Es hat also begonnen: russische Streitkräfte haben einen großangelegten Angriff auf die Ukraine gestartet. In den frühen Morgenstunden kündigte der russische Präsident Putin in einer kurzen Fernsehansprache eine „spezielle Militäraktion“ im Morgengrauen an.
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Innerhalb weniger Minuten nach der Ausstrahlung, um etwa 5 Uhr nach ukrainischer Zeit, waren im Umkreis wichtiger Städte, einschließlich der Hauptstadt Kiew, Explosionen zu hören. In den vergangenen Wochen hatte Putin um die 190.000 Truppen in die Nähe der ukrainischen Grenze verschoben, während die europäischen Staatschefs auf der Suche nach einer diplomatischen Lösung zwischen Kiew und Moskau hin- und herpendelten. Doch niemand mobilisiert eine derartig große Zahl an Truppen, Panzern und Kanonen, um einen diplomatischen Reigen zu tanzen.
Im derzeitigen Nebel des Krieges ist angesichts der spärlichen Informationslage eine genaue Einschätzung der militärischen Lage unmöglich zu treffen, doch das Ausmaß des russischen Angriffs scheint gewaltig. Ein Bericht schreibt:
„Das ukrainische Innenministerium berichtete, dass das Land von Marschflugkörpern und ballistische Raketen angegriffen wurde und Russland dabei augenscheinlich auf Infrastruktur rund um große Städte wie Kiew, Charkiw, Mariupol und Dnipro abzielt.“
„Videos zeigen, wie Explosionen von Raketenartillerie die Nacht erhellten, als das Bombardement Nahe Mariupol startete. Laut eines leitenden Beraters des ukrainischen Innenministeriums dürften russische Truppen bald auf Charkiw marschieren, das etwa 40 Kilometer von der Grenze entfernt liegt. Einwohner Kiews suchten in Luftschutzbunkern Unterschlupf, als außerhalb der Stadtgrenze Explosionen zu hören waren.“
Ein weiterer schreibt:
„Einige der ersten Explosionen nach Putins Ankündigung der Operation waren bei Kramatorsk zu hören, wo sich das Hauptquartier für die Armeeoperationen in Bezug auf die russisch kontrollierten Territorien im Südosten der Ukraine befindet. Auch bei Militärhauptquartieren und -lagern wurden Explosionen gemeldet.“
Es gibt außerdem Berichte von amphibischen Angriffen auf die wichtige Hafenstadt Mariupol, sowie von Einmärschen von Bodentruppen aus Weißrussland, der Krim und aus Russland. Das russische Militär behauptete, dass es nicht auf Bevölkerungszentren abzielen würde. „Hochpräzisionswaffen setzen Militärinfrastruktur, Luftverteidigungsanlagen, Militärflugplätze und die Flugzeuge der ukrainischen Armee außer Kraft“, erklärte das russische Verteidigungsministerium in einer Stellungnahme via der staatlichen Nachrichtenagentur Ria Nowosti.
Putins Rede
Der Weg für die Offensive wurde Mittwochnacht bereitet, nachdem die Anführer der zwei russisch kontrollierten Territorien in der Ostukraine eine offizielle Anfrage an Moskau richteten. Sie baten um militärische Unterstützung „zur Abwehr der Aggression seitens der ukrainischen Streitkräfte, um zivile Opfer und eine humanitäre Katastrophe im Donbass zu verhindern.“
Nimmt man Putins Rede von heute Morgen unter die Lupe, erfährt man darin einiges über seine Ziele und Absichten. Jeder Krieg muss auf irgendeine Weise gerechtfertigt werden und in diesem Fall erwähnte Putin, dass „ein feindliches Anti-Russland auf unseren historischen Gebieten geschaffen“ würde. Diese Behauptung wird im Westen als reine Propaganda abgetan. „Wie kann die arme, kleine Ukraine eine Bedrohung für Russland darstellen?“ fragen sie. Die Antwort liegt auf der Hand. Auf sich alleine gestellt ist die Ukraine keine große Bedrohung für Russland. Ganz anders ist die Sache, wenn sie Teil eines militärischen Bündnisses unter Führung der USA ist, das sich direkt an der Schwelle Russlands platziert.
