Weltwirtschaft
„Es ist die Wirtschaft, die entscheidet, aber nur in letzter Analyse. Von direkterer Bedeutsamkeit sind jene politisch-psychologischen Prozesse, die nun im deutschen Proletariat stattfinden und die eine ihnen eigene Logik haben." (Leo Trotzki, Die ersten fünf Jahre der Kommunistischen Internationale, Einführung in die Ausgabe von 1924)
Wirtschaftliche Perspektiven sind von großer Wichtigkeit, dürfen aber nicht isoliert von der allgemeinen Situation des Weltkapitalismus herangezogen werden. MarxistInnen lehnen den ökonomischen Determinismus ab, sie stützen sich hingegen auf den dialektischen Materialismus. Eine wissenschaftliche Perspektive zieht alle Seiten der Gleichung in Betracht. Eine dialektische Analyse beschäftigt sich mit Aktion, Reaktion und Interaktion aller Faktoren, sowohl der Wirtschaft wie jenen des Überbaus (politische, militärische, diplomatische etc.)
Wirtschaftliche Krisen spielen eine wichtige Rolle, wie wir in Asien, Russland und Argentinien in den Krisen von 1997-2001, die schwerwiegende soziale und politische Auswirkungen hatten, gesehen haben. Aber in der gegenwärtigen Situation des Weltkapitalismus, in der die Widersprüche sich auf jeder Ebene steigern, kann jeder Stoß von außen tiefgehende Folgen haben, ob er aus der Weltwirtschaft oder aus anderen Faktoren herrührt.
Der Wirtschaftszyklus ist wichtig, aber er erschöpft die Frage des Klassenbewusstseins oder der revolutionären Perspektiven nicht. Es ist genauso eine politische Frage. Beispielsweise hatten die Auswirkungen der Instabilität im Nahen und Mittleren Osten, die Invasionen von Afghanistan und dem Irak, einen großen politischen Einfluss auf Italien und Spanien. Auch in den USA gibt es eine ernsthafte Krise bezüglich des Irak. Am anderen Ende der Welt wurde Pakistan durch die Ereignisse in Afghanistan total destabilisiert.
Der Sturz der Regierung Aznar in Spanien war ein plötzlicher und radikaler Schwenk in der Situation, der in der globalen Krise des Kapitalismus wurzelte, aber nicht direkt mit der Wirtschaft verbunden war. In der Periode, in der wir leben, sind solch plötzliche Schocks in der allgemeinen Situation angelegt. Das gilt auch für die Ökonomie, die der letztlich entscheidende Faktor der Weltgeschichte bleibt.
Der entscheidendste Faktor in der gegenwärtigen geschichtlichen Phase ist die alles beherrschende Dominanz der Weltwirtschaft, die vor langem von Marx vorhergesagt worden war und nun Realität geworden ist. Keine Nation, egal wie stark, kann der mächtigen Anziehungskraft der Weltwirtschaft widerstehen. Weder die UdSSR noch China - beide starke Ökonomien, die halbe Erdteile umfassten - konnten dieser Kraft widerstehen, umso weniger die kleinen Staaten Europas.
Der Zusammenbruch der Sowjetunion und die darauf folgende Aufnahme von fast zwei Milliarden Menschen aus Indien, China und der früheren UdSSR in die Weltwirtschaft hat dem Welthandel einen gewaltigen Auftrieb gegeben und fungierte als Heißluftballon für den Kapitalismus. Die Intensivierung der internationalen Arbeitsteilung und die Öffnung neuer Märkte und Investitionsfelder boten die Gelegenheit für Superprofite und Plünderei.
Doch all dies bedeutet nicht, dass die fundamentalen Widersprüche des Kapitalimus überwunden worden wären. Sie wurden nur in einem weit größeren Ausmaß als jemals zuvor in der Geschichte reproduziert. Die bürgerlichen ÖkonomInnen verfielen einmal mehr der Illusion, dass der Wirtschaftszyklus überwunden sei und Krisen der Vergangenheit angehörten. Sie schrieben über das sogenannte Paradigma der Neuen Ökonomie.
Doch jetzt spricht davon niemand mehr. Die Internetkrise des Jahres 2000 brachte den Heißluftballon zum Platzen und obwohl für ein paar Jahre Erholung bestand, sind jetzt alle nervös wegen der Aussichten auf eine Abschwächung der Weltwirtschaft oder sogar einer Rezession im Jahr 2008. Das alte Vertrauen und der „irrationale Überschwang" sind Vergangenheit und machten einem tiefen Angstgefühl Platz.
Wirtschaftliche Turbulenzen
Jeder Wirtschaftszyklus beginnt mit einem Boom und endet in einer Depression. Es ist jedoch unmöglich, ein exaktes Timing für den Zyklus vorherzusagen. Alle Bestandteile für eine Talfahrt, v.a. in der einen zentralen Platz einnehmenden US-Wirtschaft, sind gegeben. Das Platzen der Technologieblase im Jahr 2001 führte zu einer (wen auch relativ milden) Rezession. Aber es gibt keine Garantie, dass es beim nächsten Mal genauso sein wird. In der Wirtschaft ist die Vergangenheit kein Wegweiser für die Zukunft. Die gegenwärtige Krise auf den Geldmärkten eröffnet die Perspektive einer ausgedehnteren Rezession. Der Dollar bleibt trotz allem die „Reservewährung" der Welt. Ein weiterer Fall seines Werts könnte die Weltwirtschaft destabilisieren.
In den letzten fünf Jahren wuchs die Weltwirtschaft im Durchschnitt um fast 5% pro Jahr, nur knapp unter den größten jemals erreichten Wachstumsraten. Für die fortgeschrittenen kapitalistischen Länder betrug das Wachstum nur moderate 2,8% im Jahr. Es sind die „aufstrebenden" Volkswirtschaften, die die Zahlen mit einer Wachstumsrate von 7,8% hochtreiben. China verzeichnete 11% und Indien 9%. Das ist ein neues Phänomen, doch die Perspektiven der Weltwirtschaft sind weiter abhängig von der Entwicklung der fortgeschrittenen kapitalistischen Länder, v.a. der USA.
Obwohl die Wachstumsraten von 5% pro Jahr jenen der Nachkriegsboomära zwischen 1948-73 ähneln, verbleiben wir in einem neuen und weniger optimistischen Stadium des Kapitalismus. Mehr noch, es gibt klare Hinweise, dass diese Wachstumsraten nicht zu halten sind. Die Krise vom Sommer 2007, die auf dem Subprime Markt in den USA ihren Anfang nahm und rasch auf andere Länder übergriff, war ein Warnsignal, dass der Boom sich seinem Ende nähert. Das Chaos auf den internationalen Börsenmärkten im Sommer 2007 war eine Manifestation der allgemeinen Turbulenz, die das Merkmal der gegenwärtigen Epoche darstellt.
Mit der Entscheidung die Zinsraten nach der Krise vom Sommer 2007 zu senken wollte der Vorstand der US-Zentralbank die „Ansteckungsgefahr" mindern, d.h. also die Ausbreitung der Krise vom Subprime Sektor auf den Rest der Wirtschaft und das Absinken der USA in eine voll ausgewachsene Rezession verhindern. Das zeigte, dass die Bürgerlichen das Risiko einer möglichen Rezession erkennen, und es ist die Angst vor einer Rezession, die hinter der gegenwärtigen Nervosität auf den Geldmärkten steckt.
Finanz- und Realwirtschaft
Der Boom in den USA war großteils ein durch Kredite gestützter Konsumboom. Wie Marx schon erklärte, ist der Kredit ein Weg, den Markt über seine natürlichen Beschränkungen auszudehnen. Aber das hat seine Grenzen und diese wurden nun erreicht. Wenn die KapitalistInnen keine Märkte für ihre Waren finden können, wird kein Mehrwert realisiert und eine Überproduktionskrise bildet sich heraus.
Die Finanzkrise vom Sommer 2007 war eine Art Wendepunkt. Er mag oder mag auch nicht bedeuten, dass der kritische Punkt erreicht ist, wenn die Weltwirtschaft in eine Rezession zu rutschen beginnt. Das ist eine Möglichkeit. Aber die Gesetze, die das Verhalten der Geldmärkte dirigieren, sind nicht dieselben wie jene, die den kapitalistischen Zyklus kontrollieren. Eine Börsenkrise mag der Funke sein, der eine allgemeine Krise entzündet, wie es 1929 passiert ist. Doch wenn der zugrundeliegende Prozess sich weiter auf einer ansteigenden Kurve befindet, kann eine solche Krise dazu dienen, fiktives Kapital aus dem System zu pressen und so den Weg für eine weitere Periode (längeren oder kürzeren) Wachstums bereiten, wie dies etwa 1987 der Fall war.
Das Sinken der Immobilienpreise wird die Ausgaben der US-AmerikanerInnen in größerem Ausmaß drücken als dies im Zuge der Börsenkrise von 2001 der Fall war. Die unmittelbaren Effekte der Subprime-Krise waren ein Fall der Immobilienpreise und verschlechterte Kreditkonditionen. Infolgedessen können die Haushalte nicht weitere Kredite in der Hoffnung auf steigende Immobilienpreise aufnehmen, um ihre Ausgaben zu finanzieren. Ein weithin beobachteter Index des KonsumentInnenvertrauens fiel drei Monate in Folge, bis er im Oktober auf dem tiefsten Stand seit zwei Jahren angelangt war.
Eine der Haupttriebkräfte des Booms in den USA war der Boom in der Bauwirtschaft. Das stand in enger Verbindung mit den steigenden Immobilienpreisen. Doch der Immobilienmarkt ist nun im Niedergang begriffen. ExpertInnen haben zwar vorausgesagt, dass die Immobilienpreise in den USA niemals fallen würden. Doch sie fielen in den letzten 12 Monaten um 5%. Die Investitionen in den Wohnbau sind zusammengebrochen. Ein Überangebot unverkaufter Häuser bedeutet, dass die Preise noch tiefer sinken werden.
Das wird die US-Ökonomie auf vielfältige Weise betreffen. Die sinkende Nachfrage, verursacht durch die Überproduktion auf dem Wohnbausektor, verursacht einen Absturz in der Bauindustrie. Das wird einen Folgeeffekt auf andere Industriezweige haben (Stahl, Zement, etc.). Andererseits wird es eine negative Wirkung auf Kredit und Konsum haben und die Nachfrage reduzieren, was wiederum Auswirkungen auf die Produktion haben wird.
Wenn die US-AmerikanerInnen ihre Ausgaben plötzlich verringern werden, wie es zu erwarten ist, wird das auf die Wirtschaft drücken. Der Konsum war in den USA die Lokomotive des Wachstums seit der Rezession 2001/2. Dieses Wachstum gründete nicht auf gestiegenen Einkommen - die Arbeitslöhne hatten in den Staaten seit Jahrzehnten stagniert. Es basierte auf einem „Reichtumseffekt" der KonsumentInnenkredite zur Finanzierung der steigenden Immobilienpreise. Diese Preissteigerung war natürlich eine Blase. Diese Blase ist nun geplatzt.
Der steigende Ölpreis (ungeachtet episodischer Fluktuationen beim Grundpreis) wird die Kaufkraft weiter reduzieren. Aus diesen objektiven Gründen ist das „KonsumentInnenvertrauen" schnell gesunken. Wenn die Leute weniger Geld haben, Kredite teuer sind, Preise steigen und man um seinen Job fürchten muss, geht man natürlich nicht groß einkaufen. Es kann nicht mehr lang dauern, bis sich der Konsumboom in den USA von selbst erschöpft. Und wenn es keinen Markt gibt, auf dem Dinge verkauft werden können, wird das früher oder später die Profite der Konzerne betreffen und zu einem Fall der Produktionsinvestitionen führen.
Fiktives Kapital
Finanzielle Krisen und Kreditspritzen sind nicht der Grund für Wirtschaftskrisen, sondern deren Folgewirkung. Dialektisch betrachtet wird die Ursache zur Wirkung und die Wirkung zur Ursache. Der kapitalistische Zyklus von Boom und Depression hat tiefergehende Gründe. So lange die KapitalistInnen ihre Profite aus der Gewinnung des Mehrwerts ziehen, gibt es „Vertrauen" und „Zuversicht" und Kredite sind leicht erhältlich. Doch wenn der Zyklus seine Grenzen erreicht und sich die Anzeichen mehren, dass die guten Zeiten nicht anhalten werden, schwindet diese „Zuversicht".
Marx erwähnt im „Kapital", dass es zwei Sorten von finanziellen Krisen im Kapitalismus gibt. Es gibt finanzielle Panik, die ein direkter Ausfluss der Krise in der realen Wirtschaft ist und dazu dient, die Krise noch schlimmer zu machen. Und dann gibt es finanzielle Krisen, die augenscheinlich zufälligen Faktoren entspringen, die einen rückwirkenden Effekt auf die Wirtschaft haben. Es ist nicht klar, welche Auswirkung die gegenwärtige Kreditkrise auf die „reale Wirtschaft" haben wird. Es ist klar, dass die US-Wirtschaft und damit die Welt kurz vor einer Rezession steht.
Finanzielle Krisen verursachen nicht Depressionen, denn diese sind Folge der Anarchie der kapitalistischen Produktion. Aber sie können natürlich Krisen verschärfen, indem riesige Mengen fiktiven Kapitals während des Aufschwungs in das System injiziert werden. Das passierte in der Periode vor dem Großen Börsenkrach 1929 und passiert in noch größerem Ausmaß jetzt.
Der Anstieg der Kreditkosten betrifft nicht nur die KonsumentInnen und HauseigentümerInnen, dies wird auch die Profitrate der KapitalistInnen schmälern. Das kann ab einem gewissen Punkt die Investitionen beeinflussen, besonders in Kombination mit steigenden Rohstoffpreisen (etwa bei Öl).
Die US-Zentralbank trug gehörig zu dieser Blase und dieser Schuldenanhäufung bei. Indem die Raten für zu lange Zeit auf zu niedrigem Niveau gehalten wurden, wurde der Kreditboom gefördert und damit der Weg für die gegenwärtige Krise bereitet. In der Zeit von 2002 bis Anfang 2006 waren die „realen" Zinsraten tatsächlich negativ. Die Leute wurden dafür bestraft, keine Schulden zu machen. Greenspan sagt jetzt: „Die Menschheit kennt keinen Weg, mit Blasen richtig umzugehen." Er gibt zu, dass er von der kursierenden Subprime Manie außer Gefecht gesetzt worden war. Das trifft auch für die meisten ÖkonomInnen und die Bourgeoisie im Allgemeinen zu.
Dieses Ausmaß an Spekulation und fiktivem Kapital, das in den letzten Jahren in die Wirtschaft gepumpt worden ist, wirkt wie ein Gift, das ausgesaugt werden muss. Doch beim Versuch, das zu tun, kann die Blase leicht zum Platzen gebracht werden. An diesem Punkt beginnen die KreditgeberInnen, die Rückzahlung der Schulden einzufordern und sind nicht mehr so bereit, Geld herzuleihen. Sie fordern eine höhere Zinsrate. Das drückt auf die Profitrate und senkt die Nachfrage. Was eine Auswirkung war, wird nun zur Ursache und macht den ganzen Zyklus zu einer unkontrollierbaren Abwärtsspirale.
Auf dem Gipfel des Booms kann es eine Börsenkrise geben, die dazu dient, die riesigen Mengen fiktiven Kapitals, die während des Aufschwungs in das System gepumpt worden waren, herauszupressen. Das wird dann als „Korrektur" bezeichnet und soll dieselbe heilende Wirkung haben, wie man es von einem Aderlass (Abziehen einer großen Menge Bluts vom PatientInnen) im Mittelalter glaubte. Doch wie wir wissen, kann der Verlust von zu viel Blut auf einmal verheerende Folgen haben.
Das ist es, wovor sich die Bürgerlichen sowohl in Britannien wie auch in den USA fürchten. Deswegen treiben sowohl die US-Zentralbank als auch (widerwillig) die Bank of England die Inflation in der Wirtschaft an. Damit mögen sie das Übel ein wenig verzögern, aber nur um den Preis eines später noch schärferen und tieferen Zusammenbruchs.
Die Inflation auf den Börsen war schon vor der Subprime- Krise schwindelerregend. Die Marktkapitalisierung aller US-Börsen wuchs von 5,3 Billionen Dollar Ende 1994 auf 17,7 Billionen Dollar Ende 1999 auf 35 Billionen Dollar Ende 2006 und führte zu einem exponentiellen Anstieg der Kurs-Gewinn-Verhältnisse. Das war nicht das Ergebnis einer Ausweitung der Produktionsaktivitäten, sondern eines massiven Anstiegs fiktiven Kapitals: mehr Dollars, die derselben Zahl von Wertpapieren nachjagten.
Das Resultat wiederholter Zinsratenkürzungen ist, dass ein Land weit über seine Mittel lebt (BankerInnen nennen das moral hazard). Einst der weltgrößte Kreditgeber wurden die USA mit Nettoauslandsverbindlichkeiten in der Höhe von 3.000 Billionen Dollar zum weltgrößten Schuldner. Die Sparzinsrate fiel erstmals seit der Depression unter null. Die USA weisen aktuell ein jährliches Defizit von 6,5% des BIP auf und die Zentralbank sah selbstzufrieden zu, wie die KonsumentInnen in den USA fröhlich weiterhin Geld ausgaben und noch höhere Schulden anhäuften. Als Ergebnis dessen hat Asien, insbesondere China, riesige Währungsreserven auf Kosten der USA angehäuft.
Die jüngste Krise enthüllte in welch hohem Ausmaß die großen US-Banken in Spekulationen involviert sind. Besonders geschmacklos war die Praxis des Kaufens und Verkaufens von Schulden. Während des letzten Booms boten Banken und Finanzhäuser ihren KundInnen gerne Kredite und Hypotheken an, die es sich nicht leisten konnten. Solange die Zinsraten niedrig (und für eine Zeit sogar negativ) waren, schien dies ein guter Deal zu sein. Viele arme ArbeiterInnen waren versucht, auf dieser Grundlage Häuser zu kaufen. Mehr noch, die Banken verkauften Pakete dieser Schulden an andere Banken, die sie gern kauften.
„Strukturierte Finanz" ist der Begriff, der für ein System verwendet wird, das angeblich dazu entworfen wurde, Kapital effizienter zu verteilen, indem andere MarktteilnehmerInnen eine Rolle erfüllen dürfen, die üblicherweise als ausschließliche Domäne der Banken betrachtet wurde. In der Praxis ist das ein riesiger Schwindel. Unsichere Hypothekendarlehen und andere Verbindlichkeiten wurden durch sogenannte Sicherheitsbildung wie von Zauberhand in Vermögenswerte (Sicherheiten) umgewandelt. Dies war das finanzielle Äquivalent zur Alchemie, die behauptet hatte, Blei in Gold zu verwandeln. Dieses System beruht auf InvestorInnen, welche die Finanzierung für Hypothekendarlehen, die gepoolt und als beidseitige Schuldverpflichtung (collateralized debt obligations CDO) verkauft werden, bereitzustellen.
Das bedeutet, dass die Bürgerlichen Schulden kaufen und verkaufen. Riesige Vermögen wurden mit diesem enormen Schwindel gemacht. Es war sehr nett, so lang es dauerte. Aber alle guten Dinge müssen ein Ende haben. Die Panik auf den US-Kreditmärkten wurde im Mai 2007 losgetreten, als Bear Stearns riesige Verluste in zweien seiner Hedgefonds enthüllte. Einen der beiden Fonds ließ man zusammenbrechen, den anderen schöpfte die Bank aus. Im August 2007 fielen die Neuverkäufe von CDOs um 73%.
