenanteil mehr Sitze gewinnen könnten.

Eine neue Periode der Instabilität

Wie geht es weiter? Was bedeutet das Ergebnis für die Aussichten auf eine neue Regierung? Während der Wahl schlossen sowohl Fianna Fáil als auch Fine Gael eine Koalition mit Sinn Féin aus, auch wenn sie aufgrund der parlamentarischen Arithmetik dazu gezwungen sein könnten. Jede Koalition wäre für die herrschende Klasse riskant. Aber es wäre ebenso eine Katastrophe für Sinn Féin, die auf dem Rücken einer Welle von Anti-Establishment-Stimmungen gestärkt wurde.

Die irische Labour Party hatte bei den Parlamentswahlen 2011 enorm Wählerstimmen hinzugewonnen, nachdem sie mit einem eher linken Programm kandidierte und viele Reformen und ein Ende der Kürzungen versprach. Da sie nicht annähernd genug TDs (Abgeordnete im irischen Parlament) für eine Minderheitsregierung oder eine Koalition mit kleineren Parteien hatte, ging Labour eine Koalition mit Fine Gael ein. In dieser Regierung half sie bei der Verabschiedung von Sparbudgets und führte auf Geheiß ihres Koalitionspartners Angriffe auf die Lage der arbeitenden Menschen durch, was dazu führte, dass die Partei von 19,4 Prozent im Jahr 2011 auf 6,6 Prozent im Jahr 2016 zurückging. Seitdem hat sich die Labour Party nicht mehr erholt und ist mit 4,4 Prozent auf die Position einer irrelevanten, reformistischen Sekte reduziert worden. Dies dient Sinn Féin als Warnung vor weiteren Koalitionen, die sie in den kommenden Wochen möglicherweise zum Beitritt bewegen könnten. Aufgrund dieser Ergebnisse ist es wahrscheinlich, dass die beiden etablierten Parteien erneut eine "große Koalition" bilden müssen, diesmal mit der Unterstützung anderer kleinerer Parteien. Sie werden zweifellos mit den wenigen Sozialdemokraten, Labour und unabhängigen Abgeordneten flirten, um eine funktionierende Mehrheit zusammenzuschustern. Aber selbst das wird vielleicht nicht funktionieren. Wir könnten unter solchen Umständen Neuwahlen erleben. Die Stimmung zugunsten von Sinn Féin wird in einer weiteren Wahl steigen, da sie zusätzliche Gewinne erwarten darf. Wenn es Fine Gael und Fianna Fáil gelingt, eine arbeitsfähige Regierung zu bilden, wird es bei den Sparmaßnahmen und Kürzungen nach 2008 bleiben. Die wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen, die zu diesem Wahlergebnis geführt haben, bestehen weiter und werden sich nur noch verschlimmern und verschärfen, die Krise wird immer stärker und die neue Regierung wird wahrscheinlich von einer neuen, tiefen Rezession überschattet. Die beiden Parteien müssen sich nur auf ein größeres Scheitern in der Zukunft einstellen, wobei die Linke nur gestärkt und die Menschen in Irland immer weiter politisiert werden, was die Tür für eine sozialistische Politik und das Potenzial für Massenbewegungen im Land öffnet.

Was auch immer in den kommenden Tagen und Wochen geschehen wird, eines ist sicher: Wie die katholische Kirche vorher, hat die irische Arbeiterklasse das Zweiparteiensystem auf den Müllhaufen der Geschichte geworfen. Es gibt kein Zurück mehr. Diese Wahl markiert den Beginn einer neuen Periode der Instabilität in der irischen Geschichte, den Auftakt zur Irischen Revolution.

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