Der Kern des gegenwärtigen Konflikts ist daher die zukünftige NATO-Mitgliedschaft der Ukraine. Eine Garantie, dass dies nicht passieren würde, war eine zentrale Forderung Russlands – die wiederholt von Washington abgelehnt wurde. Diese Ablehnung war umso absurder, als der Westen selbst anerkennt, dass die Ukraine derzeit nicht die Mindestvoraussetzungen einer Mitgliedschaft erfüllt. Es ist nicht sicher, ob die Erfüllung der russischen Forderung an sich eine Invasion aufgehalten hätte, doch ihre wiederholte Ablehnung hat sie unausweichlich gemacht.
Die zweite Voraussetzung eines jeden Krieges ist es, ein gewisses Überraschungsmoment zu schaffen und die Schuld der anderen Seite zuschieben zu können. In diesem Fall war dies das Bombardement der Donbass-Region, das allerdings schon seit einigen Jahren ununterbrochen anhält.
Der unmittelbare Vorwand ist jedoch in Wirklichkeit nur von zweitrangiger Bedeutung, denn wenn ein Krieg notwendig wird, findet sich auch ein Grund dafür. Und was das Überraschungsmoment betrifft, wurde dies ganz vortrefflich genutzt – und zwar mit tatkräftiger Unterstützung der Herren Biden und Johnson. Sie malten ständig den Teufel an die Wand – und als der Teufel tatsächlich erschien, glaubte ihnen niemand.
Putins Rede war im Grunde eine Kriegserklärung, doch er hütete sich, diese Worte in den Mund zu nehmen. Wie eine ägyptische Sphinx erfreut er sich daran, allen beim Rätselraten zuzusehen. „Wir haben beschlossen, eine spezielle Militäroperation durchzuführen“, sagte er, ohne auch nur erahnen zu lassen, genau wie speziell sie werden würde.
Und was sollte das Ziel dieser „speziellen Militäroperation“ sein? Er behauptete, sie diene der „Demilitarisierung und Entnazifizierung“ der Ukraine. „Wir besetzen die Ukraine nicht“, sagte er und sprach zugleich eine Warnung an alle Nationen aus, die den Drang nach Einmischung verspüren könnten: „Wer immer in Erwägung zieht, sich von außen einzumischen: Tun Sie das, werden die Folgen, die Sie davontragen, größer als jemals zuvor in der Geschichte sein. Alle notwendigen Entscheidungen wurden getroffen. Ich hoffe, Sie haben vernommen, was ich gesagt habe“, sagte er. Das ist eine sehr eindeutige Botschaft, würde ich meinen.
Kann die Ukraine standhalten?
Die erste Reaktion der Kiewer Regierung war trotzig: „Putin hat soeben eine Großinvasion der Ukraine gestartet“, sagte der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba. „Friedliche ukrainische Städte stehen unter Beschuss. Dies ist ein Angriffskrieg. Die Ukraine wird sich zur Wehr setzen und wird gewinnen. Die Welt kann und muss Putin stoppen. Jetzt ist der Zeitpunkt, zu handeln.“
Präsident Wolodymyr Selenskyj wandte sich in einer Videobotschaft an die russische Öffentlichkeit und bat um Hilfe, nachdem sein Versuch mit Putin zu sprechen gescheitert war. „Wollen die Russen Kriege? Ich möchte diese Frage sehr gerne beantworten, doch die Antwort liegt bei Ihnen“, sagte er. Er schwor außerdem, das Land zu verteidigen: „Wenn jemand versucht, uns unser Land zu nehmen, unsere Freiheit, unser Leben, das Leben unserer Kinder, so werden wir uns zur Wehr setzen. Im Angriff werdet ihr unsere Gesichter sehen, nicht unsere Rücken, sondern unsere Gesichter.“
Er kündigte an, dass der Ausnahmezustand nicht in der ganzen Ukraine verhängt würde. „Keine Panik. Wir sind stark. Wir sind auf alles gefasst. Wir werden jeden besiegen, weil wir die Ukraine sind“, sagte der ukrainische Führer. Vor Russlands Attacke unternahm er einen letzten verzweifelten Versuch, einen Krieg abzuwenden. Er warnte, dass Russland „einen großen Krieg in Europa“ anzetteln könnte und urgierte russische Bürger, sich dem entgegenzustellen.