Die ÖkonomInnen sagen, dass die Subprime Kreditkrise in den USA die Ursache war. Aber wie Hegel vor langer Zeit erklärte, drückt sich die Notwendigkeit durch den Zufall aus: wenn nicht Subprime, wäre es etwas anderes gewesen. Subprime in den USA war das schwache Glied in der Kette. Wie Greenspan zugibt: „Wenn wir nur das in den Griff bekommen hätten und die allgemeine Unruhe nicht besänftigen hätten können, wäre es etwas anderes gewesen, aber es wäre auf die eine oder andere Weise passiert."
Schmarotzertum
In ihrer Jugend entwickelte die Bourgeoisie, getrieben von der Gier nach Profit und dem unstillbaren Durst nach Mehrwert (die unbezahlte Arbeit der ArbeiterInnenklasse), die Produktivkräfte. Aber in der Phase ihres senilen Niedergangs spielt sie keine fortschrittliche Rolle mehr. Marx erklärte, dass das wahre Ideal der Bürgerlichen darin liegt, Geld aus Geld zu machen, ohne eine Notwendigkeit zu haben, auf den schmerzhaften Produktionsprozess zurückgreifen zu müssen. Die Bourgeoisie wurde mit einer Krankheit infiziert, für die kein Heilmittel bekannt ist.
In der Vergangenheit spielte der Kapitalismus eine relativ progressive Rolle in der Entwicklung der Produktivkräfte und damit bei der Schaffung der materiellen Grundlage für eine neue Gesellschaft - den Sozialismus. Aber heute ist das nicht mehr der Fall. Mit Ausnahme Chinas (und einiger anderer asiatischer Ökonomien) entwickelt die Bourgeoisie keine Produktivkräfte. Das ist ein Symptom für die endgültige Erkrankung des Kapitalismus.
Nun ist sie nahe dran, den alten Traum zu realisieren, Geld aus Geld machen zu können. In Britannien, den USA und vielen anderen Ländern gab es einen starken Rückgang bei der Güterherstellung und einen riesigen Anstieg des parasitären Finanz- und Dienstleistungssektors. Die sogenannten Private Equity-Firmen sind in eine spekulative Orgie von Übernahmen verwickelt, die keine Produktivität, sondern vielmehr Schließungen, Entlassungen und die Aushöhlung der Industrie zum Wohl der Profitgewinnung mit sich bringen.
Die Summen, die für sogenannte kreditfinanzierte Übernahmen aufgewendet werden, sind enorm. Um 32,16 Mrd. Dollar in bar und den Transfer von 15,9 Mrd. Dollar Schulden stimmte Bell Canada Enterprises (BCE), Eigentümer der größten Telefongesellschaft in Kanada, zu, von einem Pensionsfonds in Ontario und zwei US-amerikanischen Private Equity-Firmen aufgekauft zu werden. Wenn das abgeschlossen ist, wird die Übernahme nicht nur die größte in Kanadas Geschichte, sondern der größte kreditfinanzierte Übernahme überhaupt sein. Das stellt auch die Neuigkeit in den Schatten, dass in Britannien eine Private Equity-Firma Virgin Media, eine Firmengruppe im Bereich von pay-TV, Internet und Telefon, für lächerliche 11 Mrd. Dollar oder so kaufen kann.
Das gesamte Banksystem ist bis zum Hals in Betrug und Schwindel aller Arten verstrickt. Das war immer so. Während eines Boom, wenn die Produktion in vollem Schwung ist und genug Geld gemacht werden kann, gibt es ein verzweifeltes Gerangel um Kredite. Ein Übermaß an Geld und Kredit spielt in diesem Stadium des Zyklus eine positive Rolle bei der Instandhaltung des Systems und der Bereitstellung benötigter Liquidität.
Es ist immer ein Element der Spekulation in all dem enthalten, wie Marx erklärte. Wenn jeder Geld macht, kümmert sich niemand darum, allzu genau darauf zu achten, woher das Geld kommt - oder ob es überhaupt echtes Geld ist. Der englische Ökonom Gilbart schrieb schon 1834: „Was immer die Möglichkeit zum Handel eröffnet, eröffnet die Möglichkeit zur Spekulation. Handel und Spekulation sind in manchen Fällen so eng verbunden, sodass es unmöglich ist zu sagen, an welchem Punkt genau der Handel endet und die Spekulation beginnt."
Zu Marx' Zeiten wurde geschätzt, dass vielleicht „neun Zehntel aller Sparguthaben keine Existenz über den Eintrag in den Büchern der Banker, die dafür verantwortlich sind, hinaus haben könnten." (The Currency Theory Reviewed, S. 62f)
In diesem fröhlichen Karneval des Geldmachens ist jeder von der Aussicht auf Bereicherung zu benebelt, als dass er sich um das Kleingedruckte kümmern würde. „Iss, trink und sei glücklich, denn morgen sterben wir!" Das ist das Motto der Bourgeoisie in einer Boomperiode. Doch wenn der Boom an Dampf verliert, werden die betrügerischen Pläne und der Schwindel sichtbar. Zusammenbruch von Banken sind in der Zukunft unausweichlich.
Der einzige Unterschied zwischen der gegenwärtigen Periode und der Vergangenheit ist das Ausmaß der Orgie des Schwindels und der Spekulation. In der letzten Periode wurden Unmengen an fiktivem Kapital über den Börsenboom, die Immobilienblase und die endlose Ausdehnung von Kredit und Schulden in das System gepumpt. Das ist nur eine weitere Facette des senilen Niedergangs des Kapitalismus.
Bankrott der bürgerlichen Wirtschaftswissenschaft
Im Kapitalismus sind Krisen unvermeidlich. Wer Kapitalismus akzeptiert, muss die Gesetze des Kapitalismus akzeptieren: also die Booms und Rezssionen (jetzt höflich als „Korrekturen" bezeichnet). Die ReformistInnen und KeynesianerInnen, die sich für ein Herumdoktern am System aussprechen, um den Zyklus durch staatliche Interventionen, Defizitfinanzierung, Geld-ins-System-Pumpen und so weiter „sanft ausklingen zu lassen", mögen darin Erfolg haben, die Krise um eine Weile hinaus zu verschieben, aber nur um den Preis, eine noch schwerere Krise in der Zukunft vorzubereiten.
Die bürgerlichen ÖkonomInnen sind unfähig, Krisen, die eine unausweichliche Folge des Kapitalismus sind, zu verstehen. Sie sind überrascht und außerstande zu erklären, was in so einem Fall vor sich geht. All ihre Vorhersagen erweisen sich als wertlos. Das ist nicht neu. 1929, Tage nach dem Börsenkrach, versicherte die Harvard Economic Society ihren AbonnentInnen: „Eine ernsthafte Depression ist außerhalb der Reichweite der Wahrscheinlichkeit." In einer Umfrage im März 2001 sagten 95% der amerikanischen ÖkonomInnen, dass es keine Rezession geben würde, obwohl diese schon längst begonnen hatte.
Die allgemeine Meinung der bürgerlichen ÖkonomInnen ist, dass die Zentralbanken und Regierungen die Wirtschaft so beeinflussen können, dass Depressionen vermieden werden können. Die meisten stimmen der These zu, dass eine Wiederholung des Zusammenbruchs von 1929 und der Großen Depression unmöglich ist. Sie vermuten, dass, weil es in den letzten 20 Jahren nur zwei Rezessionen gegeben hat und beide relativ mild waren, es nun gelungen wäre, ein magisches Rezept zur Vermeidung von Depressionen wie in der Vergangenheit zu finden. Das ist eine völlig irrige Vorstellung. Tatsächlich hat jeder ökonomische Zyklus seine eigenen Besonderheiten. Diese müssen in den spezifischen Faktoren der kapitalistischen Entwicklung hinsichtlich Zeit und Ort gesucht werden. Die Milde der letzten Rezessionen ist aber kein Indikator für eine neue Ära des Kapitalismus.
Die Northern Rock Krise in Britannien zeigte genau, dass alle Instrumente zur Lösung einer Krise und Vermeidung einer Panik nutzlos sind. Im Moment der Wahrheit werden die Leute von einem Herdeninstinkt ergriffen. Sie bewegen sich wie eine Herde wilder Tiere, die vom bloßen Geruch eines Löwen in eine Stampede versetzt werden. Viele KommentatorInnen haben sich zornig über dieses „irrationale" Verhalten geäußert. Wenn es irrational war, dann ist es dieselbe Irrationalität, die das Herz und die Seele des kapitalistischen Weltmarkts ausmacht.
Die Regierung und die Bank of England waren machtlos sowohl in der Verhinderung einer größeren Bankenkrise als auch in der Beruhigung der AnlegerInnen und InvestorInnen. Letztlich gelang es ihnen bloß, einen Totalzusammenbruch zu verhindern, indem sie den Bankern das Versprechen unlimitierter Fonds, finanziert aus den Taschen der Steuerzahlenden, abgaben. Das hat den Abrutsch vorübergehend gestoppt, aber nur um den Preis der Vorbereitung eines noch tieferen Falls in der Zukunft.
Bürgerliche Krisen (und Ökonomie allgemein) werden immer in subjektiven Begriffen erklärt. So wie alle KonsumentInnen universelles Wissen über Waren haben sollen, so werden alle Krisen entweder durch Fehlentscheidungen von Regierungen oder Zentralbanken oder, wie im jüngsten Buch des früheren Vorsitzenden der US-Notenbank, Alan Greenspan, durch die menschliche Natur verursacht:
„Die menschliche Natur bewegt sich von Euphorie zu Angst", lässt er uns wissen. „Es ist diese Angst, die moderne ÖkonomInnen nicht ausreichend in Rechnung ziehen, wenn sie ihre Vorhersagen machen", fügt er hinzu. „Der alte Boom-Krise-Zyklus ist in den letzten Jahren nicht gestorben - sondern hat nur geschlafen."
Heute versuchen sich die Bürgerlichen mit optimistischen Vorhersagen selbst zu trösten. Das erinnert an die Intonierungen primitiver Schamanen, die mit einem konstanten Singsang Regen machen wollen (der Gouverneur von Arizona tat übrigens vor kurzem genau das). Sie operieren mit der Vermutung, dass Booms und Krisen von subjektiven psychologischen Faktoren („Zuversicht") auf Seiten der KonsumentInnen oder InvestorInnen verursacht werden. In Wahrheit wird der kapitalistische Boom-Krisen-Zyklus von objektiven Faktoren, die außerhalb der Kontrolle der Regierungen und Zentralbanken liegen, bestimmt.
Die „Zuversicht" der InvestorInnen basiert auf sehr realen materiellen Betrachtungen. Solange die US-Ökonomie voranschritt, auch wenn die Fundamente brüchig waren, waren Bürgerliche anderer Länder bereit, in sie zu investieren. Sie widmeten dem kolossalen Ausmaß der Schulden und Riesendefizite einschließlich eines Währungsdefizits von ca. 800 Mrd. Dollar pro Jahr keine Aufmerksamkeit. Die USA müssen monatlich mindestens 70 Mrd. Dollar aufbringen, um nur dieses Defizit zu bedecken.
Die meisten ÖkonomInnen prognostizieren keine Rezession für die USA, doch die Fakten legen nahe, dass die USA wahrscheinlich auf eine zusteuert. Das US-BIP wuchs im dritten Quartal 2007 um 3,9%. Aber es gibt Anzeichen, dass die Wirtschaft 2008 stagnieren könnte, mit Produktions- und Arbeitsplatzkürzungen. Die meisten KommentatorInnen stimmen damit überein, dass die US-Ökonomie nächstes Jahr um weniger als 2% wachsen wird. Das bezieht die Effekte der Subprime Hypothekenpanik nicht mit ein. Greenspan, die Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) und andere meinen, dass es fifty-fifty stünde, ob die US-Wirtschaft im kommenden Jahr in eine Rezession schlittert.
Statt wachsender Zinsraten zur Inflationsbekämpfung gab die Notenbank den Finanzmärkten, was sie wollten: sie senkte den Leitzins. Diese Maßnahme, von einem kapitalistischen Standpunkt aus unverantwortlich, wurde aus Angst vor den sozialen und politischen Auswirkungen einer Rezession diktiert. Man kam zu dem Urteil, dass das Risiko einer Rezession besteht, sodass billigeres Geld gewährleistet werden müsse.
Um die Wall Street zufrieden zu stellen, unterschätzen die Zentralbanken die Gefahren der Inflation, obwohl es genügend Warnsignale gibt. Die Inflation steigt, diese Tatsache wird in den Regierungsstatistiken nicht angemessen reflektiert. Im Jahr 2000, als Bush ins Weiße Haus einzog, lag Gold bei 273$ pro Unze, Öl bei 22$ pro Barrel und der Euro war 0,87$ wert. Aktuell liegt Gold über 700$ pro Unze, Öl über 80$ pro Barrel und der Euro kostet 1,50$ [*]. Einige ÖkonomInnen sprechen von Ölpreisen von 125$ pro Barrel im kommenden Frühling. Die letzte Senkung der Zinsraten wird weiter Öl ins Feuer gießen.
Die günstigen Kerninflationszahlen mögen den Preisdruck unterschätzen, besonders angesichts des fallenden Dollars und der Rekordölpreise. Durch ihre Maßnahmen hat die Zentralbank den Glauben der Finanzmärkte, dass die Erwartungen der InvestorInnen die Entscheidungen der Zentralbanken bestimmen, bestärkt: wenn Wall Street eine Zinssenkung will, liefert die Zentralbank genau das.
Die Inflation war in den letzten 15 Jahren relativ stabil. Das verdankt sich einer Kombination von Globalisierung und dem Eintritt von Millionen schlecht bezahlter Arbeitskräfte in den Arbeitsprozess, was einen Druck auf Löhne und Preise ausübt. Die KapitalistInnen und ÖkonomInnen ließ dies kalt. Als Ergebnis ließen die Zentralbanken zu, dass die Finanzpolitik extrem lax wurde und so Probleme für die Zukunft in Form einer noch größeren Kreditblase anhäufte.
In der Zukunft werden alle Lämmer zur Schlachtbank heimkehren. Wir werden eine weltweite Krise der Überproduktion erleben, verstärkt von einem scharfen Widerspruch von Kredit und einem Zusammenbruch der Immobilien- und Börsenpreise. Alle Faktoren, die den Markt angeheizt haben, werden zusammenwirken, um ihn wieder auf den Boden zu bringen.
Konsequenzen für die Weltwirtschaft
David Walker, Präsident des Rechnungshofs der USA, zieht Parallelen zwischen der Krise, der die USA gegenüberstehen, und dem Ende des Römischen Reichs. Er warnt davor, dass es „beeindruckende Ähnlichkeiten" zwischen der aktuellen Situation Amerikas und den Faktoren, die Rom in den Niedergang trieben, gibt, einschließlich „sinkender moralischer Werte und politischer Zivilisiertheit im Inland, ein mit übersteigertem Selbstbewusstsein versehenes und im Übermaß im Ausland stationiertes Militär und finanzielle Unverantwortlichkeit seitens der zentralen Regierung." Das sagt uns eine Menge über die derzeitige Psychologie der StrategInnen des Kapitals.
Eine Rezession in den USA muss ernsthafte Folgen für den Rest der Welt haben.
Die bürgerlichen ÖkonomInnen versuchen zu argumentieren, dass die Volkswirtschaften Europas und Japans, die im dritten Quartal 2007 stark anwuchsen, die Welt vor einer Rezession beschützen werden. Doch viele ÖkonomInnen prophezeien, dass dieses Wachstum nicht anhalten wird. Selbst wenn es in gewissem Ausmaß anhält, wird das nicht genügen, die Rezession auf dem US-amerikanischen Markt zu kompensieren. Der fallende Dollar wird die Exportwirtschaft sowohl in Europa als auch in Japan treffen, deren Währungen in die Höhe treiben und ihre Waren weniger konkurrenzfähig machen. Mehr noch, die Immobilienkrise Europas spiegelt jene der USA wider, mit ähnlichen Ergebnissen. Einige europäische Banken sind bereits durch die Subprime-Krise in den USA geschädigt hervorgegangen.
Das ist die andere Seite der Globalisierung. Das Argument, dass der Rest der Welt sich von einer US-Rezession abseits halten könnte, ist kindisch bis zum Äußersten und widerspricht allem, was ÖkonomInnen in der Vergangenheit über die Globalisierung gesagt haben. Eine Krise in jedem größerem Sektor der Weltwirtschaft muss jeden anderen Bereich betreffen. Das hat sich klar in der Krise von 1997 gezeigt, die in Asien begann und sich rasch auf die Türkei, Polen, Ungarn, Russland, Brasilien und Argentinien ausgedehnt hatte. Dasselbe kann jederzeit wieder passieren.
Angesichts der klaren Anzeichen einer drohenden Rezession in den USA setzen die ÖkonomInnen alle ihre Hoffnungen auf die aufstrebenden Ökonomien. Das ist extrem ironisch. Vor einem Jahrzehnt hätte der Gedanke, dass die gesamte Weltwirtschaft von diesen krisenanfälligen Orten abhängig wäre, die US-AmerikanerInnen und EuropäerInnen das Fürchten gelehrt. Jetzt blicken sie auf China und den Rest Asiens in der Hoffnung auf Erlösung. Diese Tatsache ist ein bildlicher Ausdruck für die Sackgasse, in der sich der Kapitalismus weltweit befindet, und für die wachsende Verzweiflung der Bourgeoisie.
Aussichten für Asien
Die Perspektiven für die Weltwirtschaft sind vom fortwährenden starken Wachstum in Asien abhängig. KommentatorInnen hoffen auf eine Entkoppelung des Wirtschaftswachstums von der Nachfrage der KonsumentInnen in den USA, von der sie wissen, dass sie nächstes Jahr nachlassen wird.
Oberflächlich betrachtet mag es danach aussehen, als ob es Gründe für diesen Optimismus gäbe. Die asiatischen Ökonomien erholten sich von der Krise von 1997-2000 und ihre jährliche Wachstumsrate ist auf 7% gestiegen. 2007 trugen sie nicht weniger als die Hälfte zum weltweiten BIP-Wachstum und damit dreimal so viel wie die USA bei. Doch in der Abhängigkeit von den „aufstrebenden Märkten" stützen sich die KapitalistInnen auf morsche Äste. Diese Ökonomien sind schwerst abhängig von Exporten und dem Wachstum des Welthandels. Die meisten hängen vom US-Markt ab, der ihre Exporte in schwindelerregendem Ausmaß abgenommen hat. Darin liegt der Grund, warum die USA über ihre Verhältnisse gelebt haben. Aber diese Phase ist bereits Vergangenheit.
Der relative Anstieg der Bedeutung dieser Länder auf dem Weltmarkt ist nicht so sehr Ausdruck ihrer Stärke (mit Ausnahme von China), sondern von Amerikas Schwäche. Amerikas Bedeutung als Motor des globalen Wachstums ist zurückgegangen. Seit dem Jahr 2000 fiel sein Anteil an den Weltimporten von 19% auf 14%. Die aufstrebenden Ökonomien werden nicht schnell genug wachsen, um den Fall in Amerikas Output völlig wettzumachen. Die meisten werden in der nächsten Periode langsamer wachsen. Eine Rezession in Amerika würde die Exporte der aufstrebenden Ökonomien reduzieren.
Es stimmt, dass die heimische Nachfrage in den aufstrebenden Ökonomien angewachsen ist. In der ersten Hälfte 2007 trug der Anstieg der KonsumentInnenausgaben (gemessen in Dollar) in China und Indien mehr zum globalen Wachstum des BIP bei als jene in Amerika.
Es stimmt auch, dass die japanische Wirtschaft wieder auflebt. Große japanische HerstellerInnen berichten jetzt erstmals seit 1991 von ungenügenden Produktionskapazitäten und planen die Kapitalinvestition um 17% im kommenden Jahr zu steigern.
