Präsident Macrons Träume von einem friedlichen Weihnachtsfest wurden zerschlagen, als die streikenden Arbeiter sein Plädoyer für einen Waffenstillstand zurückwiesen, während der längste ununterbrochene Streik seit 30 Jahren – länger als der siegreiche Kampf von 1995 – weitergeht.
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Im Geiste des Friedens und des guten Willens für alle Männer forderte Macron Gewerkschaftsaktivisten auf, über die Notlage von Familien nachzudenken, deren Weihnachtspläne im anhaltenden Kampf um seine Konterreform gegen die Renten unterbrochen wurden. Aber dieser festliche Aufruf klang hohl, da die öffentliche Unterstützung für den Streik tatsächlich zugenommen hat. Ein Pendler (der eine Woche zu spät zu den Feiertagen aus Valenciennes in Nordfrankreich nach Paris kam) sagte: "Die Regierung versucht, die Arbeiter auszurauben. Also müssen sie zeigen, dass sie keine Schafe sind. Natürlich stört es uns, aber ich unterstütze ihr Streikrecht."
Streiksaison
An den Tagen vor Weihnachten nahmen Vertreter der wichtigsten Gewerkschaften Frankreichs Verhandlungen mit der Regierung auf – gegen den Willen von Aktivisten auf der Straße, die verstehen, dass Macron niemals nachgeben wird, und die eine völlige Umkehrung der Rentenreform ebenso wünschen wie den Sturz der Regierung.
Die kämpferischen Gewerkschaften, allen voran die CGT, kamen aus den Gesprächen am 20. Dezember mit der Aussage heraus, dass die Regierung (vorhersehbar) keine ausreichende Verhandlungsgrundlage angeboten hatte, was bedeutete, dass die Gespräche bis zum 7. Januar eingestellt würden. Die Erklärung forderte einen vierten umfassenden Streik am 9. Januar und versprach eine Reihe von Maßnahmen im Vorfeld, darunter einen Streik der Kasinoangestellten am 21. Dezember, eine Schließung der französischen Häfen am 30. Dezember von 11 bis 15 Uhr und die Fortsetzung der umfassenden Transportstreiks.
Die Anberaumung des nächsten Generalstreiks für den 9. Januar ist für Aktivisten eine Quelle großer Frustration, da damit Macron eine dreiwöchige Frist eingeräumt würde. Die französischen Arbeiter haben sich jedoch vor Ort und spontan organisiert, um von unten den Druck auf die Regierung aufrechtzuerhalten, obwohl ihre offizielle Führung dazu keinerlei Anweisungen oder organisatorische Rückendeckung gegeben hat.
Bei mehreren Gelegenheiten haben CGT-Mitarbeiter aus dem französischen Hauptstromnetz (RTE) große Teile des Landes mit Stromausfällen getroffen, um die Macht der Arbeiterklasse deutlich zu machen. Am 22. Dezember waren die Lieferungen von Amazon am Standort Blanc-Mesnil bei Paris von Stromausfall betroffen. Ein Vertreter der Gewerkschaft vor Ort sagte jedoch über Twitter zu, dass die ärmeren Familien wieder Strom bekommen würden. Er versprach für Menschen mit Zahlungsschwierigkeiten bei ihrer Stromrechnung Sondertarife für Schwachlaststunden und versprach: „Für die Armen wird es kein Weihnachtsfest bei Kerzenschein geben."
Inzwischen sind Hunderte von Tankstellen trockengelaufen, nachdem mehrere private Ölraffinerien von streikenden Arbeitern stillgelegt wurden. Nach dem Zusammenbruch der Verhandlungen zwischen den Gewerkschaftsführern und der Regierung stimmten Generalversammlungen von Arbeitern in den Raffinerien von Grandpuits-Bailly-Carrois, Lavéra, La Mède und Feyzin für vollständigen Produktionsstillstand – was die Kraftstoffproduktion im Land halbierte. Viele Kraftstoffdepots und Häfen streiken ebenfalls oder betreiben einen eingeschränkten Dienst, was die Kraftstoffversorgungskette weiter behindert. Die Generalversammlungen der Erdölarbeiter waren sehr kämpferisch. Die Reden gingen weit über die Verurteilung der Rentenreform hinaus und griffen das Herzstück der reaktionären Politik von Macron an.
Während des letzten umfassenden Streiks am 17. Dezember traten Schauspieler und Sänger der Pariser Oper auf den Straßen auf. An Heiligabend führten Tänzerinnen des Pariser Balletts vor Streikenden kostenlos unter freiem Himmel den Schwanensee von Taschikowsky auf. Aus Ausgleich für ihre körperlich anstrengende Tätigkeit können Balletttänzerinnen und -tänzer, die häufig schon in jungen Jahren an chronischen Erkrankungen wie Sehnenentzündungen leiden, bislang früher in Rente gehen. Diese Regelung wird aufgehoben, wenn Macrons Plan umgesetzt wird. Als die Tänzer am Dienstag sich unter Tschaikoskys Melodien grazös bewegten, waren ganz oben Transparente mit den Parolen „Pariser Oper im Streik“ und „Kultur in Gefahr“ angebracht.