Wahrlich, mit Mut gesprochen! Doch leider sind das nichts als leere Worte: Die ukrainische Armee wurde von dem plötzlichen Angriff völlig überrumpelt und befindet sich in heillosem Durcheinander. So oder so wäre sie nicht in der Lage gewesen, der Macht der russischen Armee standzuhalten. In dem Moment, in dem der Westen ankündigte, er habe nicht vor, Truppen zur Verteidigung der Ukraine zu entsenden, war die Sache entschieden.
Die Versicherung, dass in der Hauptstadt keine Panik herrsche, wurde durch Fernsehaufnahmen widerlegt, die lange Autokolonnen auf der Flucht aus Kiew zeigen. Von Beginn an bot die Kiewer Regierung ein Bild der Hilflosigkeit. Indem sie stur auf das Recht bestand, der NATO beitreten zu dürfen – eine klare Provokation für Moskau – warf sie sich dem Westen als ihre einzige Hoffnung auf Überleben in die Arme. Das war ein äußert leichtsinniger Fehler.
Bei all ihrer öffentlichen Prahlerei haben die Imperialisten nicht das geringste Interesse an den Menschen in der Ukraine. Diese sind für sie nur Schachfiguren in einem zynischen Großmachtspiel. Das russische Militär behauptet, dass alle ukrainischen Flughäfen in den Raketenschlägen, die den Start der russischen Invasion markierten, ausgeschaltet wurden. Man sah Rauchschwaden von wichtigen Flugplätzen aufsteigen, von außerhalb Charkiws und anderen Städten im Osten, aber auch im Westen bis Iwano-Frankiwsk, das näher an der Grenze zu Polen liegt.
Dem Angriff am Donnerstag ging eine massive, anhaltende Cyber-Attacke voraus, die auf ukrainische Ministerien und Banken gerichtet war – eine Form der hybriden Kriegsführung, um Verwirrung zu stiften. Es gab auch Berichte, die nahelegen, dass russische Kräfte in die Ukraine eindrangen und der ukrainische Grenzschutz „keinerlei Widerstand gegen die russischen Einheiten“ leistete.
In einem kürzlichen Facebook-Beitrag zeichnet Dimitri Kowalewitsch, ein Kommentator in Kiew, folgendes Bild der desorganisierten ukrainischen Kräfte:
„Nicht bestätigte Nachrichten im ukrainischen Web legen nahe, dass etwa 70 Prozent der jüngsten Waffenlieferungen aus dem Westen an die Ukraine direkt in den Waffenlagern zerstört wurden. Unser Militär beklagt die Tatsache, dass die Lieferungen von Offizieren geleitet wurden, die sich als russische Agenten entpuppten und die Lieferungen einfach in die Luft jagten.“
„Update: Alle türkischen Bayractar Drohnen wurden ebenfalls direkt auf den Flugplätzen zerstört.“
„Die Rebellen in Donezk haben die Stadt Mariupol beschlagnahmt. So gut wie kein Widerstand seitens der ukrainischen Armee – sie marschierten einfach in die Stadt.“
„Raketen wurden von U-Booten gefeuert und trafen ukrainische Militärstützpunkte in Odessa.“
„Berichten zufolge wurden ukrainische Grenzübergänge in der Sumy-Region [im Nordosten] erobert. Russische Marineinfanterie erreichte die Odessa-Region. Die Luftabwehr-Basis Kiews wurde von Raketen getroffen – innerhalb einer Stunde verlor die Ukraine fast all ihre Luftabwehrsysteme.“
„Massiver Beschuss von Raketenwerfern entlang der gesamten Frontlinie im Donbass. Eine russische Militärkolonne überquerte die Grenze in der Charkiw-Region.“
„Menschen aus verschiedensten Regionen der Ukraine berichten von lauten Explosionen, die gleichzeitig in Odessa, Kiew, Kramatorsk, Mariupol, Charkiw und Dnipro-Stadt stattfanden. Das sieht nach großen, zeitlich abgepassten Sprengstoffen aus, die gleichzeitig im ganzen Land gezündet wurden.“
„US-Aufklärungsdrohnen haben den Luftraum über der Ukraine verlassen.“
„Update: Explosionen treffen ukrainische Waffenlager.“
„Der Luftraum über der Ukraine ist komplett geschlossen. Einigen Jets, die über Kiew flogen, wurde befohlen, umzukehren.“
Klarerweise müssen diese Berichte auf Basis von verwirrenden und nur teilweisen Informationen in der Hitze des Gefechts mit Vorsicht genossen werden. Aber selbst, wenn nur die Hälfte davon wahr ist, zeigen sie deutlich, wie die Russen noch vor der Invasion sichergestellt hatten, dass die militärischen Kapazitäten der ukrainischen Verteidigung zerstört oder zumindest schwer beschädigt wurden.