Obwohl Amerika nur 23% der japanischen Exporte abnimmt (abgesunken von ursprünglich fast 40% in den späten 1980ern), spiegelt dies nicht vollständig Japans Abhängigkeit wider. Japanische Firmen (wie jene in Südkorea oder Taiwan) schicken viele Komponenten nach China, um sie dort in Waren einbauen zu lassen, die dann als Fertiggüter nach Amerika exportiert werden. Wenn die absteigende US-Wirtschaft den Dollar noch weiter fallen lässt, würde das die asiatischen ExporteurInnen weiter unter Druck bringen. Japan hat außerdem massive Staatsschulden und ist daher nicht in der Lage, seinen Weg aus einer Krise durch Defizitfinanzierung zu bewerkstelligen. Taiwan, wo die Inlandsnachfrage schwach ist, befindet sich angesichts eines großen Budgetdefizits ebenfalls in einer Zwangslage.
Es gibt daher keinen ernsthaften Grund zu glauben, dass die asiatischen Ökonomien sich von einem Abschwung in den USA entkoppeln könnten. Obwohl der Anteil der Exporte Chinas in die USA gemessen an seinem Gesamtexporten von 34% im Jahr 1999 auf jetzt 25% gefallen ist (bereinigt um die Rückexporte, die über Hong Kong laufen), hätte ein steiler Abfall der Nachfrage in den USA immer noch ernsthafte Folgen für China.
Ein langsameres Wachstum in den USA wird China, Indien und Japan betreffen und auf die kleineren asiatischen Ökonomien wie Singapur, Taiwan und Hongkong, die noch abhängiger von der Auslandsnachfrage sind, noch härtere Auswirkungen haben. Doch ganz Asien ist untereinander verbunden und der Crash von 1997 hat gezeigt, wie eine einmal begonnene Krise sich von einem Land ins nächste überträgt.
Vor zehn Jahren, am 2. Juli 1997, gab die Zentralbank Thailands den Baht frei, nachdem sie es nicht mehr geschafft hatte, die eigene Währung vor Spekulationsangriffen zu schützen. Dieser Vorgang löste einen finanziellen und wirtschaftlichen Zusammenbruch aus, der sich rasch auf andere Ökonomien in der Region ausbreitete und die Wachstumsraten abrupt zusammenschrumpfen ließ, Firmen, die sich dem Fremdwährungsrisiko zu sehr ausgesetzt hatten, in den Bankrott trieb und letztlich kostspielige und politisch entwürdigende, vom IWF geleitete Ausstiege in den am schlimmsten betroffenen Ländern notwendig machte. Das beschleunigte die asiatische Finanzkrise von 1997/98. Sie gratulieren sich derzeit selbst dazu, dass sie gerade aus dieser Krise herauskommen, aber es kann leicht eine Wiederholung in noch größerem Ausmaß stattfinden.
China
Die chinesische Wirtschaft ist mit 11% pro Jahr vorgeprescht, wenngleich sie ihr Wachstum seit kurzem auf „nur" 10% verlangsamt hat. Anders als die USA, die einen Konsumboom basierend auf Schulden erlebt haben, erfuhr China eine kolossale Entwicklung der Produktivkräfte. Als MarxistInnen heißen wir das willkommen, weil es der Entwicklung und Stärkung des mächtigen chinesischen Proletariats dient.
China überholte 2004 die USA als Exportland von High-tech Waren. Es wird geschätzt, dass China um 2015 über mehr WissenschaftlerInnen und IngeneurInnen als der Rest der Welt zusammen verfügen wird. Um 2020, sofern die gegenwärtigen Trends anhalten, wird es mehr für Forschung und Entwicklung ausgeben als die EU. Es ist bereits der größte Markt für integrierte Schaltkreise weltweit. Diese finden Eingang in die Produktion von Laptops, Telefonen, Kühlschränken, Klimaanlagen, Computern usw.
Die internationale Bourgeoisie hat beträchtliche Profite aus seinen Beteiligungen in China gezogen. China hat somit die Position, die Russland nach dem Zusammenbruch des Stalinismus einnehmen hätte sollen, besetzt. Das Kapital investierte massiv in neue Fabriken und Maschinen und schuf so eine mächtige moderne Industrie in China, wo sich die Vorteile von billiger und reichlich vorhandener Arbeitskraft verbanden mit den neuesten Technologien aus den USA, Europa und Japan, was so eine beeindruckende Produktivitätskapazität hervorbrachte. Das hat große Auswirkungen für die Weltwirtschaft, was auch für den Start chinesischer Satelliten zutrifft, was sowohl ökonomische wie auch militärische Auswirkungen hat.
Das Problem ist, dass all diese modernen Fabriken in Guandong und Shanghai unausweichlich eine Menge Annehmlichkeiten produzieren - wie Fernseher, Computer, DVDs, Mobiltelefone, Mikrochips und jetzt Autos -, die einen Markt finden müssen. Es stimmt, dass die Abschöpfung des Mehrwerts am Arbeitsplatz stattfindet, doch ob die KapitalistInnen den abgeschöpften Mehrwert aus der Arbeit der ArbeiterInnen auch realisieren können, hängt von ihrer Fähigkeit ab, die produzierten Waren zu verkaufen.
Es stimmt, dass der chinesische Inlandsmarkt in den letzten Jahren beträchtlich ausgeweitet wurde. Doch China bleibt weiterhin stark abhängig vom Weltmarkt und v.a. vom US-Markt. Ein starker Nachfrageeinbruch in den USA würde die chinesische Wirtschaft schwer treffen. Das hätte weiterführende ernsthafte Auswirkungen auf Länder wie Taiwan, Korea und den Rest Asiens, die Waren nach China exportieren, wo sie billig zusammengesetzt und dann in die USA und nach Europa exportiert werden können.
China hat von der Teilnahme am Weltmarkt enorm profitiert, aber es schafft damit auch neue Widersprüche und Probleme wie die steigende Inflation, die vorher nicht existierten. Die Inflation ist nun mit 6,5% in China ziemlich hoch. Es gab Streiks wegen zu niedriger Löhne. Kürzlich löste eine Ölpreiserhöhung Tumulte aus. Die Regierung beauftragte daraufhin alarmiert die staatseigenen Ölgesellschaften, mehr Öl auf den Markt zu bringen, doch - mit den Worten des „Economist" - die Unternehmen sind „SklavInnen des Marktes".
Auf lange Sicht wird China eine den USA ebenbürtige Wirtschaftsmacht sein, doch Vorhersagen, dass das unmittelbar bevorsteht, sind falsch. Die bürgerlichen ÖkonomInnen machten denselben Fehler in Bezug auf Japan in den späten 1980ern auf Basis derselben falschen Methode der Extrapolierung der Zukunft auf Trends der Vergangenheit. Die japanische Wirtschaft brach zusammen und befand sich über zehn Jahre in der Depression, von der sie sich erst jetzt langsam erholt. Dasselbe kann in China passieren.
Die Stärke Chinas ist äußerst ungleichmäßig. China hat viele Schwächen. Chinesisches Eisen und Stahlgießereien können nur einen kleinen Prozentanteil der Nachfrage befriedigen. Die Mehrheit der Bevölkerung lebt noch immer unter Bedingungen extremer Armut in den ländlichen Gebieten und verfügt über sehr geringe Kaufkraft. Es gibt zumindest 150 Millionen Arbeitslose in den Städten. „The Economist" bemerkte kürzlich: „China ist dort, wo die Elektronikwaren hergestellt werden, nicht dort, wo der Wert hinzugefügt wird."
Ein Beispiel: Die Apple i-Pod 30-gigabyte Videoversion wird in China von einer taiwanesischen Firma hergestellt. Sie hat nicht weniger als 424 Teile und kostet 224$ (2005). Von diesen 424 Teilen kosten 300 einen Cent oder weniger. Doch das Displaymodul, das 30$ kostet, wird in Japan produziert. Chinesische Arbeit, die dieses Produkt zusammenstellt, fügt dem Wert nur 3,70$ hinzu. Wie auf dem Inlandsmarkt verdankt sich das dem niedrigen Lebensstandard der großen Mehrheit. Nur etwa 15% der in China produzierten elektronischen Waren und Informationstechnologie wird auch dort verkauft.
Die chinesische Industrie produziert jedes Jahr riesige Mengen an Waren. Doch am Ende bleiben die Widersprüche: die Waren müssen verkauft werden. Eine Rezession auf dem überaus wichtigen US-Markt wird Chinas Exporte schwer treffen - nicht nur die direkten Exporte in die USA, sondern Exporte und Importe in den und aus dem Rest Asiens. Tatsächlich sind asiatische Ökonomien wie China noch abhängiger vom US-Exportmarkt geworden.
Stephen Roach schätzt, dass seit 1980 der Exportanteil am Wachstum von 20% auf 45% gestiegen ist. In derselben Periode ist der Anteil heimischen Konsums am Wachstum von 67% auf weniger als 50% gefallen. Die chinesische Wirtschaft mag eine Wachstumsrate von 8% ohne den Exportanreiz in die USA aufrechterhalten. Doch sie kann damit nicht der Motor des Weltwirtschaftswachstums werden. Die USA bleiben in dieser Hinsicht entscheidend.
Der Fall des Dollars
Auf dem Höhepunkt eines Booms - so sollte man meinen - müsste man steigende Produktion und Beschäftigung, wachsende Profite und Löhne wie auch steigende Preise sehen. Der gegenwärtige Boom war charakterisiert durch stagnierende Löhne, Rekordprofite und relativ geringe Inflation. Das verdankt sich hauptsächlich den Effekten der Globalisierung und den riesigen Mengen schlecht bezahlter ArbeiterInnen, die auf die Weltarbeitsmärkte drängen und Güter zu sehr niedrigen Preisen produzieren, die die Weltmärkte erreichen, entweder direkt als Waren oder indirekt als Komponenten für Autos, Fernseher, Computer usw.
Diese intensivierte Teilnahme am Welthandel hat die Produktion aufgeblasen, neue Märkte eröffnet, neue und profitable Investitionsfelder geschaffen. Sie hat auch einen Druck auf Löhne und Preise ausgeübt und damit die Inflation niedriger gehalten, als es zu diesem Zeitpunkt des Zyklus erwartet werden könnte. Das wiederum gestattete den Banken, die Zinsraten niedrig zu halten und so einen Kreditboom zu bewirken. So ist die größte Spekulationsblase der Geschichte entstanden: der Immobilienboom in den USA und Europa, der sich auf die anderen Kontinente ausgebreitet hat. Das ist ein Element kolossaler Instabilität.
Jetzt hat all das seine Grenzen erreicht. Die Preise beginnen zu steigen, besonders die Ölpreise, hauptsächlich aufgrund der starken Nachfrage in China und anderen aufstrebenden Ökonomien. Auf sie entfallen vier Fünftel der gesamten Steigerung des Ölkonsums der letzten fünf Jahre. In früheren Rezessionen in den USA fiel der Ölpreis üblicherweise. Diesmal kann er hoch bleiben, was die Nachfrage in den USA und Europa weiter drosseln wird. Die Weltwirtschaft wird eine Kombination aus Inflation und ökonomischer Verlangsamung - die sogenannte Stagflation - erleben.
Die US-Bourgeoisie versuchte aus dieser Krise zu kommen, indem sie den Fall des Dollars zuließ. In der Theorie treibt ein schwacher Dollar die Exporte an und lässt die US-Wirtschaft auf Kosten seiner RivalInnen wachsen. Doch die Exporte betragen jetzt nur 12% des US-BIP. Das ist zu wenig, um die Schwächung der Inlandsnachfrage auszugleichen, die 70% des BIP ausmacht. Zinssenkungen werden bestenfalls ein vorübergehendes Heilmittel darstellen. Das wird den Immobilienmarkt nicht wiederbeleben. Dieser Karneval ist vorbei. Die Banken, die sich die Finger verbrannt haben, legen strengere Kreditkriterien an und die Zahl zum Verkauf freistehender Immobilien ist größer als jemals seit Beginn der Aufzeichnungen. Der resultierende Fall der Immobilienpreise wird die Konsumausgaben beeinflussen und die Nachfrage zum Einbrechen bringen. Der wahre Effekt der Zinssenkungen wird ein Ansteigen der Inflation sein.
Der Euro-Dollar-Wechselkurs fiel auf 1,5$. Ohne enorme Ankäufe durch die Zentralbanken in Asien würde er noch weiter fallen. Diese Unterstützung kann nicht ewig gewährt werden. Die US-Wirtschaft ist krank und völlig aus dem Ruder. Wenn ein anderes Land dasselbe Ausmaß an privaten, öffentlichen oder Firmenschulden aufwiese oder ein ähnliches Leistungsbilanzdefizit hätte, würden die Weltbank und der IWF schon anklopfen und Kürzungen und eine Austeritätspolitik fordern. Da diese Organe des internationalen Kapitalismus von Washington kontrolliert werden, wird das nicht passieren. Aber früher oder später wird „die unsichtbare Hand des Markts" Rache am ausschweifenden US-Kapitalismus nehmen.
In Wirklichkeit erweist sich der fallende Dollar als der größte Wertverlust der Geschichte. Es handelt sich um einen gigantischen Betrug, der bereits mehr an Werten vernichtet hat, als es irgendeine aufstrebende Ökonomie jemals getan hat. Wenn den internationalen InvestorInnen die Realität der Schwächung der Wirtschaftsmacht der USA allmählich dämmert, werden sie sich fragen, warum sie den Löwenanteil ihres Reichtums in Dollar halten.
China und andere streben bereits weg von der US-Währung. Asiatische und fernöstliche Länder mit an den Dollar gebundenen Währungen sind mit steigender Inflation konfrontiert, doch die sinkenden Zinsraten in den USA machen es schwerer, die eigene Währungspolitik restriktiver zu gestalten. Sie werden vermutlich gezwungen, ihre Währungen gegen den geschwächten Dollar steigen zu lassen. Das heißt, dass sie weniger Dollar kaufen.
Die US-Wirtschaft widersetzt sich den Gesetzen der Schwerkraft. Sie ist so krank, dass es undenkbar erscheint, dass die gegenwärtige Situation noch lange anhalten könnte. Schließlich wird sich das Ausland sorgen, dass die Dollars und die Anleihen, die es aufgenommen hat, nicht mehr das Papier, auf dem sie geschrieben sind, wert sind. Und warum sollte es Geld zu niedrigen Kursen in einer Währung, die im Wert sinkt, herleihen, wenn es dieselebn Fonds hernehmen kann und sie zu hohen Kursen in einer Währung, die im Wert steigt, verleihen kann?
Verlangsamung der Konjunktur oder Absturz?
Auch dem für den Kapitalismus optimistischsten Szenario zufolge wird sich das Wachstum der Weltwirtschaft verlangsamen. Dem schlimmsten Szenario nach werden wir einen globalen Absturz erleben. Aufstrebende Ökonomien, besonders in Asien, haben große Fremdwährungsreserven - nicht weniger als drei Viertel der weltweit vorhandenen Summe. Das ist hauptsächlich aufgrund des riesigen US-Defizits so. Gegenwärtig halten China und andere asiatische Länder umfassende Beträge an Dollar und US-Anleihen. Es ist nicht in ihrem Interesse, einen wirtschaftlichen Zusammenbruch in den USA zu provozieren, und die USA rechnen damit. Doch für alles gibt es Grenzen. Früher oder später wird die ungesunde Natur der US-Wirtschaft einen internationalen Run auf den Dollar hervorrufen. Niedrigere Zinsraten werden nicht das Geld zurück in die Märkte bringen, sondern vielmehr den Dollar unterminieren.
Durch die Senkung der Zinsraten hat die US-Zentralbank sehr gefährliches Terrain betreten. Der Rest der Welt wird nicht auf ewig gewillt sein, die Neigung der USA, mehr zu konsumieren als sie produzieren, zu finanzieren. Es gibt bereits erste Anzeichen dafür. Paradoxerweise scheinen die Ersten, die in Panik ausbrechen, die Saudis zu sein, die Hauptverbündeten Washingtons in der arabischen Welt, die riesige Investitionen in den USA halten. Erstmals weigert sich Saudi-Arabien, die Zinsraten in Einklang mit der US-Zentralbank zu senken und signalisiert damit, dass das ölreiche Golfkönigreich sich anschickt, den Währungspfeiler Dollar zu brechen. Dieser Zug riskiert das Losbrechen einer Stampede weg vom Dollar quer durch den Mittleren Osten.
Die chinesische Regierung ihrerseits beginnt eine konzertierte Kampagne ökonomischer Drohungen gegen die Vereinigten Staaten mit dem Hinweis, dass es seine großen Vorräte an US-Finanzen liquidieren könnte, wenn Washington Handelssanktionen zur Erzwingung einer Aufwertung des Yuan durchsetzen will. Henry Paulson, der US-Finanzsekretär, sagte, dass solche Sanktionen die amerikanische Autorität unterminieren würden und „einen globalen Zyklus protektionistischer Gesetzgebung auslösen könnten." Das zeigt die realen Gefahren, denen die USA und die gesamte Weltwirtschaft gegenüberstehen. Was wirklich den Börsenkrach von 1929 zur Großen Depression, die zehn Jahre bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs gedauert hatte, gemacht hatte, waren Protektionismus, Handelskriege und Wettbewerbsabwertung, die den Welthandel untergruben.
Der sinkende Dollar übt Druck auf die EU aus, die ihre Wettbewerbsposition verschlechtern sieht, nicht nur gegen die USA, sondern auch gegenüber China und anderen asiatischen Ländern, deren Währungen an den Dollar gebunden sind und damit gleichfalls fallen. Das führt zu Protestgeschrei seitens der europäischen KapitalistInnen, die China Vergeltung androhen, wenn es nicht Maßnahmen setzt, den Yuan aufzuwerten. All das ist eine Vorwegnahme noch ernsthafterer protektionistischer Züge, die unausweichlich mit Beginn der Rezession in Kraft treten werden.
Unausweichliche zukünftige Schocks
Die ÖkonomInnen präsentieren die Schwächung des Dollar gern als notwendige „Korrektur". Sie sagen dasselbe über die fallenden Immobilienpreise, den Zusammenbruch des US Subprime Markts, die Krise von Northern Rock in Britannien und so weiter. Alles wird als „Korrektur" dargestellt, die sich früher oder später schon wieder einrenken wird. Tatsächlich sind das Symptome, wie die Symptome einer zugrundeliegenden Krankheit oder die Erschütterungen, die ein Erdbeben ankündigen.
Man könnte das Gleiche über ein Erdbeben sagen: es kann ebenfalls als notwendige „Korrektur" dargestellt werden, die nur die Erdkruste zurechtrückt. Schließlich beruhigt sich alles wieder und das Leben geht weiter wie zuvor. Aber diese bequeme Analyse lässt die furchtbare Spur der Verwüstung, die ein Erdbeben anrichtet, außer Acht: die vom Angesicht der Erde gelöschten Dörfer, die entwurzelten Bäume, die vernichteten Ernten, die tausenden Toten und Verletzten. Auch geht das normale Leben nicht so einfach wieder weiter. Manche Erdbeben können so verheerend sein, dass die Auswirkungen noch viele Jahre danach zu spüren sind.
Die Krise wurde nicht verhindert. Sie beginnt erst. Von jetzt an, nach Jahren der niedrigen Inflation und niedrigen Zinsraten und leichten Kredite, erleben wir ein Anziehen der Kredit- und ein Ansteigen der Zinsraten. Das wird eine Reihe an Auswirkungen haben. Einerseits werden teurere und knappere Kredite die Nachfrage senken, weil sie die Kaufkraft der KonsumentInnen beschränken, sowohl in Europa wie in den USA. Andererseits werden sie gemeinsam mit dem unausweichlichen Inflationsanstieg (Ölpreise erreichten vor kurzem einen neuen Rekord) die Profite der KapitalistInnen negativ betreffen, was zu einer Abschwächung der Produktion und schließlich einer Rezession führen wird.