Die öffentliche Unterstützung nimmt zu
Die Transportarbeiter, die an der Spitze des Kampfes stehen, streiken weiter, und der öffentliche Verkehr in ganz Frankreich ist nach wie vor stark gestört. Nur etwa 60 Prozent der Hochgeschwindigkeits-TGV-Verbindungen werden betrieben, 70 Prozent der Ouigo-Strecken, ein Drittel der Intercité-Züge, ein Fünftel der Transilien-Verbindungen, 40 Prozent der TER-Regionalzüge, 60 Prozent der Pariser Busverbindungen und nur zwei Pariser U-Bahn-Linien (beide sind automatisiert). Die Streiks haben die SNCF bisher rund 400 Millionen Euro Umsatz gekostet. Der Eurostar wurde ebenfalls von Stornierungen getroffen.
Am zweiten Weihnachtstag fanden inoffizielle Demonstrationen von einigen hundert RATP- und SNCF-Arbeitern in Paris statt, an denen sich ein Kontingent streikender Lehrer und Gelbwesten beteiligte. Eine ähnliche Aktion wurde von CGT-, FO-, FSU- und Solidaire-Aktivisten in Nantes organisiert. Wie zu erwarten war, war die Beteiligung in beiden Fällen erheblich geringer als die von den wichtigsten Gewerkschaften organisierten offiziellen Streiks und Aktionstage. Im Allgemeinen wird bei den Transportarbeitern - der Hauptpfeiler des Streiks - deutlich, dass Müdigkeit zu spüren ist.
Am 23. Dezember sank die Streikteilnahme der SNCF-Beschäftigten zum ersten Mal seit Beginn der Aktion von 85 Prozent am 5. Dezember auf unter 50 Prozent. Der Weihnachtsdruck (in Verbindung mit dem Fehlen eines klaren Plans der Gewerkschaftsspitzen zur Ausweitung des Kampfes) hat dazu geführt, dass viele Streikende wieder an die Arbeit gingen. Transportarbeiter verlieren derzeit zwischen 120 und 100 Euro pro Tag. Da die Regierung hartnäckig bleibt und es an einer klaren und kühnen Führung mangelt, verlieren einige den Mut.
Auch Unterdrückungs- und Disziplinierungsmaßnahmen beginnen ihren Tribut zu fordern. Beispielsweise wurde am 23. Dezember ein spontaner Protest von Hunderten von Gewerkschaftern an den Bahnsteigsperren im Gare de Lyon in Paris von der Bereitschaftspolizei brutal angegriffen. Ebenso haben Lehrkräfte und Jugendliche eine Zunahme staatlicher Gewalt erlebt. Am 20. Dezember verurteilten CGT-Mitglieder in einer Erklärung, dass Lehrer und protestierende Studenten in Paris von der Polizei mit Gas angegriffen und geschlagen wurden, als sie friedlich den Zugang zu ihren Schulen blockierten. Diese Art von Brutalität kann die Massen vorantreiben, aber ohne eine starke Führung und einen festen Plan kann sie auch ihre Energie erschöpfen, wie wir das auch im Abflauen der Gelbwesten gesehen haben.
Umgekehrt können viele Arbeiter aber nun nicht mehr zurück und müssen bis zum bitteren Ende weiterkämpfen. "Dies ist ein Wendepunkt", sagte Raffi Kaya gegenüber AFP im Gare de Lyon. "Es fängt an, finanziell zu schmerzen. Aber wir sind zu weit gegangen, um jetzt aufzuhören." Darüber hinaus wird die Moral der Transportarbeiter trotz gewisser Anzeichen von Schwankungen durch ein hohes Maß an öffentlicher Unterstützung und Solidarität aufrechterhalten, ungeachtet der Unannehmlichkeiten, die sich aus Reiseunterbrechungen über Weihnachten ergeben.
Es ist klar, dass Macrons Versuche, die französischen Massen gegen den Streik aufzubringen, nicht fruchten. Eine kürzlich durchgeführte Umfrage ergab, dass die öffentliche Unterstützung für den Streik von Beginn des Konflikts an um einige Prozentpunkte auf 62 Prozent gestiegen ist. Eine andere Umfrage ergab, dass 57 Prozent der Bevölkerung gegen die Rentenreform sind, verglichen mit 49 Prozent am 12. Dezember. Gleichzeitig meinten 46 Prozent, Macron und die Regierung seien hauptsächlich für den aktuellen Streit verantwortlich, verglichen mit 26 Prozent, die die Gewerkschaften beschuldigten. In einer sehr konkreten Demonstration von Unterstützung und Solidarität hat ein Gewerkschafts-Kampffonds bisher 1,3 Mio. EUR aus öffentlichen Spenden erhalten, um den Streikenden ihren Lohnausfall zu ersetzen.