Die Berichte zeichnen auch ein Bild der Demoralisierung und fehlender Motivation in zumindest Teilen der ukrainischen Streitkräfte, was im Widerspruch zu den von westlicher Propaganda verbreiteten Darstellungen steht. Russland hat nun allen Grund, so schnell wie möglich in die Hauptstadt vorzustoßen.
Militäranalysten erwarten, dass Putin seine Truppen mit der Eroberung oder Umzingelung Kiews beauftragt. US-Senator Marco Rubio, ein Mitglied des geheimdienstlichen Sonderausschusses des Senats, behauptet „Russlands Luftlandetruppen versuchen, Kontrolle über den Flughafen in Kiew zu erlangen, um … Truppen einzufliegen, die die Stadt besetzen sollen.“
Donnerstagabend wurden in russischen Staatmedien Berichte veröffentlicht, wonach Luftlandetruppen den Flughafen in Boryspil nahe Kiew erobert haben. Ob diese Berichte den Tatsachen entsprechen, oder nicht: es ist nur eine Frage der Zeit, bevor die ukrainische Hauptstadt in russischen Händen liegt. Der Krieg wird dann de facto beendet sein.
„Schock und Schrecken“
Westliche Führer überschlugen sich in ihrer Hast, die Invasion zu verurteilen. Glaubt man ihnen, so wird sie dem Armageddon gleichkommen, mit Millionen (sic!) Toten und einem blutigen gesamteuropäischen Krieg, der das Überleben der menschlichen Zivilisation wie wir sie kennen bedrohe.
Joe Biden veröffentlichte eine Stellungnahme, in der er schreibt:
„Die ganze Welt betet heute Nacht für das ukrainische Volk, das unter einem grundlosen und ungerechtfertigten Angriff russischer Streitkräfte leidet.“
„Präsident Putin hat sich für einen vorsätzlichen Krieg entschieden, der katastrophale Verluste von Leben und menschliches Leid mit sich bringen wird“, sagte Biden. „Russland alleine trägt die Verantwortung für den Tod und die Zerstörung, die dieser Angriff bringen wird und die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten und Partner werden geeint und entschieden darauf antworten. Die Welt wird Russland zur Rechenschaft ziehen.“
Und weiter: „Ich bin entsetzt über die schrecklichen Ereignisse in der Ukraine und ich habe mit Präsident Selenskyj gesprochen, um die nächsten Schritte zu diskutieren. Präsident Putin hat den Weg des Blutvergießens und der Zerstörung gewählt, indem er diese grundlose Attacke auf die Ukraine gestartet hat.“
„Wir werden den Kreml zur Rechenschaft ziehen“, schrieb Ursula von der Leyen, die Vorsitzende der EU-Kommission, die erst Stunden vor der Attacke neue Sanktionen gegen Moskau angekündigt hatte.”
All diese edlen, kühnen Worte stehen im direkten Gegensatz zu der Tatsache, dass Biden & Co. nie auch nur die geringste Absicht hatten, Kiew militärisch zu unterstützen. Ihr einziger Beitrag zur gegenwärtigen Krise war eine endlose Abfolge kriegerischer Ansagen, begleitet von düsteren Drohungen von „schwerwiegenden“ (aber unspezifischen) Konsequenzen, die angeblich auf eine russische Attacke folgen würden. Diese Ankündigungen gepaart mit einer verbohrten Weigerung, die russischen Forderungen auch nur in Erwägung zu ziehen, trugen dazu bei, die Invasion unausweichlich zu machen.
Zusammengefasst waren diese Damen und Herren gerne dazu bereit, bis zum letzten Bluttropfen zu kämpfen – mit dem Blut der Ukrainer.