Ein Fall der Profite der Banken muss zu Jobkürzungen im Finanzsektor führen, was sich auf die Grundstückspreise auswirken muss. Das wird zu einer weiteren Einschränkung der Nachfrage führen sowie zu Arbeitslosigkeit und Bankrotten in der Bauindustrie. Das wiederum wird die Nachfrage nach Stahl, Zement, Ziegeln und anderen Gütern betreffen, was zu einem weiteren Niedergang der Industrie führt. Der schwindelerregende Anstieg von Aktien- und Immobilienpreisen bereitet den Weg für einen ebenso steilen Fall in der Zukunft. Es wird Pfändungen, Verluste, Bankrotte und Konkurse geben, trotz aller Aktionen der US-Zentralbank.
Die Investmentbanken hoffen, dass die Kürzungen der Zinsraten den Börsenmarkt wieder in die Höhe tragen können. Doch eine Senkung der Zinsrate löst nicht das grundlegende Problem. Es eliminiert nicht die Zahlungsunfähigkeit der HausbesitzerInnen, der HypothekenverleiherInnen, der Hedgefonds und Banken. Weit davon entfernt, das Problem zu lösen, wird es nur schlimmer werden.
Der US-Markt ist bereits mit Liquidität überflutet als Ergebnis der Possen von Alan Greenspan, der die aktuelle Immobilienblase produziert hat - der größte Spekulationsboom der Geschichte. Durch die Senkung der Kreditkosten schafft die US-Zentralbank nur eine weitere Ausbreitung des Kredits und der Verschuldung auf allen Ebenen. Das wird die Immobilien- und Kreditkrise nur verlängern und verschärfen.
In den USA sind bereits über eine Million Häuser in Gefahr oder wurden bereits gepfändet. Somit sind Millionen armer AmerikanerInnen obdachlos, wohingegen Millionen anderer damit kämpfen, die Hypotheken für ihre Häuser zu zahlen, die nicht mehr das wert sind, was sie dafür bezahlt haben. Ein Schriftsteller sagte vor kurzem das Erscheinen einer Subklasse von HypothekensklavInnen in den USA voraus.
Der durchschnittliche Lohnabhängige in den USA produziert aktuell im Schnitt um 30% mehr als vor zehn Jahren, doch die Löhne stagnierten in den letzten sechs Jahren. Steigende Preise bedeuten eine Kürzung der Reallöhne. Dasselbe gilt für PensionistInnen und andere mit fixem Einkommen. Sogar ohne eine Rezession erlebt die US-Bevölkerung eine Erschütterung seines Lebensstandards. Viele arme US-AmerikanerInnen kämpfen bereits ums Überleben. Nun werden Millionen mit dem Verlust ihrer Arbeitsplätze und Häuser bedroht. Das wird schließlich einen Aufschwung bei Streiks und Klassenkonflikten, wie es die USA seit den 1930ern nicht gesehen hat, hervorrufen.
Die internationale Krise, die 1997 mit der Krise auf dem asiatischen Finanzmarkt begonnen hat, verursachte eine Welle von Turbulenzen, die sich auf der ganzen Welt ausbreiteten. Es handelte sich dabei nicht nur um eine Wirtschaftskrise, sondern hatte auch tiefgreifende politische Auswirkungen etwa in Russland und v.a. in Lateinamerika. Die Auswirkungen dieser Krise verursachten den Zusammenbruch der argentinischen Wirtschaft 2001, der revolutionäre Folgen hatte. Dasselbe kann wieder passieren.
Auch ohne einen Absturz ist das Beste, worauf KapitalistInnen hoffen können, eine Periode des geringeren Wachstums, die neue soziale und politische Spannungen hervorrufen wird. Der gegenwärtige Boom hat nichts mit dem Wirtschaftsaufschwung von 1948-73 gemeinsam. Dieser war (zumindest in den entwickelten kapitalistischen Ländern Westeuropas, der USA und in Japan) gekennzeichnet von Vollbeschäftigung, wachsendem Lebensstandard, Reformen und einer Verbesserung des Klassenkampfes. Das ist jetzt nicht mehr der Fall.
Druck auf Lohnabhängige
Dies ist ein Boom auf Kosten der ArbeiterInnenklasse. Die Unternehmen haben aufgrund der Integration Indiens und Chinas in die Weltwirtschaft von einer Ausweitung des globalen Arbeitskräftereservoirs profitiert - denn dies wirkte als Dämpfer für Lohnforderungen. Überall wurden Löhne niedrig gehalten und die Profite sind auf Kosten der Gehälter gestiegen.
Schließlich muss jedoch die Nachfrage unter einem solchen Szenario leiden. Bislang versuchen KonsumentInnen ihren Lebensstil über Kredite zu finanzieren. Aber das heißt Brot für heute und Hunger für morgen. Letztlich muss das in eine weltweite Überproduktionskrise führen. Die relative Schwäche der Konsummärkte lässt InvestorInnen auf Güter wie Metall, die als „altmodisch" gelten, umsteigen.
Dieser Boom basierte auf einer Intensivierung der Ausbeutung, Kürzungen und Angriffe auf ArbeiterInnenrechte. Überall sehen wir die selben Phänomene. Hohe Wachstumsraten und steigende Profite drücken sich nicht in steigendem Lebensstandard und Reformen aus, sondern in beständigem und skrupellosem Druck auf die Arbeitenden und systematischer Plünderung der unterentwickelten Welt. Ungleichheit hat in der letzten Zeit nie da gewesene Werte erreicht. Die reichsten 2% der Erwachsenen auf der Welt besitzen nach einer neuen Studie eines Forschungsinstituts der Vereinten Nationen mehr als die Hälfte allen Reichtums.
Der Bericht vom Weltinstitut für Forschung der Wirtschaftsentwicklung an der UN Universität streicht heraus, dass die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung kaum 1% des weltweiten Reichtums besitzt. Das ist eine eindeutige Bestätigung dessen, was Marx im Kapital schrieb: „Die Akkumulation des Reichtums auf einer Seite ist daher gleichzeitig die Akkumulation von Elend, Qual der Plackerei, Sklaverei, Ignoranz, Brutalität, moralischem Niedergang auf der anderen Seite."
Die Reichen werden noch reicher und die Armen ärmer. Das grandiose Versprechen, die Armut Geschichte werden zu lassen, entpuppt sich als leere Phrase. Entsprechend den Zahlen der UN leben 1,8 Milliarden Menschen in Armut. Davon sterben acht Millionen jährlich, weil sie nicht genug Geld haben um zu überleben. Millionen Kinder sterben jährlich an verhinderbaren Krankheiten wie Durchfall aufgrund des Mangels an trinkbarem Wasser.
In Lateinamerika gab es in der letzten Zeit hohe Wachstumsraten. Das führte zu einem enormen Anstieg der Profite und zu obszönem Reichtum an einem Ende der Gesellschaft und zu steigender Armut, Ausbeutung und Verzweiflung am anderen - so wie Marx voraussagte. Der reichste Mann der Welt ist nicht mehr der US-Amerikaner Bill Gates, sondern der Mexikaner Carlos Slim. Überall auf der Welt erleben wir dieselbe Ungleichheit und Polarisierung der Klassen. In Lateinamerika erzeugt das revolutionäre Erschütterungen. Doch Lateinamerika zeigt nur dem Rest der Welt ihre Zukunft wie in einem Spiegel. Das sollten wir als Wesentliches festhalten.
In der nächsten Periode ist ein tiefer Absturz nicht auszuschließen. Alle Bedingungen dafür reifen in weltweitem Maßstab heran. Solch eine Entwicklung könnte den unmittelbaren Effekt einer Lähmung der Klasse haben. Unter Bedingungen der Massenarbeitslosigkeit machen ökonomische Streiks wenig Sinn. Die Bosse würden bloß die Fabriken schließen. Doch das kann zu einer Welle von Fabrikbesetzungen führen. So etwas ist nicht nur in Lateinamerika, sondern auch in Kanada, sogar vor einer Rezession, schon geschehen.
Vor allem wird ein Absturz die Auswirkung haben, das Bewusstsein der Massen zu erschüttern. ArbeiterInnen werden beginnen revolutionäre Schlussfolgerungen zu ziehen und das wird seinen Ausdruck auf politischer Ebene und in den Massenorganisationen der Klasse finden.
Ökonomie ist keine exakte Wissenschaft, und es ist nicht möglich, hinsichtlich des Zeitpunkts genaue Voraussagen zu treffen. Alles was wir tun können, ist, die grundlegenden Tendenzen zu erklären und Kader des Marxismus mit Ideen zu bewaffnen und vorzubereiten. Vor allem sollten wir uns dessen gewahr sein, dass plötzliche Schocks und Krisen in der gesamten Situation angelegt sind. Eine Krise kann jederzeit an jedem Ort der Welt ohne Warnung hervorbrechen, wie ein Blitzschlag aus heiterem Himmel. Das Wesentliche ist, dass wir vorbereitet sind, dass wir imstande sind, diese Vorkommnisse den fortgeschrittensten ArbeiterInnen und der Jugend zu erklären und dass wir aus jeder Gelegenheit, die sich zum Aufbau einer marxistischen Tendenz bietet, Vorteile ziehen.
Unsere Absicht ist es, die allgemeine Krise zu analysieren, um zu intervenieren. Und um zu intervenieren, brauchen wir Kräfte. Wir müssen solche Kräfte aufbauen. In der Vergangenheit waren wir zumeist bloß BeobachterInnen. Zum Beispiel verfügten wir während der Ära Allende in Chile über eine völlig korrekte Analyse, blieben aber bloß Publikum, nicht aktive Teilnehmende in der Aktion. Heute sind wir in Pakistan eine Kraft. In Venezuela haben wir wachsenden Einfluss, mit dem wir uns eine bedeutende Basis aufgebaut haben. In Mexiko haben wir eine hervorragende Gruppe, die sehr wirkungsvoll in der Massenbewegung interveniert. Das wirkt sich auf unsere gesamte Diskussion aus.
Europa
Der Prozess der Integration der Europäischen Union ist zu einem Stillstand gekommen. Das zeigte sich auf dem EU-Gipfel 2007, der zur Abstimmung über eine neue Europäische Verfassung abgehalten wurde, aber nur die tiefen Spaltungen zwischen den verschiedenen europäischen Bourgeoisien offenbarte. Zwei Jahre, nachdem die französischen und niederländischen WählerInnen sie zurückgewiesen hatten, haben die PremierministerInnen und PräsidentInnen des Kontinents große Teile des alten Textes wiederverwertet und sie zu einem neuen „Reformvertrag" zusammengesetzt.
Eine erweiterte Union von 27 Staaten konnte nicht darauf hoffen, nach Regeln zu funktionieren, die für einen Block von 15 Ländern aufgestellt worden waren. Der Vorschlag für ein abgeändertes Wahlsystem fand sofort den Widerstand seitens Polens. Das ließ die übrigen Länder der Aufrechterhaltung des bestehenden Systems bis 2014 mit einer Übergangsperiode von weiteren drei Jahren danach zustimmen. Und am Ende dieser Periode mag die EU, wenn sie wählt, zum alten System zurückkehren. Anders gesagt, ist das Ganze für ein Jahrzehnt vom Tisch.
Die Tendenz zu weiterer Integration, die unaufhörlich schien, wurde auf Grundlage wirtschaftlichen Wachstums festgelegt. Doch das hat nun aufgehört. Die Europäische Zentralbank hob die Zinsraten auf 4% im Juni 2007 an, acht Viertelpunkte seit Dezember 2005. Die europäische Bourgeoisie sorgt sich über die steigende Inflation und die nächste Zinssatzerhöhung wird kaum die letzte sein. 2008 wird ein Wachstum um etwa 2% erwartet.
Unter diesen Bedingungen fand die Tendenz zur Integration ein Ende und mag sich in der nächsten Zeit in ihr Gegenteil verkehren, wenn die Widersprüche zwischen den Nationalstaaten wieder hochkommen. Es ist unwahrscheinlich, dass sich die EU auflösen wird. Die europäischen KapitalistInnen müssen angesichts des wachsenden Wettbewerbs durch die USA und China irgendwie zusammenhalten. Doch die Träume der Schaffung eines europäischen Superstaats, der die USA herausfordern könnte, liegen in Trümmern.
In den meisten Ökonomien der Eurozone war das Wachstum schwach. Ein Anwachsen des BIP von 0,6% im ersten Quartal 2007 wurde als großartige Errungenschaft begrüßt. Jetzt liegt sogar dieses Ergebnis jenseits der Kapazitäten. Der fallende Dollar treibt den Euro auf Rekordhöhen und schädigt europäische Exporte.
Die chinesische Währung, die an den Dollar geknüpft ist, fällt ebenso im Vergleich zum Euro. Das erzeugt Schmerzensschreie aus Brüssel und Vergeltungsdrohungen gegen China und die USA. Das ist eine frühe Warnung protektionistischer Tendenzen, die unausweichlich in der nächsten Periode des Absturzes oder der Rezession Bedeutung gewinnen werden.
In jedem Fall löste das Wirtschaftswachstum der letzten Zeit gar nichts und stachelte bloß die Entrüstung der Werktätigen an, die zunehmend zu dem Verständnis gelangen, dass sie nicht entsprechend der von ihnen seitens habgieriger Bosse geforderten Anstrengungen belohnt werden. Die Bühne ist bereit für eine Zunahme des Klassenkampfes in einem Land nach dem anderen. In gewisser Hinsicht wäre eine Fortsetzung des gegenwärtigen schwachen Booms das beste Szenario. Ein Absturz ist nicht notwendigerweise ein Rezept für Klassenkampf und Wirtschaftswachstum unter modernen Bedingungen ist sicher kein Rezept für Klassenfrieden, wie wir an den Massenstreiks in Frankreich erkennen.
In Frankreich folgte auf den Sieg von Sarkozy sofort eine Explosion von Streiks, die sich von einem Bereich der ArbeiterInnenschaft auf den nächsten ausweiteten. Die Arbeitslosigkeit schwankte um 10%, die Jugendarbeitslosigkeit für junge Menschen unter 25 lag bei 20% und jene für junge Menschen aus Nordafrika bei 40-50%. Das war der Hauptgrund für die Aufstände in den Banlieus vor zwei Jahren. Neulich gab es weitere Anzeichen für Unruhen in der arbeitslosen Jugend, hauptsächlich nordafrikanischer Herkunft.
Es gab große Bewegungen von StudentInnen gegen Sarkozys Reform des Bildungswesens. Das zeigt das Anwachsen der Unzufriedenheit, die sich unter der Oberfläche über Jahrzehnte angesammelt hat. Das ist es, was zum Mai 1968 geführt hat und dasselbe kann wieder geschehen. In Deutschland, dem größten Land Europas, das vermutlich seine wirtschaftliche Lokomotive war, war die Arbeitslosigkeit in der gesamten letzten Periode hoch. Es gab große Streiks der EisenbahnerInnen und anderer Bereiche und einen Gärungsprozess in der Politik, der der linken Partei (Linke) 20% in Meinungsumfragen einbrachte.
In Italien gab es die Demonstration von einer halben Million in Rom gegen die Veränderungen der Pensionsgesetzgebung und im kleinen Dänemark die proportional sogar noch größere Demonstration von 100.000 gegen Kürzungen. Das ist der Beweis, dass die Werktätigen den Abbau ihrer Errungenschaften aus der Vergangenheit nicht einfach hinnehmen werden. Italien ist jetzt der kranke Mann Europas. In der Vergangenheit hätte die Bourgeoisie die Abwertung der Lira und die Zunahme des Budgetdefizits als Ausweg aus einer Krise gewählt. Nun sind diese Sicherheitsventile verschlossen. Italiens Beitritt zum Euro verbietet große Budgetdefizite und schließt Abwertungen aus. Die italienischen KapitalistInnen haben also keine andere Alternative als eine direkte Konfrontation mit der ArbeiterInnenklasse. Sie müssen die Zugeständnisse der letzten 50 Jahre zurücknehmen. Das ist ein sicheres Rezept für eine Zeit stürmischen Klassenkampfes.
In Griechenland nahm nur drei Monate nach der Wiederwahl der rechten Regierung die große Mehrheit des griechischen Volkes an einer großen Bewegung gegen die Angriffe der UnternehmerInnen auf das Sozialversicherungssystem teil. Der 24stündige Generalstreik vom 12. Dezember 2007 wurde von der GSEE (ArbeiterInnen und Angestellte) und ADEDY (Bedienstete des Öffentlichen Dienstes), den zwei größten Gewerkschaften, die etwa 2,5 Millionen griechische Werktätige repräsentieren, ausgerufen. Die Mobilisierung schloss auch AnwältInnen, JournalistInnen, VerkäuferInnen, Kleingewerbetreibende und IngeneurInnen ein. Alle wichtigen Verkehrsmittel (U-Bahnen, Busse, Schiffe, Flughäfen) waren an diesem Tag lahmgelegt, nur der U-Bahn wurden ein paar Stunden Inbetriebnahme gestattet, um die DemonstrantInnen zu den Streikveranstaltungen zu bringen.
In allen größeren Industriebetrieben des Landes, in den großen staatseigenen Betrieben, in allen wichtigen Betrieben lag die Teilnahme am Generalstreik bei 80-100%. In vielen Arbeitsstätten (wie Geschäften, Dienstleistungsunternehmen, Ämtern), wo die Zahl der Beschäftigten gering ist und es keine aktive Gewerkschaft gibt, war die offizielle Beteiligung wie erwartet nicht so hoch. Doch viele der Angestellten in diesen Betrieben weigerten sich zur Arbeit zu gehen mit der Entschuldigung, dass es keine Verkehrsmittel gab oder sie gesundheitliche Probleme hatten. In Wahrheit nahmen sie alle am Streik teil.
Es gab 64 Demonstrationen in verschiedenen Teilen des Landes. Natürlich fanden die größten in Athen statt. Die größte war die von der GSEE und ADEDY organisierte - daran beteiligten sich 50-60.000 ArbeiterInnen. Eine andere von der PAME (Gewerkschaft der KKE, der griechischen Kommunistischen Partei) zog 20-25.000 TeilnehmerInnen an. In allen diesen Demonstrationen herrschte eine sehr kämpferische Stimmung.
Nur drei Monate nach seiner Wiederwahl befindet sich die Regierung Karamanlis (Neue Demokratie) also in einer sehr schwierigen Position. Schon vor dem Generalstreik zeigten Umfragen, dass 70% der griechischen Bevölkerung der Sozialpolitik der Regierung nicht zustimmten, 58% waren auch mit der Wirtschaftspolitik unter der Führung der PASOK und der Regierungspartei ND nicht einverstanden, sogar 25% der ND-WählerInnen (die erst drei Monate zuvor für die ND gestimmt hatten) erklärten ihre Unzufriedenheit mit der Wirtschaftspolitik der ND-Regierung.
Der ursprüngliche Plan der Regierung nach ihrer Wiederwahl war ein sofortiger Angriff auf die ArbeiterInnenklasse. Doch die Regierung hat nur eine geringe Mehrheit in Form von zwei Abgeordneten im Parlament und könnte nicht lang an der Macht bleiben. Hier sehen wir die Schwäche der Bourgeoisie und die Schwierigkeiten, die sie dabei hat, ihre Politik der Sparpakete und Kürzungen durchzusetzen.
In Spanien gibt es eine zunehmend verschärfte Polarisierung zwischen Rechts und Links, trotz einer Periode schnellen Wirtschaftswachstums. Die Rechte (PP) und die Kirche bedienen sich einer Sprache, die man seit den 1930ern, dem Vorabend des Bürgerkriegs, nicht mehr gehört hat. Natürlich ist das nicht die unmittelbare Perspektive für Spanien oder sonst ein anderes europäisches Land. Doch in der nächsten Zeit wird sich das ändern. Am Ende wird die Bourgeoisie zum Schluss kommen, dass es zu viele Streiks gibt, zu viele Demonstrationen, zu viel „Anarchie" und dass die Ordnung wieder hergestellt werden muss.