Verrat
Macron hatte mehr Glück bei seinem Versuch, die Gewerkschaftsspitzen davon zu überzeugen, ihre Basis zu verraten. Zum Beispiel hat die Regierung separate Verhandlungen mit den wichtigsten Gewerkschaften im Luftverkehr aufgenommen und ihnen angeboten, ihren Zusatzrentenfonds (CRPN) und ihr Pensionsalter von 60 Jahren beizubehalten. Dies veranlasste die SNPNC, UNPNC, Unac und Unsa PNC, ihre Streikbeteiligung vorerst bis auf Weiteres auszusetzen. Die SNGAF, die wichtigste Gewerkschaft, die die Kabinenbesatzungen vertritt, bleibt fest, während die SNPL (die die Mehrheit der gewerkschaftlich organisierten Piloten vertritt) ihren Streikaufruf am 3. Januar unter der Bedingung aussetzen würde, dass die Garantien für die oben genannten Zugeständnisse bestätigt werden.
Neben der Erschöpfung der Streikenden durch Zermürbung war dies von Anfang an die Strategie von Macron, die Einheitsfront der Transportarbeiter durch kleinere Zugeständnisse an verschiedene Bereiche und Schichten aufzulösen. Gegen dieses Teile- und Herrsche-Gebaren kann nur von unten Widerstand geleistet werden. Dabei ist entscheidend, dass Basisaktivisten ihre Kolleginnen und Kollegen darauf hinweisen, dass es bei diesem Kampf um mehr als um Renten geht – es ist ein Kampf gegen das faule kapitalistische System selbst und seine Vertreter in der Regierung von Macron.
In einigen Fällen haben sich Basisaktivisten den Versuchen der Gewerkschaftsspitzen widersetzt, sie zum Streikabbruch zu drängen. Am 19. Dezember gab die Regierung bekannt, dass sie bereit sei, Kompromisse hinsichtlich des Renteneintrittsalters einzugehen, zusammen mit dem weithin kritisierten formalen Renteneintrittsalter von 62, wobei die volle, abschlagsfreie Rente jedoch erst mit 64 Jahren beantragt werden kann. Premierminister Édouard Philippe und der Rentenbeauftragte Laurent Pietraszewski sind unerbittlich gegen die Beibehaltung der besonderen Rentenregelungen für Beschäftigte im Öffentlichen Dienst.
Dennoch reichte dieser „Fortschritt“ in der Frage des Renteneintrittsalters aus, um die Führer der gemäßigteren Gewerkschaften CFTD und UNSA zu überzeugen, in ihren Streiks über die Feiertage eine „Pause“ einzulegen. Dies mit der Begründung, dass die Weihnachtszeit „kein guter Zeitpunkt ist, um eine Bewegung fortsetzen” - und trotz der Unterstützung durch die Öffentlichkeit. Feigenblatt für diese Haltung war die Behauptung, dass die Arbeiter sich "Sorgen um ihr Geld" machten und Zeit brauchten, um "ihre Batterien wieder aufzuladen".
Dieses Manöver wurde von Basisaktivisten empört aufgenommen. Die der CFDT und der UNSA zugehörigen Eisenbahner beschlossen, trotz ihrer Führung weiter zu streiken. Auch die branchenübergreifende Solidarität hat sich weiter entwickelt. Eine Generalversammlung am Nordbahnhof Gare du Nord in Paris, an der Lokführer, Einzelhandelsbeschäftigte und Fahrdienstleiter teilnahmen, stimmte einstimmig für eine Fortsetzung des Streiks. Ein solcher Entschluss von Mitgliedern weniger militanter Gewerkschaften ist ein vielversprechendes Zeichen und ein Beweis für die Erfahrung, die sie im Verlauf dieses Kampfes gesammelt haben, zusätzlich zu den bitteren Lehren aus dem jahrelangen zerstörerischen Verhalten ihrer Führer
In den letzten vier Wochen hat sich eine der mächtigsten Streikbewegungen in der Geschichte Frankreichs entfaltet. Trotz der Beschränkungen ihrer schwankenden Führung hat die Arbeiterklasse den Kampf über die Feiertage und Ferienzeit fortgesetzt. Sie hat auch die Mehrheit der Öffentlichkeit auf der Seite gehalten. Der nächste umfassende und übergreifende Streik wird entscheidend sein. Sein Erfolg und der Erfolg der gesamten Bewegung wird von der Fähigkeit der einfachen Arbeiter abhängen, auf den in diesem Kampf entstandenen Banden der Solidarität und der Kämpfe aufzubauen. Es kommt darauf an, weiter neue Schichten von Arbeitern der Privatwirtschaft zu gewinnen und diesen Kampf gegen Macrons Rentenreform in eine endgültige Auseinandersetzung mit der Regierung selbst zu verwandeln.
Vollständiger Sieg oder Niederlage: Einen Mittelweg gibt es nicht.