Sogar noch niederträchtiger war das fanatische Gefasel aus London. Wenn man mit hetzerischen Reden Kriege gewinnen könnte, hätte die stupide Rhetorik vom Rednerpult aus dem britischen Unterhaus die russische Armee stracks in ihre Barracken zurückgescheucht.
„Großbritannien und seine Verbündeten werden entschieden reagieren“, wetterte Premierminister Boris Johnson, mehr um seine eigenen Tory-Hinterbänkler zu beeindrucken, die ihn für seine zahnlose Reaktion auf den Mann aus dem Kremlin attackiert hatten.
Unglücklicherweise zeigt uns die Geschichte, dass Kriege noch nie mit Worten gewonnen wurden. Putin muss sich angesichts dieses Zirkusspektakels, das als Parlament durchgeht, ins Fäustchen gelacht haben – sofern er ihm überhaupt irgendeine Beachtung gezollt hat, was wir stark anzweifeln.
Und was soll man noch über den Labour-Vorsitzenden Sir Keir Starmer sagen? Der innbrünstigste Wunsch dieses rechten Blairisten ist es, die Labour Party den Torys so ähnlich wie möglich sehen zu lassen. Sein Traum ist eine Labour Party, die den Union Jack und die US-Flagge statt der roten Fahne schwenkt.
Wenig überraschend wetteiferte er so mit Boris Johnson um den Platz des grimmigsten Gegners Russlands und des leidenschaftlichsten Verteidigers der NATO.
Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen
Die Heuchelei all dieser Reden stinkt zum Himmel. Wo war der Aufschrei, als die Amerikaner und ihre „Verbündeten“ (lies: Lakaien) einen kriminellen und blutigen Krieg gegen den Irak lostraten? Und was ist mit ihrer Lügenpropaganda über nichtexistente „Massenvernichtungswaffen“, die durch gefälschte Dokumente „bewiesen“ werden sollten und als zynischer Vorwand für eine unverhohlene Aggression gegen einen souveränen Staat herangezogen wurden?
Dieser widerwärtige Akt führte – genauso wie die ebenso kriminelle Invasion Afghanistans und der imperialistische Raubzug in Syrien – zu dem Tod von mindestens einer Million Menschen. Aber wieso sollte man sich auch durch Fakten eine gute Story verderben lassen.
In ihren maßgeschneiderten Anzügen und mit aufgesetztem Lächeln präsentieren sich die westlichen Staatsoberhäupter als die Stimme der Vernunft und des Humanismus. Aber kratzt man nur ein wenig an der Oberfläche, ist dahinter nichts als Schmutz. Es gibt keine Macht auf der Erde, die so reaktionär und so blutgetränkt ist, wie der US-Imperialismus und seine Marionetten im Westen.
Die „Vereinten“ Nationen
Wie immer bei einem Kriegsausbruch vernehmen unsere Ohren plötzlich wundersame Laute. Sie ähneln stark dem Blöken eines verängstigten Schafs, doch tatsächlich: es ist die Stimme des Verstandes, die wahre Stimme der Menschlichkeit! – will man uns weismachen.
Die Rede ist von dem Blöken der Pazifisten, jene gefälligen, gutmeinenden Seelen, die uns darüber informieren, dass Friede gut und Krieg böse ist. Doch Kriege wurden noch nie durch rührselige Rufe nach Anstand und gesundem Menschenverstand aufgehalten. Im Gegenteil sagt uns der gesunde Menschenverstand, dass im Laufe der Geschichte alle ernstzunehmenden Dinge mit Waffen entschieden wurden.
Eine der bewundernswertesten Eigenschaften von Pazifisten ist ihre scheinbar unerschöpfliche Fähigkeit zur Selbsttäuschung. Sie klammern sich sehnlich an jede Rede, in der irgendwelche Führungspersonen ihre Verbundenheit mit dem Frieden erklären, und an jede bedeutungslose Resolution von Regierungen und Institutionen, die ähnlich banale Meinungen wiedergibt. Ein naiver Glaube an die Wirkmacht derlei Aussagen macht die Pazifisten zu nützlichen Instrumenten für die Kriegstreiber, indem sie die Menschen in einem falschen Gefühl der Sicherheit wiegen.