Reformistische Regierungen bereiten immer den Weg für noch rechtere Regierungen. An einem gewissen Punkt kann es in Europa eine Bewegung in Richtung Bonapartismus geben, die zu einer weiteren Polarisierung und Intensivierung des Klassenkampfes führen wird. Bürgerliche Demokratie ist nichts, das für alle Zeiten festgeschrieben wäre. Was wir in Lateinamerika erleben, kann auch in Europa stattfinden, nicht nur im Anwachsen revolutionärer, sondern auch konterrevolutionärer Tendenzen.
Doch das ist Zukunftsmusik. Anders als in den 1930ern können die Widersprüche in der Gesellschaft nicht schnell durch eine Bewegung der Revolution oder Konterrevolution gelöst werden. Das Gleichgewicht der Klassenkräfte neigt sich zugunsten der ArbeiterInnenklasse und die Massenbasis der Reaktion, die in den 1930ern in der Bauernschaft und im Kleinbürgertum bestand, ist geschwunden. Die faschistischen Gruppen in den meisten Ländern sind klein und können, wenngleich zunehmend hörbar und gewalttätig, nicht dieselbe Rolle spielen, die sie damals innehatten. Das zeigt sich bei den StudentInnen, die überwiegend linke Ansichten vertreten, während sie vor 1945 dem Faschismus zuneigten.
Die herrschende Klasse kann sich in der unmittelbaren Zukunft nicht der Reaktion zuwenden. Doch die ArbeiterInnenklasse kann auch nicht die Machtergreifung anstreben, weil ihre traditionellen Massenorganisationen mächtige Hindernisse auf dem Weg zu einer sozialistischen Revolution geworden sind. Das gegenwärtige instabile Gleichgewicht der Klassen kann sich noch eine Zeit lang mit Höhen und Tiefen hinziehen. Doch die Krise des Kapitalismus wird spürbar werden und sie ist es jetzt schon. Die Massen werden aus Erfahrung lernen und ab einem gewissen Punkt werden sie zur Machtergreifung drängen, wie sie es in den 1970ern taten.
Der Nahe und Mittlere Osten und Asien
Irak
Im Irak haben die USA trotz der Präsenz einer großen Anzahl von mit modernsten Zerstörungsmitteln bewaffneten Truppen den Krieg verloren. Das hat eine Krise des Regimes ausgelöst. Die herrschende Klasse hat ihr Vertrauen in Bush verloren. Wie bei Nixon war es leicht, ihn ins Amt zu heben, aber es ist viel schwerer, ihn daraus zu entfernen. Die Studiengruppe Irak, geführt von James Baker, ein geschätzter Repräsentant der herrschenden Klasse, erteilte recht resolut aus der Perspektive der US-Bourgeoisie einen Rat. Sie sagte: „Wir haben verloren - wir sollten so schnell wie möglich dort raus; macht einen Deal mit Syrien und Iran, überlasst ihnen die Drecksarbeit."
Stattdessen schickte George Bush weitere Truppen und bedrohte den Iran. Seine Losung ist: „Eine letzte Anstrengung und wir haben gewonnen." Das klingt wie die Generäle im Ersten Weltkrieg, die ihre Soldaten immer und immer wieder für ein „letztes Mal" an die Front beorderten. Nun sind dort weitere 21.000 SoldatInnen, was die Zahl in Bagdad auf über 31.000 erhöht und landesweit auf 160.000, was die stärkste Truppenpräsenz seit Ende 2005 bedeutet.
Nachdem Bagdad gesichert wäre, hofften die AmerikanerInnen, die sogenannten Gürtel außerhalb Bagdads in Angriff nehmen zu können, v.a. die nebenbei hauptsächlich sunnitischen Städte des Südens - Mahmudia, Latifia und Jusufia. Aber das hat nichts gebracht. Aus Bagdad vertrieben, zogen die Guerillas bloß woanders hin. Etwa 2,2 Millionen IrakerInnen bei einer Bevölkerung von 27 Millionen werden nun als Flüchtlinge gerechnet, wohingegen die UN schätzt, dass weitere zwei Millionen Binnenflüchtlinge sind.
Früher oder später werden die AmerikanerInnen den Irak verlassen müssen. Sie versuchen einen Staat zusammenzuhalten, der seine Grenzen wahren kann, wenn sie gehen. Doch in letzter Konsequenz besteht der Staat aus bewaffneten Einheiten. Die irakische Polizei besteht aus etwa 188.000 von AmerikanerInnen trainierten Personen, doch bis Mitte 2007 hatte sie bereits Verluste in der Höhe von nicht weniger als 32.000 zu beklagen - durch Tod (8-10.000), Verletzung (etwa gleich viele), Desertion (5.000 oder mehr) und aus anderen Gründen. Die 137.000 Mann starke Armee soll besser und weniger offensichtlich konfessionell orientiert sein, erwies sich aber nutzlos im Kampf gegen die Aufständischen.
An der politischen Front stehen die Dinge nicht besser. Die AmerikanerInnen verlangen, dass die IrakerInnen eine nationale Regierung, einen Staat, eine Polizei mit breiter Basis schaffen. Doch die Regierung der nationalen Einheit ist nichts davon. Sie ist eine Gruppe von Fraktionen, die jede nach einem Teil der Beute hascht. Es herrscht ein blutiger religiös motivierter Bürgerkrieg im Irak. Die Regierung und die AmerikanerInnen können das Problem nicht lösen. Der US-Imperialimus ist für diesen Albtraum verantwortlich. Die USA schürten die Flammen des konfessionellen Konflikts, indem sie sich auf Seiten der KurdInnen und SchiitInnen gegen Saddam Hussein stellten, der sich selbst auf Seiten der SunnitInnen sah. Nun gerät die Situation außer Kontrolle.
General Petraeus gab offen zu, dass der Vorstoß vergeblich wäre, wenn nicht der Spielraum, den seine Truppen zu schaffen versuchen, von der schiitisch geführten Regierung dazu genutzt wird, die SunnitInnen einzubeziehen. General Petraeus' Vorgesetzte in Washington wissen, dass, wenn die Marionette Maliki nichts Besseres bietet, Amerikas Vorstoß - und die wachsenden Verluste der US-Armee, die er bereits mit sich bringt - zum Scheitern verurteilt ist.
Sie versuchten Trost daraus zu ziehen, dass Kurdistan bis vor kurzem recht ruhig war. „Der Norden ist in Ordnung," sagten sie. Doch das schlimmste Blutvergießen und die ärgste Gewalt werden im Norden stattfinden. Kurdistan ist ethnisch gemischt. Die nationale Frage kann unter kapitalistischen Bedingungen nicht gelöst werden, weder im Irak noch sonst wo. Nun gibt es den Konflikt zwischen den SunnitInnen, SchiitInnen, KurdInnen, TurkmenInnen und anderen Gruppen.
Die Türkei blickt drohend auf den Irak. Ankara wird ein unabhängiges Kurdistan innerhalb seiner Grenzen nie akzeptieren. Die kurdische ArbeiterInnenpartei PKK hat ihren Guerillakrieg in der Türkei wieder aufgenommen und verfügt über Basen innerhalb des kurdischen Irak. Das Parlament in Ankara hat eine Resolution verabschiedet, die es erlaubt, militärisch im Irak zu intervenieren. Die türkische Armee wird losziehen, um sie zu vernichten. Sie bringt ihre Kräfte bereits an der Grenze in Stellung und wartet nur auf einen Grund zum Einmarsch. Sie haben bereits Einfälle organisiert. Wenn der Irak beginnt, entlang national-konfessioneller Linien aufzubrechen, wird die Türkei sich anschicken, das Gebiet um Mossul und Kirkuk zu besetzen, das sie immer schon wegen seines Ölreichtums begehrte. Das wird wieder neue Konflikte und Instabilität bringen.
Krise in den USA
ImperialistInnen führen Kriege nicht aus Spaß, sondern zwecks Plünderung, Eroberung von Märkten und Einflusssphären. Aber beim Irak springt für sie nichts raus, vielmehr kostet er sie einen irrsinnigen Betrag - mindestens zwei Milliarden Dollar pro Woche und tausende Tote und Verwundete. Der Irak hat die drittgrößten Erdölreserven der Welt, aber sie sind von geringem Nutzen, solange das Rohöl zum größten Teil unter der Erde bleibt. Die Ölinfrastruktur befindet sich nach 17 Jahren Krieg und Sanktionen in bedenklichem Zustand. Die Förderquote beträgt weniger als zu den schon gedrückten Spitzenzeiten mit 2,5m Barrels vor dem Krieg.
Das Militär ist pessimistisch hinsichtlich der Aussichten und äußert sich dazu zunehmend offen. General Petraeus warnt davor, dass „Operationen gegen die Aufständischen neun bis zehn Jahre dauern können." Aber sie haben keine neun bis zehn Jahre. Die öffentliche Meinung in den USA ist jetzt mit überwiegender Mehrheit gegen den Krieg. Sogar viele RepublikanerInnen haben davon genug.
Was immer die USA jetzt tun werden, es wird das Falsche sein. Wenn sie bleiben, wird das mehr Tote bedeuten und nichts lösen. Weitestgehend als Ergebnis des Irakkrieges ist die Popularität Bushs zusammengeschrumpft. Die Liste der Toten und Verwundeten der USA wächst weiterhin und unverhältnismäßig viele Opfer im Irak kommen aus armen Latino- oder schwarzen Familien.
Es ist im Grunde eine Klassenfrage. Wenn die Besatzung fortwährt, könnte das in den USA Bewegungen hervorrufen ähnlich jener Massenbewegung gegen den Vietnamkrieg vor 40 Jahren. Es kann sogar eine Regierungskrise mit revolutionären Elementen auslösen. Die Kombination von ökonomischer Rezession mit dem daraus resultierenden Abfall des Lebensstandards, Arbeitslosigkeit und Pfändungen von Häusern mit der Frage des Krieges ist eine explosive Mischung.
Aber wenn sie abziehen, wird es sogar noch schlimmer. Sie werden eine chaotische Situation zurücklassen, die sogar zum Auseinanderbrechen des Irak in seine Bestandteile führen könnte. Das wird die Basis für weitere Instabilität, regionale Kriege und Terrorismus legen - so ziemlich das Gegenteil von dem, was sie wollten.
Im Herbst 2007, während Bush noch die Trommeln für den Krieg gegen den Iran schlug, erschienen in der Presse erstaunliche Enthüllungen zum Iran, dem vom Präsidenten favorisierten „Schurkenstaat". Unbekannte Quellen zeigten auf, dass die US-Spionage vor einiger Zeit nachgewiesen hatte, dass der Iran über keine unmittelbare Möglichkeit verfügte, nukleares militärisches Potenzial zu erwerben. Das war genau das Gegenteil dessen, was Bush in den Monaten davor behauptet hatte. Er hatte nämlich gesagt, dass es notwendig sei, einen unmittelbaren Schlag gegen den Iran zu führen, weil dieser jederzeit Nuklearwaffen herstellen könnte.
Wie reagierte Bush darauf? Korrigierte er die fehlgeführte Propaganda über Teherans imaginäres Nukleararsenal? Rief er zum sofortigen Rückzug von den Plänen zum Militärschlag gegen den Iran auf? Nein, das tat er nicht. Er wiederholte denselben Unsinn und verdoppelte seine Drohungen gegen den Iran. Und die israelische Regierung schloss sich an, beteuernd, dass die eigene Spionage den Berichten Washingtons widersprach. Offensichtlich sind die Falken in Israel begeistert von der Aussicht, dem Iran eine blutige Nase zu verabreichen und wollen sich ihren Spaß von niemandem verderben lassen.
Wer stand hinter diesen Enthüllungen? Wer immer es war, es war jemand in hoher Position mit privilegiertem Zugang zu hochvertraulicher Spionageinformation. Es scheint sehr wahrscheinlich, dass ein Teil des Establishments sich entschieden hatte, ein neues Militärabenteuer im Mittleren Osten durch die Freigabe von Informationen, die die Propaganda der Regierung zu diesem Thema als genauso wahr wie die alten Lügen über die „Massenvernichtungswaffen" des Irak darstellen, zu verhindern.
Dieser Vorfall zeigt die Existenz einer wachsenden Spaltung innerhalb der herrschenden Klasse der USA. Es herrscht eine zunehmende Erkenntnis vor, dass die Außenpolitik der Regierung Bush negative Konsequenzen für den US-Imperialismus hat und ein Teil der herrschenden Klasse würde das gern abbremsen oder sogar rückgängig machen. Darin zeigt sich eine Krise des Regimes selbst.
Es scheint äußerst wahrscheinlich, dass die nächsten Wahlen von den DemokratInnen gewonnen werden. Aber was können die tun? Sie werden ein Erbe des Kriegs, Terrorismus und ökonomischer Krisen übernehmen. Es wird nicht lang dauern, bis sie diskreditiert sind und so den Boden für eine ernsthafte politische Radikalisierung in den USA aufbereitet haben.
Regionale Instabilität
Der Irakkrieg hatte schon Konsequenzen, die von der herrschenden Klasse in Washington nicht vorhergesehen wurden, als sie ihr Irakabenteuer begann. George W. Bush und Condeleezza Rice wünschen ernstlich Frieden im Nahen Osten - Frieden unter amerikanischer Kontrolle. Das Problem ist, dass die beiden Ziele jeweils exklusiv sind: man kann Frieden haben oder man kann US-Herrschaft haben, aber nicht beides.
Der US-Imperialismus versucht seinen Zugriff auf die Region als Schlüsselelement seiner Außenpolitik zur Weltbeherrschung zu verstärken. Die kriminelle Invasion des Irak hatte u.a. die Absicht, einen starken und verlässlichen Stützpfeiler im Nahen Osten zu etablieren. Er hat dieses Ziel nicht erreicht, es gelang nur, eine Welle der Instabilität in der gesamten Region hervorzurufen.
Durch die Entfernung der irakischen Armee - die einzige Kraft, die als Gegengewicht zum Iran agieren hätte können - änderte Washington das strategische Kräftegleichgewicht in der gesamten Region. Das kam dem Iran zugute, der seinen Einfluss auf die schiitische Bevölkerung des Irak und in der gesamten Region ausweitete. Das bedroht direkt die Interessen Saudi-Arabiens und der Golfstaaten, wo reaktionäre US-freundliche Monarchien auf riesigen Ölreserven sitzen.
Wie ein Elefant im Porzellanladen stampfte der US-Imperialismus durch die Region und zerstörte bis ins Letzte die Elemente der Stabilität, die davor noch bestanden hatten. Umgeben von den Scherben zerbrochenen Geschirrs und in der Angst, dass noch weitere wertvolle Teller zu Bruch gehen könnten, berief Präsident George Bush in verzweifeltem Versuch, die zerbrochenen Stücke wieder zusammenzukleben, die Annapolis-Konferenz ein.
Die saudische Monarchie, eine der Hauptverbündeten des US-Imperialismus in der Region, hängt an einem seidenen Faden. Sie könnte jederzeit gestürzt werden und jedes Regime, das ihren Platz einnimmt, wäre kein Freund Amerikas. Daher flehte das Haus der Sauds Washington um zwei Dinge an: den diplomatischen, wirtschaftlichen und militärischen Druck auf Teheran zu erhöhen und irgendein Friedensarrangement auszuhandeln, das - wie sie hofften - die Palästina-Frage lösen und etwas Druck von Saudi-Arabien nehmen würde.
Washington hätte dem nur zu gern entsprochen, doch es gab eine Reihe von Problemen äußerst widerspenstiger Natur. Das Hauptproblem ist Israel, das nun der einzige verlässliche Verbündete ist, den Washington in dieser Region hat. Der US-Imperialismus hat derzeit nicht viel Einfluss auf die herrschenden Klasse in Israel. Die USA denken, aber Israel lenkt.
Syrien und Libanon
Die AmerikanerInnen hielten sich für schlau, als sie den Sturz des pro-syrischen Regimes im Libanon arrangierten. Doch es gelang ihnen nur, das Land in Chaos und Krieg zu stürzen und Bedingungen für das Wiederaufleben eines Bürgerkriegs zu schaffen. Der Libanon ist in Bezug auf die Wahl seines Präsidenten in einer Sackgasse angelangt. Im Nachhinein erkannten einige in Washington, dass die Rolle Syriens ausschlaggebend ist. Es ist möglich, dass die Entscheidung, Damaskus dazu einzuladen, einen Vertreter zu den Friedensgesprächen nach Annapolis einzuladen, die Anerkennung dieser Tatsache zeigt.
Syriens Entscheidung, den Außenminister - weniger als ein voller Unterhändler, aber mehr als eine bloße Repräsentanz - als Abgeordneten für eine bloß symbolische Diskussion über den syrisch-israelischen Frieden nach Annapolis zu schicken, könnte anzeigen, dass Syrien wünscht, mit Washington zu einem Kompromiss zu gelangen. Ob das möglich ist, ist fraglich.
Amerika braucht Syrien, um den Libanon daran zu hindern, einen offenen Bürgerkrieg zuzulassen. Aber George Bush ist zu dumm und eingeschränkt, um die Realitäten der Weltdiplomatie zu verstehen. Er bot Syrien keine Zugeständnisse, um seine Unterstützung zuzusichern, sondern gab stattdessen Damaskus in seiner Rede eine auf die Finger. Er bezog sich ausdrücklich und unnötig auf Libanons Bedürfnis nach einer „von äußeren Einflüssen und Einschüchterung freien" Wahl. Das ist ein Scherz angesichts der ungenierten Einmischung der USA in der gesamten Region. Aber die SyrerInnen können die spaßige Seite daran nicht sehen.
Die palästinensische Frage
Die palästinensische Frage liegt im Zentrum der turbulenten Situation des Nahen Ostens: ein Schlüsselgebiet der US-Außenpolitik sowohl aus wirtschaftlichen wie aus strategischen Gründen. Seit Jahrzehnten ist es wie eine eiternde Wunde, die die Beziehungen zwischen Staaten vergiftet und das Risiko neuer Konflikte, von Terrorismus, Instabilität und Kriegen hervorbringt.
Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion wünschten sich die US-ImperialistInnen, ihren Einfluss auf die arabischen Länder zu erhöhen und waren gewissermaßen darauf vorbereitet, auf Israel Druck auszuüben. Sie übten also Druck auf Israel aus, Zugeständnisse zu machen. Das führte zu den Gesprächen in Camp David und die Übereinkünfte von Madrid und Oslo, die ein zurechtgestutztes palästinensisches Territorium schufen. Das war eine armselige Karikatur, die in keiner Weise die nationalen Bestrebungen der PalästinenserInnen befriedigte. Es befriedigte niemanden.
Das Ergebnis war weiterhin Gewalt, Terrorismus, Konflikte und Verbitterung, mit einer offenen Spaltung in den Reihen der PalästinenserInnen, mit einer Hamas, die die Kontrolle in Gaza übernahm, wachsendem Chaos und Instabilität und Elementen von Bürgerkrieg. Die Krise in Gaza ist ein Bürgerkrieg zwischen der Hamas und der PLO unter Abbas.
Israels Rückzug aus Gaza war ein taktischer Zug mit der Absicht, den Zugriff auf das Westjordanland zu stärken. Wir erkennen den Zynismus der ImperalistInnen (nicht nur der AmerikanerInnen, sondern auch der EU), wenn sie sofort Mittel für die Regierung Hamas einstellen, die, man kann sagen was man will, demokratisch gewählt wurde. Sobald sich die Konfrontation zwischen Mahmoud Abbas und der Hamas ereignete, setzten die ImperialistInnen die Gelder an das Westjordanland und den Handlanger Abbas wieder ein. Sie wollten die eine Seite nutzen, um die PalästinenserInnen zu spalten und so sicherstellen, dass der palästinensische Kampf für ein eigenes Land fehlschlägt.
Die herrschende Klasse in Israel sieht weiterhin mit stiller Zufriedenheit zu, wie die PalästinenserInnen einander bekämpfen und sendet gelegentlich Panzer oder zieht die wirtschaftlichen Daumenschrauben enger, um zu zeigen, wer der Boss ist. Die Situation ist für die palästinensischen Massen, die keinen Ausweg sehen, ein Albtraum. Die Taktik der Hamas löst nichts, sondern bestärkt nur die Position der israelischen ImperialistInnen und verschafft ihnen Ausreden für weitere Akte der Aggression und Repression, die sie nicht einmal eine Beule in der Rüstung kosten.
Die Losung der herrschenden Klasse Israels lautet: was wir haben, behalten wir. Die ZionistInnen haben keine Absicht, irgendwelche notwendigen Zugeständnisse zu machen. Die Hamas prahlte, dass sie die israelische Armee aus Gaza vertrieben hätte. Das ist ein Witz. Der israelische Rückzug aus Gaza ist ein taktischer Zug, um die internationale Kritik zum Schweigen zu bringen und den Eindruck zu erwecken, dass irgendetwas Wichtiges aufgegeben würde, wo sie doch in Wirklichkeit gar kein Interesse an Gaza haben. Die Absicht war, den Zugriff auf das Westjordanland zu stärken, worin die entscheidende Frage liegt.
Die Israelis bauen fortwährend die monströse Mauer, welche die Palästinensergebiete im Westjordanland durchtrennt und riesige Brocken Land unter dem Vorwand der „Verteidigung" raubt. Die SiedlerInnen wurden zunehmend kühn und unverschämt. Nach den Vorfällen in Gaza wird keine israelische Regierung die SiedlerInnen im Westjordanland herausfordern wollen.
Dann ist da noch Jerusalem, das sowohl JüdInnen wie auch AraberInnen als ihre gottgegebene Hauptstadt beanspruchen. Das Rückkehrrecht der seit 1948 aus ihren Häusern vertriebenen PalästinenserInnen kommt für Israel nicht in Frage, da das das demografische Gleichgewicht des „jüdischen Staats" vollends kippen lassen würde.
Sowohl Israel als auch die USA haben ein Interesse daran, irgendwie zu einer Übereinkunft hinsichtlich der palästinensischen Frage zu kommen. Darüber können sie immer wieder reden. Doch welche Vereinbarung sie auch treffen, sie wird gegen die Interessen der PalästinenserInnen gerichtet sein.
Sie kultivieren den palästinensischen „Führer" Mahmoud Abbas als unterwürfigen Handlanger, um seinen Stempel allem, was sie unter sich ausmachen, aufzudrücken. Aber das ist nicht so leicht! Abbas, wie die meisten Menschen, würde gern ein reifes Alter erleben und fürchtet sich auch, noch mehr Unterstützung unter den palästinensischen Massen zu verlieren als es bisher schon der Fall ist. Er kann es sich nicht leisten, offen gegenüber den Forderungen Washingtons und Israels zu kapitulieren. Aber letztlich wird er keine Wahl haben.
Der Friedensgipfel in Annapolis hat nichts gelöst. Nach vier Monaten endloser Debatten konnte Condoleezza Rice, die US-Staatssekretärin, nicht erzielen, was Abbas brauchte: irgendeine Übereinkunft zum Aufbau eines palästinensischen Staats.
Unlösbares Problem
Die USA sollten die Zustimmung beider Seiten zur „road map", dem Friedensplan von 2003 überwachen, dem gemäß Israel den Bau von Siedlungen im Westjordanland einstellen und die palästinensischen Autonomiebehörden gegen die Militanten, die Israel angreifen, vorgehen sollten.
Das heißt, dass den USA in beiderseitigem Einverständnis der beiden Konfliktparteien die Rolle des Richters in diesem Konflikt zugewiesen wurde. Die USA willigten ein, die Zustimmung beider Parteien zur road map zu überwachen; das wurde als Sieg für die PalästinenserInnen präsentiert, da in der Vergangenheit Israel de facto der Richter über die Durchführung war. Doch was damit in der gegebenen Situation erreicht werden kann, ist äußerst beschränkt. Der Schiedsrichter in einem Fußballspiel sollte neutral sein, darin liegt seine Autorität bei jeder Entscheidung. Aber da der Schiedsrichter hier klar einer Seite zugeneigt ist, kann die „Richterschaft" nicht sehr viel wert sein.
Der erste Test ist klar: was wird Olmert mit den über 100 „unautorisierten" Vorposten, die durch fanatische SiedlerInnen geschaffen wurden, tun? Die road map fordert von ihm, sie auf 60 zu reduzieren. Aber bisherige Versuche, die Zahl auch nur um einen zu mindern, haben zu gewaltsamen Zusammenstößen zwischen der Polizei und den SiederlInnen geführt, die sich nun zu einem Showdown neu formieren, nachdem sie ihren Kampf ums Bleiben schon 2005 im Gazastreifen verloren haben.
Es ist möglich, dass er auf die SiedlerInnen etwas Druck ausüben könnte (es sind nur Bauern im Schachspiel, und Bauern können immer geopfert werden, um wichtigere Ziele zu gewinnen). Aber eine völlige Auslöschung jüdischer Siedlungen im Westjordanland ist undenkbar. Die SiederlInnen sind FanatikerInnen, denen durchaus zugetraut werden kann, ernsthafte Störungen sowohl im Westjordanland wie auch in Israel selbst zu provozieren und keine israelische Regierung würde ein solches Risiko der Destabilisierung wollen. Das Problem der SiedlerInnen wird also bleiben und eine permanente Provokation für die PalästinenserInnen darstellen. Es ist schwer zu erkennen, welche Rolle der „Richter" in dieser Angelegenheit spielen soll.
Amerika hat einen General, James Jones, als Sicherheitsgesandten für die palästinensischen Autonomiebehörden ernannt. Das heißt nicht viel. Und es ist klar, dass Israel ihm seinen Job nicht leicht machen wird. Ein israelischer Offizier sagt, dass jeder Eindruck, dass Hr. Olmert den totalen Baustopp plant, wie ihn die road map verlangt, ein „bequemes Missverständnis" ist. Dieses kleine Detail ist äußerst wichtig. Es zeigt die Hohlheit der US-Diplomatie. Tatsächlich ist das alles genau das: ein bequemes Missverständnis.
Wo der „Richter" unersetzlich sein wird, ist an dem Punkt des Vorgehens gegen die Militanten. Die Unsummen an Geld, die die AmerikanerInnen den palästinensischen Bevollmächtigten schicken, sind nicht kostenfrei. Sie erwarten etwas im Gegenzug. Sie erwarten, dass Abbas die palästinensischen Militanten vernichtet, um den Weg für eine Übereinkunft frei zu machen, die sich weit entfernt von den palästinensischen Bestrebungen finden wird. Deswegen bewaffnet Washington seit vielen Monaten die palästinensischen Autoritäten und trainiert ihre Sicherheitskräfte. Es ist eine Vorbereitung für den Bürgerkrieg, von dem sie wissen, dass er kommen wird.
Die israelische Leseweise der road map ist die, dass die palästinensischen Autonomiebehörden terroristische Gruppen völlig demontieren müssen, bevor irgendein Abkommen über den Endzustand zwischen den beiden Seiten umgesetzt werden kann und sie werden völlige Übereinstimmung verlangen, bevor irgendwelche weiteren Schritte in Betracht gezogen werden. Doch das liegt jenseits der realen Möglichkeiten von Abbas, der befürchtet, dass ein schwerer Konflikt mit der Hamas zum völligen Zusammenbruch seiner bewaffneten Kräfte führen könnte. Daher bestehen die PalästinenserInnen darauf, dass sie nur damit beginnen müssen, die Aufgabe der „Wiederherstellung der Ordnung" zu erfüllen.
Somit haben die gegenwärtigen Gespräche nichts gelöst, sie können auch nichts lösen. Dieser Konflikt ist zu tief und bitter, um mit Gesprächen gelöst werden zu können. Und sogar wenn die Gespräche im Dezember fortgesetzt werden, wie sollten sie die wichtigen Fragen lösen: die Grenzen des palästinensischen Staats, die Teilung Jerusalems, das Schicksal der 4,5 Millionen palästinensischen Flüchtlinge im Ausland, die Aufteilung der Wasserressourcen und andere brennende Themen.
Olmert wird gerade so viel zugestehen, um den Friedensprozess laufen zu lassen, um nicht die AmerikanerInnen zu verärgern. Aber er wird nicht so viel zugestehen, dass sich die rechten Parteien veranlasst sehen könnten, seine Koalition zu verlassen. Letztere haben klar gemacht, dass sie zu den Schlüsselfragen keine Zugeständnisse zu machen gewillt sind. Zum Beispiel haben sie einen Gesetzesentwurf eingebracht, der es für Israel schwerer machen würde, den palästinensischen Autoritäten irgendetwas von Jerusalem abzugeben.
Abbas, für den aus Annapolis weniger heraussprang als erhofft, läuft Gefahr, von seinen GegnerInnen der Kapitulation beschuldigt zu werden. Die Sicherheitskräfte der palästinensischen Autonomiebehörden gingen brutal gegen Anti-Annapolis-Demonstrationen im Westjordanland vor. Das ist eine Warnung für noch bevorstehende Ereignisse. Weit davon entfernt, für die Schaffung eines palästinensischen Staats ein wirkliches Friedensabkommen zu erbringen, wird Annapolis vielmehr nur noch mehr Konflikt, Blutvergießen und Bürgerkrieg unter den PalästinenserInnen bringen und ein Vermächtnis der Bitterkeit, das lange Zeit vorhalten wird, hinterlassen.
Der einzige Ausweg
In vielen Ländern schlägt die ArbeiterInnenklasse nach Jahren der Niedergeschlagenheit und Erschöpfung den Weg des Kampfes ein. Wir sehen das an der eindrucksvollen Streikwelle in Ägypten, aber auch in Marokko, Jordanien, im Libanon und selbst in Israel. Es ist notwendig, den Kampf für die Interessen der ArbeiterInnenklasse, für die internationale proletarische Solidarität und den Kampf für Sozialismus als einzige langfristige Lösung für die Probleme der Massen auf die Tagesordnung zu setzen.
Es ist wesentlich, dass die revolutionäre Jugend in Palästina das versteht. Wenn wir das Argument akzeptieren, dass Israel bloß eine reaktionäre Masse ist, dann wäre die Sache des palästinensischen Volkes für immer verloren. Aber es ist nicht wahr! In Israel gibt es Reiche und Arme, Ausbeutende und Ausgebeutete, wie in jedem anderen Land. Es ist nötig daran zu arbeiten, die Verbindungen zwischen den RevolutionärInnen in Palästina und den Massen in Israel - JüdInnen wie AraberInnen - zu schmieden. Das ist der einzige Weg, einen Keil zwischen die reaktionäre zionistische führende Klasse und die Massen zu treiben.
Es wird gesagt, dass das unmöglich ist. Das stimmt nicht! Bei mehr als einer Gelegenheit in der Vergangenheit gab es klare Anzeichen, dass die Botschaft aus den besetzten Gebieten zu den Massen in Israel gelangt. Zur Zeit des Massakers an den PalästinenserInnen im Libanon gab es eine riesige Protestdemonstration in Israel und in der ersten Intifada gab es klare Signale der Unzufriedenheit in Israel, einschließlich der bewaffneten Kräfte.
Taktiken wie Selbstmordanschläge und Raketenangriffe auf zivile Ziele sind falsch, weil sie kontraproduktiv sind. Für jedeN getöteteN israelischeN BürgerIn werden sie noch viel mehr PalästinenserInnen töten. Das schädigt die israelische Militärmaschinerie in keinster Weise, hilft aber der herrschenden Klasse und dem Staat in Israel außerordentlich. Indem die Massen zum zionistischen Staat hingedrängt werden, stärken solchen Taktiken genau das, was sie zerstören wollen.
Wir kämpfen für die sozialistische Revolution im Nahen Osten und im Iran, dem Golf und in Nordafrika. Wir kämpfen gegen den Imperialismus - den Hauptfeind aller Völker. Aber wir kämpfen auch gegen Großgrundbesitz und Kapitalismus - die Hauptagenten des Imperialismus. Wir sind gegen religiösen Fundamentalismus, der die gesunden antiimperialistischen Instinkte der Massen in die Sackgasse religiösen Fanatismus und reaktionären Obskurantismus umleiten will. Wir stehen für ArbeiterInnenmacht und Sozialismus und eine neue gesellschaftliche Ordnung, die die Interessen der Massen zum Ausdruck bringt. Wir sind für die Schaffung einer Sozialistischen Föderation des Nahen Osten, wo JüdInnen und AraberInnen eine Heimat in Autonomen Sozialistischen Republiken garantiert werden kann. Das ist der einzige Weg vorwärts!
Für die palästinensische Frage ist auf Basis undurchsichtiger Geschäfte mit dem Imperialismus keine Lösung möglich. Die einzige mögliche Lösung ist die Spaltung Israels entlang der Klassenlinien: um den Zugriff des reaktionären Zionismus zu brechen. Doch das erfordert eine Klassenposition. Es ist schwierig, diese Position unter den gegebenen Umständen voranzutreiben, doch die Geschehnisse werden den MarxistInnen Möglichkeiten eröffnen, sobald die Massen die Vergeblichkeit der alten Methoden erkennen. In der Zwischenzeit ist es nötig, unsere Ideen den fortschrittlichsten Elementen geduldig zu erklären. In der Zukunft werden unsere Ideen ein Massenecho finden.
Die iranische Revolution
Es gibt ein wachsendes revolutionäres Potenzial im Iran. Ahmadinejad setzt auf Anti-Amerikanismus als Mittel zur Umlenkung der Aufmerksamkeit der Massen. Doch nach den letzten Enthüllungen über Irans Nuklearprogramm sieht es danach aus, dass die Aussichten auf einen Luftschlag gegen den Iran in der Ferne verschwinden - zumindest im Augenblick.
Das passt Ahmadinejad gar nicht. Seine Unterstützung schwindet im Iran recht rasch und seine einzige Hoffnung bestand darin, das Getrommel über die Gefahr einer US-Aggression aufrechtzuerhalten, um die Aufmerksamkeit der Massen weg von ihren drückendsten Problemen abzulenken und so sein Regime zu retten. Er gab eine öffentliche Stellungnahme mit dem Inhalt ab, dass die neuen Enthüllungen Bush als Lügner entlarven (was zutrifft) und die Politik seines Regimes vollständig rechtfertigen (was nicht zutrifft).
Natürlich ist Ahmadinejad nicht in der Lage, einen ernsthaften Kampf gegen den Imperialismus zu führen, doch er hat ein Interesse daran, die Spannung aufrechtzuerhalten, um die Aufmerksamkeit der Massen von ihren wahren Problemen abzulenken. Jetzt ist es unwahrscheinlich, dass Bush zur Handlung fähig ist. Das wird es für die Entwicklung einer breiten Oppositionsbewegung der iranischen ArbeiterInnen und StudentInnen leichter machen, die bereits begonnen hat und dazu bestimmt ist, das gesamte politische Leben der Region in der kommenden Periode zu verändern.
Die Mullahs hängen an der Macht, doch ihre Unterstützung schwindet. Das Regime erfährt einen langsamen Prozess inneren Zerfalls. Nach Jahrzehnten an der Macht werden sie als korrupt und unterdrückerisch erlebt. Die Jugend befindet sich in offener Revolte. Trotz des mächtigen staatlichen Repressionsapparats wird Ahmadinejad von den StudentInnen ausgebuht und bei seinen Reden unterbrochen. Das ist ein sehr wichtiges Anzeichen. Es ist normal für eine Revolution, dass sie mit einer StudentInnenbewegung beginnt. Das war der Fall in Russland in der Zeit von 1900-1903. Die StudentInnenproteste bereiteten den Weg für die Massenbewegung der ArbeiterInnen in der Revolution von 1905. Das war auch der Fall in Spanien 1930-31. Im Mai 1930 schrieb Trotzki:
„Wenn die Bourgeoisie bewusst und stur verweigert, die Lösung der Aufgaben, die aus der Krise in die bürgerliche Gesellschaft schwappen, auf sich zu nehmen; wenn das Proletariat weiterhin nicht bereit scheint, die Lösung dieser Aufgaben selbst durchzuführen, dann wird die Vorbühne oft von Studenten besetzt ... Die revolutionären oder halbrevolutionären Aktivitäten der Studenten bedeuten, dass die bürgerliche Gesellschaft eine schwere Krise durchmacht...
Die spanischen Arbeiter zeigten einen völlig richtigen revolutionären Instinkt, als sie den Protesten der Studenten ihre Unterstützung erwiesen. Es versteht sich, dass sie das unter eigenem Banner und unter der Führung ihrer eigenen proletarischen Organisation tun müssen. Das muss durch den spanischen Kommunismus gewährleistet werden und dafür braucht es eine richtige Politik." (Leo Trotzki, Probleme der Spanischen Revolution)
Diese Worte sind voll auf den heutigen Iran übertragbar. Die StudentInnen protestieren und demonstrieren trotz der extremen Präsenz der Sicherheitskräfte des iranischen Regimes. Am StudentInnentag (4.12.) nahmen etwa 500 StudentInnen und linke AktivistInnen an einer illegalen Versammlung an der Universität von Teheran teil. Die Menge skandierte Losungen, die die kürzlich vorgenommenen Verhaftungen und das Klima der Einschüchterung anprangerten, das Treffen endete mit dem Singen der Internationale. Das zeigt, dass die radikale und revolutionäre Tradition der iranischen StudentInnenbewegung, die bis zum Dezember 1953 zurückreicht, lebt und bei guter Gesundheit ist. Aber als Anzeichen betrachtet ist sie noch wichtiger.
Lenin erklärte, dass es vier Bedingungen für eine Revolution gibt. Die erste ist, dass das Regime gespalten und in der Krise befindlich sein muss. Das iranische Regime ist tief gespalten und in einer totalen Sackgasse. Es hat den Punkt erreicht, der - wie de Tocqueville herausstrich - der gefährlichste Moment für eine Autokratie ist, wenn sie sich zu reformieren beginnt. An diesem Punkt eröffnet sich eine Spaltung zwischen Konservativen und Reformern. Letztere sagen: „Wir müssen reformieren oder es gibt Revolution." Erstere sage: „Wenn wir reformieren, gibt es Revolution." Und beide haben Recht. Der Iran hat diesen Punkt vor einiger Zeit erreicht.
Die zweite Bedingung ist, dass die Mittelschichten der Gesellschaft sich in einem Zustand der Gärung befinden sollten und zwischen Revolution und dem Status quo schwanken. Diese Gärung spiegelt sich in der Bewegung an den Universitäten wider, ist aber nicht darauf beschränkt. Teile der Mittelklasse wie KleinhändlerInnen (bazaris), die in der Vergangenheit die Mullahs unterstützten, sind nun genauso unzufrieden. Die Massenbasis der Reaktion schwindet nun, während die gesellschaftlichen Reserven der Revolution immer weiter wachsen.
Das nächste und wichtigste Element in der Gleichung ist die ArbeiterInnenklasse. Das mächtige iranische Proletariat ist die entscheidendste Kraft in der Revolution. Die iranischen Werktätigen sind nun in Bewegung. Es gab eine größere Streikwelle, an der viele Teile der ArbeiterInnenklasse beteiligt waren: BusfahrerInnen, Schiffswerften, Textil- und EisenbahnarbeiterInnen, die Haft-Tapeh Zuckerfabrik, ÖlarbeiterInnen und andere. Diese Streiks mögen wegen wirtschaftlicher Forderungen beginnen, aber angesichts der Natur des Regimes werden sie unausweichlich einen zunehmend politischen und revolutionären Charakter annehmen.