Reden und Resolutionen dieser Art dienen lediglich als Schleier, um die tatsächlichen, aggressiven Absichten dahinter zu verbergen. Und der größte Betrug von allen sind die lachhaft fehlbenannten Vereinten Nationen (UN). Diese Institution wurde nach dem Zweiten Weltkrieg geschaffen, vorgeblich, um künftige Kriege zu verhindern.
Jedes Mal, wenn eine Kriegsgefahr droht, rufen die Pazifisten und Linksreformisten nach einer Intervention der Vereinten Nationen – eine äußerst dumme Illusion und Täuschung. Das ist nicht der Ort, an dem wir die Geschichte dieser Institution wiederholen wollen. Es genügt zu sagen, dass die Vereinten Nationen noch nie irgendeinen Krieg abgewendet haben, sondern im Gegenteil in mehr als einen involviert waren, wie das Beispiel Koreas beweist.
Zwischen 1945 und 1989 gab es mehr als 300 internationale Kriege. Seit dem Zweiten Weltkrieg führten alleine die USA 30 große Militäroperationen durch. Die Vereinten Nationen hatten keinerlei Einfluss auf irgendeines dieser Ereignisse. Heute ist es nicht anders: Just zu dem Zeitpunkt, zu dem Putins Worte ausgestrahlt wurden, hielt der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen eine Notfallsitzung unter der Leitung von niemand anderem als Russland selbst ab, das derzeit den, nach Rotationsprinzip festgelegten, Vorsitz innehat.
Die Sitzung begann mit einem Appell des UN-Generalsekretärs António Guterres: „Präsident Putin – stoppen Sie den Angriff Ihrer Truppen auf die Ukraine. Geben Sie dem Frieden eine Chance. Zu viele Menschen sind bereits gestorben.“
Die Worte waren kaum verhallt, als Berichte über die ersten Explosionen eintrudelten. Überlassen wir der Bibel die Worte für das letzte Grabgedicht: „sie sagen: ‚Friede! Friede‘, und ist doch nicht Friede.“ (Jeremia 6:14)
Es war Lenin, der sagte, Kapitalismus ist Schrecken ohne Ende. Krieg und reaktionärer Nationalchauvinismus sind als Teil des internationalen Wettbewerbs um Märkte und Einflusssphären in seinen Grundfesten einzementiert. Wie viele Millionen Arbeiter und Arme wurden auf die Schlachtbank geführt und im Namen der „Nation“ – was nur ein anderer Name für die Interessen der Kapitalistenklasse ist – geopfert?
So lange der Kapitalismus besteht wird Krieg dessen ständiger Begleiter sein. Es kann keine Rede sein von „vereinten Nationen“ und genauso wenig von einer geeinten Nation. Die einzige mögliche Einheit ist die internationale Einheit als Klasse. Es ist die Aufgabe der Marxisten und Sozialisten, die Illusion zu entlarven, dass die Interessen der Arbeiter und Armen mit jenen der herrschenden Klasse vereinbar wären. Der einzige Weg, den Krieg zu bekämpfen, ist der Kampf gegen das System, das ihn verursacht.
Was nun?
Es ist noch zu früh, um den Krieg für beendet zu erklären, doch niemand kann bezweifeln, dass die Russen ihre deklarierten Ziele innerhalb kürzester Zeit erreichen werden. Es ist nicht leicht, die genaue Stimmungslage der Ukrainer festzustellen. Sie wird jedoch im Osten, wo viele Russischsprachige leben, anders sein als im Westen, der immer einen stärkeren Hang zum Nationalismus hatte.
Doch die vorherrschende Stimmung wird eine der Verzweiflung, des Pessimismus und vor allem der Kriegsmüdigkeit sein, mit einer starken Sehnsucht nach Frieden und irgendeiner Form von Stabilität. Das könnte Putin die Grundlage bieten, um eine pro-russische Regierung in Kiew zu installieren. Es scheint mir, dass ein Mann wie Poroschenko den Anforderungen für die Ablöse Selenskyjs recht gut entspricht. Er hat zwar in letzter Zeit einige scharf formulierte Reden geschwungen, in denen er Putin verurteilt hat – was aber erwartbar war und hinter der Kulisse werden Verhandlungen stattgefunden haben, deren Ergebnisse noch einige Überraschungen für uns parat haben könnten. Doch das sind nur meine persönlichen Mutmaßungen …
Klarerweise wird die Frage der ukrainischen Mitgliedschaft in der NATO vom Tisch sein. Unter dem Banner der Entnazifizierung wird eine Säuberung von rechten und ultranationalistischen Organisationen stattfinden.