Mit anderen Worten, alle von Lenin erwähnten Bedingungen sind entweder vorhanden oder reifen heran. Die letzte nur fehlt noch: die revolutionäre Partei oder Führung. Unsere iranischen GenossInnen haben exzellente Arbeit geleistet, die sich noch in ihren frühen Stadien befindet, aber sich rasant entwickeln kann sowie die Revolution voranschreitet. Der Iran befindet sich auf einer mit der Situation des Vorabends vom Jänner 1905 vergleichbaren Stufe. Erinnern wir uns, dass die russischen MarxistInnen zu dieser Zeit ebenfalls äußerst schwach waren, aber mit enormer Geschwindigkeit anwuchsen, sobald sich die ArbeiterInnenklasse in Bewegung setzte.
Wir sind die einzige Strömung, die im Iran ein revolutionäres Potenzial entdeckt. Die iranische ArbeiterInnenklasse wurde gegen den islamischen Fundamentalismus geimpft. Sie ist jung und frisch und frei von Vorurteilen und Verzerrungen durch Reformismus und Stalinismus. Sie kann sich sehr schnell in die Richtung der fortgeschrittensten revolutionären Ideen bewegen. Die iranische Revolution wird die stagnierende und unerträgliche Atmosphäre der Reaktion, die über der Region hängt, durchschneiden. Sie wird das Joch des religiösen Fundamentalismus abschütteln und entschlossen den Weg des Sozialismus und der ArbeiterInnenmacht einschlagen.
Zum gegenwärtigen Moment ist die iranische Revolution der Schlüssel im Mittleren Osten. Sie wird den Nebel des religiösen Fundamentalismus und der Reaktion lichten. Sie wird den ArbeiterInnen und der Jugend der arabischen Welt, die nun zum Klassenkampf erwachen, Hoffnung und eine neue Perspektive bringen. Sie wird Schockwellen auslösen, die sich nach Afghanistan, Pakistan und ganz Zentralasien ausdehnen werden und ihr Widerhall wird noch weiter weg zu hören sein.
Afghanistan
Wie im Irak haben auch in Afghanistan die ImperialistInnen in ihren grundlegenden Zielen versagt. Das Land ist in völliger Unordnung und die Schockwellen, die daraus hervorgehen, haben Pakistan destabilisiert. Der Krieg zieht sich hin und westliche Opfer häufen sich. Der Plan der USA, auf die Luftwaffe in Afghanistan zurückzugreifen um amerikanische Tote zu vermeiden, hat nicht funktioniert. Stattdessen haben die Bombenangriffe schwere zivile Opfer gefordert. Das ist die Version des Pentagon der sanften Kunst des Freunde-Gewinnens und Menschen-Beeinflussens.
Die britisch geführten Truppen kämpfen am Boden in der Provinz Helmand. Sie ertragen eine Menge Opfer in einem Krieg, den sie nicht gewinnen können. Die Taliban vermeiden offene Kämpfe und ziehen sich mehr auf Selbstmordanschläge und Straßensprengungen zurück. Diese „asymmetrischen" (d.h. Guerilla-) Taktiken sind sehr wirksam und werden auch in Kabul verwendet. Ein Selbstmordbombenanschlag tötete fast den US-Vizepräsidenten Dick Cheney.
Der britische General David Richards soll KollegInnen in London gewarnt haben, dass die NATO „das Beste aus einem miesen Job" machte, weil sie über zu wenig Truppen verfügte. Aber es ist viel einfacher, das Problem festzustellen als es zu lösen. Woher wird die NATO mehr SoldatInnen bekommen? Stattdessen werden immer mehr von Amerikas Verbündeten ausfallen. Der Wille nach Fortsetzung des Kampfes wird sich in dem Maß auflösen wie zunehmende Opfer die Innenpolitik belasten. Das hat schon in Italien eine politische Krise ausgelöst. Sie wird nicht die letzte sein.
Einige Länder wie Britannien, Dänemark und Polen steigern ihre Kräfte. Aber andere sind nicht so scharf darauf, mehr Opfer zu riskieren. Die Deutschen sind präsent, aber ihre Truppen sind auf den Norden beschränkt (wo es wenig oder gar keinen Kampf gibt) und ihnen ist es verboten, nachts die Kasernen zu verlassen! Die afghanische Mission ist in Deutschland nicht populär und brachte die italienische Regierung im Februar 2007 fast zu Fall. Die Niederländer schwanken und Sarkozy sagt, dass er ISAF gern verlassen würde, obwohl hohe Beamte versichern, dass das nicht unmittelbar bevorstünde.
Die Truppenkürzung am Boden bedeutet, dass die ImperialistInnen mit schwerer Feuerkraft kompensieren müssen. Das heißt noch mehr zivile Opfer, die die afghanische Bevölkerung noch weiter entfremden wird. Die Taliban hingegen haben ausreichend Geld, Männer und Waffen, finanziert durch die afghanische Mohnernte.
Die Opiumwirtschaft und der Aufstand bestärken einander gegenseitig; Drogen finanzieren die Taliban, während die Kämpfe die Mohnkultivierung antreiben, besonders in Helmand, wo dieses Jahr eine weitere Rekordernte eingebracht und mehr Opium (und daraus Heroin und andere illegale Drogen) als im übrigen Afghanistan überhaupt produziert werden wird.
Das Drogengeschäft ist hochprofitabel, der Verdienst liegt bei etwa 320 Milliarden Dollar jährlich. Der Opiumhandel liegt im Wert bei etwa 3,1 Milliarden Dollar (weniger als ein Viertel davon verdienen die Bauern), was ca. ein Drittel von Afghanistans Gesamtwirtschaft ausmacht. Der afghanische Opiumhandel ist etwa 60 Milliarden Dollar im Straßenverkauf in den konsumierenden Ländern wert - und völlig außer Kontrolle. Afghanistan produzierte den Gegenwert von 6.100 Tonnen Opium, etwa 92% der weltweiten Produktion. Die Taliban übten zumindest eine gewisse Kontrolle aus, jetzt gibt es gar keine. In diesen Tagen sind Kommandierende der Taliban und Drogenschmuggler ein und dieselben.
Einige der größten Drogenbarone sind vermeintliche Mitglieder der nationalen und provinziellen Regierungen, auch Hamid Karzai nahestehende Leute. Der Economist (28.6.07): „Die ganze Kette der Regierung, die die Herrschaft des Gesetzes anordnen sollte, vom Innenminister zum gewöhnlichen Polizisten, ist unterwandert. Schlecht bezahlte PolizistInnen werden bestochen, den Handel zu erleichtern. Einige bezahlen ihre Vorgesetzten, um besonders lukrative Stellen wie die Grenzkontrollen zu bekommen."
Pakistan - der Schlüssel
Pakistan nimmt für die US-Außenpolitik in Zentralasien eine Schlüsselrolle ein. Das Land befindet sich jedoch in einer schweren Krise, die sich aus einer fatalen Kombination aus wirtschaftlichem Kollaps, islamistischen Aufständen, Terrorismus, Risse im Staatsapparat und politischem Chaos zusammensetzt. Der genaue Ausgang dieser Entwicklung ist unmöglich vorherzusagen. Doch eins ist klar: Die Instabilität wird weiter zunehmen und gemeinsam mit einer zunehmenden sozialen und politischen Polarisierung werden sowohl revolutionäre wie auch konterrevolutionäre Tendenzen mächtigen Auftrieb bekommen.
Die Ereignisse in Pakistan entwickeln sich in Windeseile. General Musharraf sah sich gezwungen die Funktion als Armeechef abzugeben und Wahlen auszurufen. Das hat eine gewaltige Wende in Pakistan eingeleitet. Die Spaltungstendenzen und Konflikte an der Spitze öffnen einen Kanal, in welchem sich die angestaute Unzufriedenheit der Massen ausdrucken kann. Die Ereignisse werden dann nach einer eigenen Logik Form annehmen.
Die Diktatur ging unter dem Druck von Massendemos und -protesten und angesichts der untolerierbaren Widersprüche, die Pakistan auf allen Ebenen durchziehen, in die Knie. Wie wir vorhergesagt haben, gingen bei der Rückkehr von Benazir Bhutto Millionen ArbeiterInnen und BäuerInnen auf die Straße. Und zwar trotz der Politik und dem Verhalten von Benazir, die eine Verbündete des US-Imperialismus ist und bis vor kurzem einen Kompromiss mit Musharraf anstrebte.
Die Diktatur von Musharraf scheiterte an ihren eigenen Widersprüchen und an ihrer inneren Verrottetheit. Dieser interne Niedergang zeigte sich im Konflikt mit den Rechtsanwälten. Dann kam die Krise rund um die Rote Moschee usw. In Folge dessen entschied sich der Imperialismus Musharraf loszuwerden und die Rückkehr von Bhutto nach Pakistan vorzubereiten. Die Rückkehr von Benazir Bhutto und Nawaz Sharif und der formale Rücktritt von General Pervez Musharraf als Armeechef markierten den Anfang vom Ende der Diktatur. Das Regime hat einfach keine Energie mehr und kollapiert unter seinem eigenen Gewicht.
Pakistan hat seit der Erlangung der formalen Unabhängigkeit gemeinsam mit Indien im Jahre 1947 eine stürmische Geschichte hinter sich. Seitdem hat sich die schwache pakistanische Bourgeoisie als völlig unfähig erwiesen, dieses riesige Land vorwärts zu bringen. Es bleibt in Armut und feudaler Rückständigkeit gefangen. Die Ökonomie ist in einem schlimmen Zustand und zeigt keine Aufwärtstendenzen.
Die Schwäche des pakistanischen Kapitalismus manifestiert sich in extremer politischer Instabilität. Auf schwache „demokratische" Regime folgten regelmäßig Militärdiktaturen der einen oder anderen Art. Der letzte Diktator, Zia ul Haq wurde (wahrscheinlich vom CIA) ermordet. Musharraf fürchtet nun ein ähnliches Schicksal und klammert sich verzweifelt an die Macht. Doch die Macht entgleitet ihm immer mehr.
Die Ausrufung des Ausnahmezustands war ein verzweifelter Schachzug, der das Land - wie wir vorhergesagt haben - ins politische Chaos stürzte. Dieser Schritt war auch nicht im Interesse des US-Imperialismus, für den Pakistan aufgrund des Kriegs in Afghanistan jetzt von enormer Bedeutung ist. Washington hat auf Musharraf großen Druck ausgeübt, damit die pakistanische Armee gegen die Taliban losschlägt, welche von Pakistan aus die internationalen Truppen im Süden von Afghanistan bekämpfen.
Dieser Druck von allen Seiten schwächte Musharrafs Position zusehends. Seine Armee musste in den Stammesgebieten, wo sie vergeblich versuchten die Kämpfer der Taliban zu vertreiben, schwere Verluste hinnehmen. Es gibt noch immer einen sehr mächtigen Flügel in der Armee und vor allem im Geheimdienst ISI, der die Taliban und Al Kaida unterstützt und beschützt.
Musharraf steht demgegenüber ohnmächtig da. Die Armee war seine einzige Machtbasis, und diese zeigt sich immer schwächer. Deshalb kamen die Strategen des US-Imperialismus auch zu dem Schluss, dass Musharraf für sie von keinem Nutzen mehr ist. Benazir Bhutto sollte aus ihrer Sicht stattdessen die Macht übernehmen.
Perspektiven für die Pakistan People's Party
Für die Rechtsanwälte und professionellen PolitikerInnen ist "Demokratie" eine Frage, ob sie selbst lukrative Posten im Parlament oder in Ministerien bekleiden können. Der Hauptgrund für ihre Opposition gegen Musharraf fußt weniger auf politischen Prinzipien sondern auf der Tatsache, dass die Armee einen zu großen Teil der politischen und wirtschaftlichen Macht in ihren Händen konzentrierte und ihnen zu wenig übrig gelassen hat. Für die „politische Klasse" reduziert sich dieser Kampf auf die Frage, wer den größeren Anteil vom Kuchen bekommt.
Die US-Bourgeoisie verfolgt andere Interessen. Sie hat ihren eigenen (viel größeren) Kuchen zu Hause. Die Verteidigung von dem, was sie „amerikanische Interessen" nennen, ist unmittelbar damit verbunden. Doch um die „amerikanischen Interessen" beschützen zu können, d.h. die Interessen der US-Banken und US-Konzerne), müssen sie große Aufmerksamkeit auf die Außenpolitik legen.
Die US-Außenpolitik hat zwei Abteilungen: einerseits die US-Armee, die Navy und die Air Force und andererseits die Diplomatie. Erstere setzt auf nackte Gewalt, um den Feind zu zerschlagen. Zweitere setzt auf eine Mischung aus Drohungen, Bestechung und Korruption, um die Unterstützung von „freundlich gestimmten Regierungen" zu erlangen, da Freundschaft auch eine Ware wie jede andere ist und gekauft werden kann.
Leider können Freunde, wie jede andere Ware auch, ihren Nutzen verlieren, was zu einem Fall ihres Marktwertes führt. Der Marktwert von General Musharrafs Freundschaft ist jetzt schon geraumer Zeit recht niedrig. Und deshalb hält Washington Ausschau nach neuen Freunden in Islamabad.
Benazir ließ keine Gelegenheit aus, um sich als pro-westliche und gemäßigte Politikerin zu erweisen. Doch hinter Benazir und der PPP stehen die Massen, die nach einer Wende verlangen. Sie sind loyal zu den ursprünglichen sozialistischen Zielen der PPP und fordern roti, kapra aur makan (Brot, Kleidung und Wohnungen), was ihnen der pakistanische Kapitalismus nicht zu geben vermag. Die Haltung der Massen zeigte sich bei der Rückkehr von Benazir nach Pakistan: zumindest zwei Millionen Menschen gingen auf die Straße, die überwältigende Mehrheit davon waren ArbeiterInnen, BäuerInnen und arme Menschen.
Washington war zuerst erleichtert, als Nawaz Sharif im September 2007 nach Saudi-Arabien zurück abgeschoben wurde. Angesichts der Massenmobilisierungen anlässlich der Rückkehr von Benazir Bhutto, sind nun jedoch hoch erfreut, dass er auch wieder zurückkehrt. Die Saudische Königsfamilie verlangte, dass der Führer der Muslimliga ebenfalls zurück kehren dürfe. Die Saudis wollen mit allen Mitteln einen Sieg der PPP verhindern und wirken daraufhin, dass sich Musharraf auf die Muslimliga stützt, um Benazir draußen vor zu halten. Der Imperialismus strebte eine Machtteilung zwischen Bhutto und Sharif an. Sie sollten eine Koalition bilden und so als Sicherheitsgürtel gegenüber den Massen wirken.
Die Ermordung von Benazir Bhutto hat die ganze Situation abermals transformiert. Die Massen wurden dadurch auf die politische Bühne getrieben. Falls die Wahlen abgehalten werden, wird die PPP massiv an Stimmen gewinnen. Kurzfristig wird sich das "Zentrum" in Form einer PPP-Regierung, möglicherweise einer Koalition mit der Muslimliga, durchsetzen. Doch diese Regierung wird sich als ohnmächtig erweisen und keines der grundlegenden gesellschaftlichen Probleme lösen. Im Endeffekt werden die Kräfte des „Zentrums" dadurch zerrieben werden.
Krise des Regimes
Die ImperialistInnen und die herrschende Klasse in Pakistan hatte keine Angst vor Benazir Bhutto sondern vor den Massen, die hinter der PPP stehen. Diese wollen einen grundlegenden gesellschaftlichen Wandel und sind mit Reden und Versprechungen nicht zufrieden zu stellen.
Benazir wollte mit Sharif eine Koalition bilden, weil sie eine Ausrede brauchte, warum sie keine Politik im Interesse der ArbeiterInnen und der Bauernschaft macht. Doch die ArbeiterInnen und armen Bauern werden aber keine Entschuldigungen akzeptieren. Sie werden rund um ihre dringlichsten Forderungen Druck machen. Das wird eine völlig neue Situation des Klassenkampfs in Pakistans schaffen.
An der Spitze finden eine Reihe von kleinen Intrigen und Manövern statt. Die Journalisten und Kommentatoren zeigen sich von diesem "politischen Drama" fasziniert. All diese endlosen Kombinationen und Deals sind nicht vielmehr als der Schaum der Wellen im Ozean, d.h. die sichtbaren Ausdrucksformen mächtiger, dem zu Grunde liegender Strömungen. Entscheidend ist Letzteres und sonst nichts.
Die Krise in Pakistan ist keine oberflächliche politische Krise sondern eine Krise des gesamten Regimes. Der pakistanische Kapitalismus ist schwach, verrottet und korrupt; er hat dieses riesige Land mit 160 Millionen Menschen in eine schreckliche Sackgasse geführt. Über mehr als ein halbes Jahrhundert hat sich die degenerierte pakistanische Bourgeoisie als unfähig erwiesen die Nation vorwärts zu führen. Nun steht sie selbst vor dem Abgrund.
Nur die Massen unter der Führung der ArbeiterInnenklasse können aus diesem Alptraum einen Ausweg weisen. Die wahre Verfasstheit der PPP sind die Massen: die Millionen ArbeiterInnen und BäuerInnen, revolutionäre Jugendliche und Arbeitslose, die nach der Ermordung der PPP-Vorsitzenden auf die Straße gingen. Sie machten dies nicht wegen einer einzelnen Person sondern wegen einem Ideal: dem Ideal eines genuin demokratischen und gerechten Pakistan: einem Pakistan ohne Reiche und Arme, ohne Unterdrücker und Unterdrückte: einem sozialistischen Pakistan.
In der nächsten Periode werden die Massen durch die Schule der PPP gehen müssen, wo sie einige für sie harte Lektionen lernen werden. Doch die Massen lernen generell von Erfahrungen. Wie sonst sollen sie lernen. Die nächste Periode wird von Sturm und Drang gekennzeichnet sein. Eine PPP-Regierung wird unmittelbar von verschiedenen Seiten unter Druck kommen: die Massen werden Maßnahmen in ihrem Interesse einfordern, die ImperialistInnen, die Großgrundbesitzer und Kapitalisten werden Maßnahmen in ihrem Interesse verlangen. Die Regierung wird zwischen zwei Mühlsteinen zerrieben werden.
Einzig unsere Tendenz hat diese Entwicklung verstanden und vorhergesagt. Wie gewöhnlich haben sich die linksradikalen Sekten als völlig unfähig erwiesen ein Verständnis für das Denken und die Bewegungsgesetze der Massen zu entwickeln. Die MarxistInnen hingegen nehmen an der realen, lebendigen Bewegung der Massen teil, kämpfen für dieselbe Sache gegen den selben Klassenfeind. Wir schulmeistern die ArbeiterInnen und BäuerInnen nicht von außen kommend, sondern wir erklären geduldig, Schritt für Schritt und helfen den ArbeiterInnen dabei selbst Schlüsse zu ziehen.
Am Ende werden die ArbeiterInnen und BäuerInnen lernen zwischen den FührerInnen, die für die Interessen der arbeitenden Menschen stehen, und jenen, die das nicht tun, zu unterscheiden. Die MarxistInnen in der PPP werden alle Versuche zur Bildung einer Koalition mit der Muslimliga ablehnen. Wir verlangen die Umsetzung des Gründungsdokuments der PPP, einem sozialistischen Programm basierend auf der Enteignung des Großgrundbeseitzes und der KapitalistInnen. Wir werden die nötigen Übergangsforderungen entwickeln, um jeden konkreten Kampf um Reformen mit dem Ziel einer sozialistischen Umwälzung der Gesellschaft zu verbinden.
Wie im Iran sehen wir wie sich die klassischen Bedingungen für eine Revolution in Pakistan herausbilden. Jede Revolution beginnt an der Spitze der Gesellschaft, mit Rissen im alten Regime. Diese erste Bedingung existiert in Pakistan bereits. Die Mittelschichten haben sich völlig von der herrschenden Clique entfremdet. Das hat sich teilweise in den Protesten der Rechtsanwälte widergespiegelt, auch wenn es sich dabei um ein sehr widersprüchliches Phänomen handelt. In den letzten Jahren gab es einen Aufschwung des Klassenkampfes in Pakistan mit wichtigen Streiks wie jenen bei der Telekom und in der Stahlindustrie. In den letzten Tagen sahen wir einen landesweiten Streik bei der PIA (Pakistan Airways). Diese Streiks wurden in den internationalen Medien kaum beachtet doch sie sind von großer Bedeutung. Sie zeigen das Wiedererwachen des pakistanischen Proletariats.