Es ist selbstverständlich, dass die russischen Besatzungskräfte sich tatsächlicher oder möglicher Feinde entledigen wollen und das wird mit Sicherheit die faschistischen und ultranationalistischen Milizen miteinschließen. Wenn Putin davon spricht, dass er nicht vorhat, die Ukraine zu besetzen, gibt es keinen Grund ihn anzuzweifeln. Genauer gesagt wird er sie nicht für sehr lange besetzen. Das wäre zu kompliziert und ausgesprochen kostspielig.
Nein; er wird sich zurückziehen, nachdem er seinen Standpunkt deutlich klargemacht hat, nämlich, der Ukraine und dem Rest der Welt zu zeigen, dass Russland nicht zu unterschätzen ist; dass die NATO-Osterweiterung gestoppt werden muss; dass die Ukraine und Georgien ihr niemals beitreten werden; und dass es keine großen Truppenkonzentrationen oder provokative Militärübungen nahe Russlands Grenzen geben wird.
Putin hält wiederholt fest, dass er offen für Verhandlungen ist – und das stimmt. Nun wird er jedoch aus einer weitaus stärkeren Position verhandeln können. Er wird auf seiner Forderung nach dem Abzug nuklearer Mittelstrecken-Waffen aus Osteuropa bestehen und auf die wirksame Wiederinkraftsetzung des Mittelstrecken-Nuklearstreitkräfte-Vertrags (INF-Vertrag), der, wie wir uns erinnern, von Mr. Trump einseitig aufgelöst wurde.
Vor seinem Rückzug wird er, um seinen Punkt gänzlich unmissverständlich darzulegen, noch ein paar weitere Gebietsteile einstecken, und zwar durch die Erweiterung der jüngst anerkannten Volksrepubliken auf die gesamten Donezk- und Luhansk-Regionen. Dies wäre nebenbeigesagt ein rein defensiver Schachzug, der dazu dient, eine Pufferzone an Russlands südlicher Grenze einzurichten. Es würde die Handlungsunfähigkeit der Ukraine untermauern und sie vollständig von der Liste möglicher künftiger Sicherheitsbedrohungen für Russlands streichen – das wäre somit genau dasselbe, was Putin auch im Falle Georgiens getan hat.
Es trifft sich, dass die Zeilen, die ich damals über Georgien geschrieben habe, nach erneuter Lektüre sehr gut auf die gegenwärtige Situation anwendbar sind. Lasst sie mich zitieren:
„Ja, wir erkennen das Recht des georgischen Volkes auf Selbstbestimmung an, doch nicht bedingungslos. Wir erkennen nicht sein Recht an, andere, kleinere Nationen wie die Osseten und Abchasier zu unterdrücken. Verteidigen wir das Recht der Abchasier und Osseten auf Selbstbestimmung? Ja, das tun wir. Aber was ist das für eine Selbstbestimmung, die gänzlich von Subventionen aus Moskau abhängig ist und sich als Kleingeld für die diplomatischen Intrigen Moskaus zur Zerrüttung und Unterdrückung der Georgier verkauft? Wie hilft das der Sache des Sozialismus und der Arbeiterklasse? – Gar nicht! Diese Art der „Selbstbestimmung“ ist Lug und Trug. Sie dient lediglich als praktische Verschleierung der Ambitionen und der Gier einer größeren Macht: nämlich Russland, das seine alten Besitztümer am Kaukasus zurückergattern will. Werden diese Völker in Russland eingegliedert, wird ihnen das etwa genauso viel „Selbstbestimmung“ geben, wie den Tschetschenen – also gar keine. Genauso wenig gibt es wirkliche Selbstbestimmung in Nordossetien, Dagestan oder irgendeiner anderen Region in Russland.
Im Kapitalismus kann es keine dauerhafte Lösung für die nationale Frage geben, ob im Kaukasus, am Balkan oder im Nahen Osten. Jeder Versuch, die nationale Frage innerhalb des Kapitalismus zu „lösen“ führt nur zu neuen Kriegen, Terrorismus, ‚ethnischen Säuberungen‘ und neuen Flüchtlingswellen, zu einem Teufelskreis aus Gewalt und Unterdrückung. Die Frage Rückkehrrechts für alle Flüchtlinge kann auf kapitalistischer Grundlage niemals gelöst werden. Sie würde unweigerlich zu der Verschärfung des Wettstreits um mangelnde Ressourcen, Jobs, Wohnraum, medizinische Versorgung, Bildung und andere Dienstleistungen führen. Gibt es nicht ausreichend Arbeitsplätze und Wohnungen für alle, wird so das Feuer der nationalistischen oder religiösen Spannungen angeheizt. Halbherzige Reformen werden das Problem nicht lösen. Eine Lösung, die das Problem an der Wurzel behandelt, ist notwendig – man kann Krebs nicht mit Aspirin heilen!“
Wenn wir die Wörter „Georgien“ mit „Ukraine“ austauschen und statt den Osseten und Abchasier die russischsprachigen Menschen der Donezk- und Luhansk-Regionen annehmen, sitzt hier jedes Wort. Es gibt dem nichts hinzuzufügen.
Die USA werden wahrscheinlich am Montag neuerliche Sanktionen gegen Russland ankündigen und Methoden zur Schädigung der russischen Banken und seinem Finanzsystem darüber hinaus zur Anwendung bringen – Maßnahmen, die Washington bisher in der Rückhand gehalten hat.
Die Sanktionen des Westens werden Russlands Position nicht ändern, denn Putin hat weitgehende Schritte unternommen, um Russlands Abhängigkeit vom Westen drastisch zu verringern. Es stimmt zwar, dass der Rubel als direkte Antwort auf die Invasion auf den tiefsten Wert seit 2016 fiel und der Handel an der russischen Börse unterbrochen wurde, doch diese Auswirkungen werden nur kurz andauern. Würden auf der anderen Seite die Sanktionen Europa von den russischen Gaslieferungen abschneiden, hätte dies katastrophale Auswirkungen und einen weiteren Anstieg der Lebensmittel- und Energiepreise zur Folge.
Welche Haltung sollten wir einnehmen?
Der gegenwärtigen Situation wurde erwartungsgemäß mit einer Intensivierung der Propagandaflut in den geschmierten Medien entgegnet. Das dient in keiner Weise den Interessen und dem Wohlbefinden der Menschen in der Ukraine. Im Gegenteil wurden ihre Interessen auf zynische Art und Weise auf dem Altar des Imperialismus geopfert.
Es ist unsere Pflicht, dass wir felsenfest auf einem Klassenstandpunkt stehen und uns nicht von der imperialistischen Propagandamaschinerie mitreißen lassen. Unterstützen wir Wladimir Putin und die die russische Oligarchie, deren Interessen er beschützt? Nein; Putin ist kein Freund der Arbeiterklasse, weder in Russland, der Ukraine, noch sonstwo. Die Invasion der Ukraine ist lediglich eine Fortsetzung seiner eigenen zynischen, reaktionären Agenda.
Das ist allerdings nicht die Frage, die wir uns zu diesem Zeitpunkt stellen sollten. Die Frage lautet: Können wir in irgendeiner Weise so erscheinen, als stünden wir im gleichen Lager wie der US- und der britische Imperialismus? Können wir – direkt oder indirekt – mit der reaktionären, imperialistischen NATO-Verbrecherbande in Verbindung stehen? Oder mit Boris Johnson und dem Kriegstreiber Liz Truss, oder dem blairistischen Verräter Starmer?
Es liegt an der russischen Arbeiterklasse, mit Putin fertig zu werden. Unser Kampf ist gegen den Imperialismus, die NATO und unsere eigene, reaktionäre Tory-Regierung und die erbärmlichen, komplizenhaften sogenannten Labour-Führer. Lenin bestand immer darauf: Der Hauptfeind steht im eigenen Land. Es ist höchste Zeit, dass wir uns das ins Gedächtnis rufen.
London, 24. Februar 2022