Die letzte und wichtigste Bedingung liegt in der Existenz einer revolutionären Organisation und Führung. Gibt es eine solche in Pakistan? Ja, die pakistanischen MarxistInnen rund um "The Struggle" sind in den letzten Jahren starker geworden und haben an Einfluss massiv dazu gewonnen. Sie haben eine Position nach der anderen erobert und es ist ihnen gelungen die überwältigende Mehrheit der kämpferischen Jugend- und ArbeiteraktivistInnen rund um ihre Strömung zu vereinen. Sie haben eine starke und wachsende Präsenz in jeder Region, jeder Nationalität und jeder wichtigen Stadt.
In den Kämpfen der ArbeiterInnen haben sie eine herausragende Rolle gespielt. Gemeinsam mit der PTUDC (Pakistan Trade Union Defence Campaign), der wichtigsten klassenkämpferischen Gewerkschaftsorganisation in Pakistan, erzielten sie einige sehr bedeutende Siege, so gelang es die Privatisierung von Pakistan Steel zu verhindern. Im Kaschmir überzeugten sie die Mehrheit der StudentInnenorganisation für den Marxismus und in Karachi und Pakhtunkhua (North West Frontier) traten viele AnhängerInnen der ehemaligen KP der Tendenz bei.
Wir waren die einzige Kraft auf der Linken, welche die Rolle der PPP verstand, und wir waren die einzigen, welche voraussagen konnten, wie die Massen reagieren würden. Die pakistanischen GenossInnen intervenierten in diesen Demonstrationen, verteilten dort revolutionäre Literatur und riefen revolutionäre Losungen. Dabei stießen sie unter ArbeiterInnen und BäuerInnen, die dasselbe wollen wie wir, auf ein enormes Echo.
Wichtige Entwicklungen stehen auf der Tagesordnung und unsere GenossInnen sind in einer guten Ausgangsposition davon zu profitieren. Die Frontlinien werden von Tag zu Tag klarer ersichtlich: entweder schwarze Reaktion oder der Triumph der sozialistischen Revolution in Pakistan, Indien und auf dem gesamten Subkontinent. Pakistan könnte durchaus die Ehre zufallen, das erste Land zu sein, in dem die Flamme der sozialistischen Revolution entzündet wird, welche ganz Zentralsien und den Subkontinent lichterloh brennen lassen wird.
Lateinamerika
Aus der Sicht der Weltrevolution in ihrer Gesamtheit bleibt Lateinamerika die erste Frontlinie. Das ist die endgültige Antwort an all jene ReformistInnen, welche das Argument der Bürgerlichen akzeptierten, dass Revolution und Sozialismus nicht mehr auf der Tagesordnung stünden. Der US-Imperialismus ist zusehends besorgt angesichts der Entwicklungen südlich des Rio Grande. Der Grund für diese zusehends alarmierte Stimmung ist, dass die revolutionäre Gärung ein Land nach dem anderen erfasst.
Revolutionen kennen keine Grenzen und die revolutionäre Stimmung breitet sich auf Länder wie Ekuador, Bolivien usw. aus. Deshalb versuchen sie auch Venezuela zu isolieren. Der US-Imperialismus kann die Venezolanische Revolution nicht tolerieren. Doch wie es schon bei Kuba passierte, könnte der US-Imperialismus über die Grenzen des Kapitalismus hinaus drängen. Sollte dies passieren, hätte dies Folgen für den gesamten Kontinent und darüber hinaus.
In den 1980ern stand die Region aufgrund der Bürgerkriege in Guatemala, El Salvador und Nicaragua an der vordersten Front des Kalten Krieges. Doch später hat der Nahe Osten Lateinamerika als die Hauptpriorität der Außenpolitik von Washington abgelöst. Das ändert sich nun wieder. Die wachsende Sorge in Washington spiegelte sich bei der Lateinamerikareise von George Bush wider, einer Region, die er seine ganze Amtszeit über vernachlässigt hatte. Obwohl seine Route sorgfältig ausgewählt worden war und auf „freundlich gestimmte" Länder begrenzt blieb, traf der US-Präsident überall auf Protestdemos.
Überall sieht Washington die Hand von Chavez und der Bolivarischen Revolution. Das ist typisch für die engstirnige Polizeimentalität, welche Revolutionen (und selbst Streiks) immer als das Ergebnis von Rattenfängern darstellen und die objektiven Bedingungen dafür absolut nicht verstehen. Es stimmt, dass Chavez und die Venezolanische Revolution eine Art Katalysator für die Revolution auf dem gesamten Kontinent darstellen. Doch selbst der mächtigste Kaalysator kann nur dann funktionieren wenn die sonstigen Bedingungen passen. Die objektiven Bedingungen für die sozialistische Revolution sind heute praktisch in jedem Land in Lateinamerika gegeben.
Um den Sieg in der kürzest möglichen Zeit und mit einem Minimum an Opfern garantieren zu können, braucht es vor allem eine revolutionäre marxistische Partei und Führung. Das stimmt vollkommen. Doch die Natur kennt kein Vakuum. Die Massen können nicht warten, bis wir eine revolutionäre Partei aufgebaut haben! Mangels einer solchen Partei dient Chavez als eine Art Katalysator. Er gibt jenen eine Stimme, welche die Gesellschaft verändern wollen. Das erklärt auch die enorme Feindschaft, die ihm der US-Imperialismus entgegenbringt. Diese ist fest entschlossen ihn auf die eine oder andere Art und Weise los zu werden.
Der Einfluss der USA in Lateinamerika ist heute enorm geschwächt. Sie schaffen es nicht einmal, die OAS für eine Intervention gegen Venezuela zu gewinnen. Die Einstellung in Lateinamerika gegenüber dem mächtigen Nachbarn im Norden hat sich sehr verschlechtert. Laut einer jüngsten Umfrage des BBC World Service meinten 64% der ArgentinierInnen, 57% der BrasilianerInnen, 53% der MexikanerInnen und 51% der ChilenInnen, dass sie den Einfluss der USA "großteils negativ" beurteilen.
In der Vergangenheit hätten die Marines längst direkt interveniert. Heute ist dies politisch und physisch unmöglich. Die US-Armee ist im Irak und in Afghanistan gebunden, und es ist undenkbar, dass diese Armee derzeit in ein weiteres militärisches Abenteuer verwickelt werden könnte. Deshalb müssen die USA auf andere Methoden setzen: die Diplomatie und Intrigen. Doch selbst auf diesem Terrain ist Bush nur begrenzt handlungsfähig.
Die USA unterstützten in den 1970ern und 1980ern Militärdiktaturen, nachdem sie sich mit Noriega aber die Fingern verbrannt hatten, haben sie seither ihre Taktik geändert. Sie bevorzugen gegenwärtig schwache demokratische Regimes, auch wenn sie dies nicht davon abhielt 2002 in Venezuela einen Putsch zu organisieren. Bushs Bekenntnis zur Demokratie ist ein relatives und rein von taktischen Überlegungen diktiert. Das alles heißt nicht, dass die USA nicht angreifen werden. Doch sie können nicht offen und direkt einmarschieren - sie müssen sich auf indirekte Methoden, diplomatischen Druck, wirtschaftlichen Druck und politische Intrigen stützen.
In Nicaragua gewann Daniel Ortega die Präsidentschaftswahlen, und zwar obwohl Vertreter der USA sich offen für rechte Kandidaten stark machten. Washington steckte ganz klar hinter dem massiven Wahlbetrug in Mexiko, um die Wahl von Lopez Obrador, dem Kandidaten der PRD zu verhindern. Es versuchte die Wahl von Rafal Correa in Ecuador zu verhindern, scheiterte jedoch dabei. Es gelang jedoch die US-marionette Alan Garcia in Peru zu installieren, und nun soll er für seine Intrigen gegen Venezuela, Bolivien und Ecuador belohnt werden.
Der US-Imperialismus beabsichtigt die Errichtung eines cordon sanitaire rund um Venezuela, (und auch um Bolivien und Ecuador). Das war der Zweck von Bushs Reise nach Lateinamerika und der Versuch bilaterale handelsverträge mit gewissen lateinamerikanischen Ländern ( Kolombien, Brasilien, Panama, Peru) abzuschließen . Washington lehnt die Regierungen von Evo Morales (Bolivien) und Rafael Correa (Ecuador) ab und setzt diese unter Druck. Dabei arbeiten die USA eng mit den Oligarchien zusammen, mit dem Ziel diese Regierung zu stürzen.
Früher waren alle SozialistInnen in den Augen von Washington "Kommunisten", doch jetzt muss sich der US-Imperialismus auch auf "gute" SozialistInnen wie Lula in Brasilien, Bachelet in Chile und Kirchner in Argentinien stützen, um Chávez zu isolieren. Sie wollten selbst Evo Morales dafür gewinnen.
Den Grund für Bushs Reise legte The Economist (1/5/07) dar: "Die USA sind mit Venezuelas Autokraten Hugo Chávez in einem Konflikt um den Einfluss in der Region gefangen." Das eigentliche Ziel ist es Venezuela mithilfe von Ländern wie Brasilien, wo Lula als sicherer "Gemäßigter" gilt, zu isolieren. Die USA verfolgen eine Doppelstrategie: Uribe droht offen, während Lula hinter den Kulissen Intrigen spinnt, mit dem Ziel Chávez von der Idee des Sozialismus abzubringen, wie es Lula selbst schon vor langer Zeit getan hat:
"Brasiliens Lula sagt, dass er von seinem venezolanischen Gegenpart Mäßigung einfordert. Doch es gibt keinen Anhaltspunkt, dass dies Chávez' Fahrtrichtung tatsächlich beeinflusst. Falls er an diesem Weg festhält, dann werden sich die lateinamerikanischen DemokratInnen überlegen müssen, ob er weiter zu ihrem Klub gehören kann." (The Economist, 1/5/07)
Kolumbiens Álvaro Uribe ist der engste Verbündete der USA in der Region. Doch selbst in Kolumbien - das dank des "Plan Colombia" der größte Empfänger von US-Hilfe in der Region - hatten im Dezember 2006 nur 39% der Befragten einer Studie von LatinoBarómetro ein positives Bild des US-Präsidenten. Álvaro Uribes Regierung ist bekannterweise eng verbunden mit den rechtsgerichteten paramilitärischen Gruppen in Kolumbien. Der US-Kongress hat sogar Vorschläge eingebracht, um die Zahlungen an Kolumbien zu kürzen. Doch das hat Bush und den CIA nicht beeindruckt, trotz all dem Gerede über Demokratie und der mitfühlenden Sorge um die Menschenrechte - natürlich in Venezuela.
Die US-Militärhilfe hat Kolumbien in ein riesiges Waffenlager verwandelt und das militärische Kräftegleichgewicht in der Region völlig verzerrt. Der sogenannte Krieg gegen die Drogen dient als Feigenblatt zur Verschleierung von Washingtons wahren Interessen, die einerseits darin bestehen, dass die Guerilla zerstört und andererseits die kolumbianische Armee für eine mögliche Intervention in Venezuela in der Zukunft vorbereitet werden soll.
Chávez hat versucht die Bedrohung durch Kolumbien zu reduzieren, teilweise auch indem er die Wiederannäherung an Uribe gesucht hat. Doch diese Politik steht vor einem Scherbenhaufen. Uribe wird ganz klar von Washington aufgestachelt und hat die Beziehungen zu Chávez abgebrochen. Als vorgeschobener Grund dienen Chávez' Kontakten zur FARC-Guerilla und zu kolumbianischen Offizieren bei seinem Versuch zu vermitteln als es um die Freilasung von Geiseln ging. Daran erkennt man sehr gut die Grenzen der bürgerlichen Diplomatie bei der Verteidigung der venezolanischen Revolution. Diplomatische Manöver sind notwendig doch sie können nur eine untergeordnete Rolle einnehmen. In der letzten Instanz sind die einzigen wirklichen Freunde der venezolanischen Revolution die ArbeiterInnen und BäuerInnen in Lateinamerika und dem Rets der Welt.
Mexiko - die Revolution hat begonnen!
Die Ereignisse in Mexiko bestätigen auf brilliante Art und Weise, was wir unzählige Male bereits gesagt haben: in Lateinamerika gibt es von Feuerland bis zum Rio Grande kein einziges stabiles Land. Vor nicht allzu langer Zeit schien Mexiko ein stabiles Land. Doch unsere Perspektiven wurden durch die Ereignisse der letzten beiden Jahre voll und ganz bestätigt.
Binnen kürzester Zeit betrat Mexiko den revolutionären Weg mit Millionen auf den Straßen, einem Aufstand in Oaxaca, Elementen der Doppelherrschaft und sogar embryonalen Sowjets. Das bestätigt vollkommen unsere Perspektiven. Die Sekten hatten dafür keinerlei Erklärung. Das ist es, was Trotzki die Überlegenheit der Voraussicht nannte.
Mexiko ist ein gutes Beispiel dafür, wie sich die Massen bewegen. Millionen gingen auf die Straße, um gegen Wahlbetrug zu protestieren und um Lopez Obrador zu unterstützen. In ihrer überwältigenden Mehrzahl waren das ArbeiterInnen und BäuerInnen. Unsere GenossInnen kämpften Seite an Seite mit den Massen und erklärten gleichzeitig unser Programm und unsere Methoden und versuchten au diese Art und Weise die Bewegung vorwärts zu bringen. Das war das einzig richtige, was man in dieser Situation tun konnte!
Wie überall ist das zentrale Problem jenes der Führung. Wir müssen verstehen, wie sich die ArbeiterInnenklasse bewegt - durch ihre Massenorganisationen - nicht durch kleine Sekten. Diese wunderbare, spontane revolutionäre Bewegung der Massen löste eine Führungskrise aus. Wie der Zauberlehrling rief Lopez Obrador Kräfte, die er dann nicht mehr kontrollieren konnte und er wusste nicht, was er mit ihnen tun sole. Doch es ist unmöglich Millionen Menschen dauerhaft in einem Zustand der ständigen Mobilisierung zu halten ohne ihnen eine Perspektive aufzuzeigen.
Nach einer langen Periode energischer Anstrengung sehen wir nun ganz klar ein Element der Ermüdung bei den Massen. Die Massen können nicht ständig auf den Barrikaden stehen, wie sich das die Linksradikalen so gerne vorstellen. Wenn sie keine Veränderung sehen, ebbt die Bewegung ab für eine gewisse Zeit. Das ist ganz normal. Nach fast zwei Jahren der ständigen Kämpfe und Erhebungen war dies unvermeidlich. Das erste Erwachen der Massen tendiert dazu nach einer gewissen Zeit auszulaufen. Einige Sektoren werden sich zurückziehen vom Kampf und werden Bilanz ziehen, auch wenn selbst jetzt noch frische Schichten aus der Klasse von traditionell eher rückständigen Bereichen noch immer in Aktion treten können. Es kann zu temporären Rücksclägen kommen, doch eine dauerhafte Stabilität ist unmöglich.
Oberflächlich betrachtet scheint es, als habe Calderon gewonnen. Doch der Krieg ist noch lange nicht zu Ende. Wie in einem Schwergewichtsboxkampf ist nicht entscheidend wer die erste Runde für sich entscheiden kann, sondern wer ein größeres Durchhaltevermögen an den Tag legen kann. Die Regierung Calderon ist schwach und gespalten. Es ist eine Regierung in der Krise. Das Problem liegt darin, dass die herrschende Klasse zu schwach ist, um die ArbeiterInnen zum jetzigen Zeitpunkt zu zerschlagen, und die ArbeiterInnen wiederum sind nicht in der Lage die Macht zu erobern, weil ihnen dazu die Führung fehlt. Das Ergebnis ist ein instabiles Gleichgewicht, das für einige Jahre anhalten kann, bevor es zu einer endgültigen Lösung des Konflikts kommt.
In der Zwischenzeit geht der Klassenkampf weiter. Die Pensionsreform ist ein Versuch das Sozialsystem für die öffentlich Bediensteten, das Instituto de Seguridad y Servicios Sociales de los Trabajadores del Estado (ISSSTE, Institut für Soziale Sicherheit der Öfentlich Bediensteten), zu ändern. Das bedeutet Einschnitte beim Lebensstandard, genau das fordert die mexikanische Bourgeoisie. Doch das hat breite gewerkschaftliche und politische Proteste ausgelöst. Und das ist erst der Anfang.
Es ist nicht klar, wie lange sich diese Regierung wird halten können. Es hängt sehr viel von den Perspektiven der Weltwirtschaft und der USA, mit denen Mexiko auf das Engste verbunden ist, ab. Ein wirtschaftlicher Abschwung in den USA würde südlich des Rio Grande sehr ernsthafte Konsequenzen haben. Das Geld, das Millionen mexikanischer ImmigrantInnen von den USA in die alte Heimat senden, spielt eine wichtige Rolle in der Aufrechterhaltung der Ökonomie ganzer Regionen.
Eine Rezession in den USA würde zu einem steilen Anstieg der Arbeitslosigkeit bei den Latinos führen, was wiederum zu einem Einbruch der Geldsendungen nach Mexiko führen würde. Dies würde zu einem rapiden Anstieg der Armut in den bereits ärmsten Regionen Mexikos führen mit einer korrespondierenden Zunahme sozialer Spannungen. Selbst ohne einer Rezession wird der sinkende Dollar-Kurs (und auch der entsprechende Wertverlust des chinesischen Yuan) die mexikanische Industrie und Agrarwirtschaft schwer treffen.
All diese Faktoren werden die Regierung Calderon weiter unterminieren. Selbst die Mittelschichten werden bald einmal desillusioniert sein. Unter diesen Umständen wird die PRD einen neuen Aufschwung erleben. Sie wird aus einem Grund die Unterstützung von Millionen ArbeiterInnen und BäuerInnen erhalten: es gibt keine Alternative. Ab einem bestimmten Zeitpunkt wird die Bourgeoisie keine andere Wahl haben, als dass sie die Massen in die Schule des Reformismus schickt. Dort werden sie einige harte Lektionen lernen. Die Politik von Lopez Obrador inkludiert keinen Bruck mit dem Kapitalismus. Doch der schwache mexikanische Kapitalismus kann keine Perspektive entwickeln bzw. den Menschen das geben, was sie benötigen. Eine Regierung unter Lopez Obrador wäre ebenfalls eine krisenhafte Regierung.
Die ArbeiterInnen und BäuerInnen werden Druck ausüben auf eine PRD-Regierung, damit diese ein Programm in ihrem Interesse umsetzt. Andererseits wird die Haltung der herrschenden Klasse zu einer PRD-Regierung davon gekennzeichnet sein, dass sie diese zu benutzen und zu diskreditieren versuchen wird. Sie wird ebenfalls Druck auf die Regierung ausüben, damit sie die Politik der Einsparungen und der Konterreformen fortsetzt. Genau das benötigt nämlich der mexikanische Kapitalismus. Nach getaner Arbeit wird sie die Regierung aus dem Amtjagen und den Weg für eine Rechtsregierung ebnen. Der Reformismus wird dann zwischen zwei Mühlsteinen aufgerieben werden.
Mexikos sogenanner "Krieg gegen die Drogen", für sich selbst genommen eine graphische Ilustration für die Schwäche der Bourgeoisie und ihres Staates, wird als Entschuldigung für die Repression der revolutionären Bewegung und der ArbeiterInnenklasse hergenommen. Gewalt und Morde wurden zur Norm. In diesem Land mit knapp über 100 Millionen EinwohnerInnen gab es im Jahr 2005 ganze 1600 Morde, die in Verbindung zu organisiertem Verbrechen standen, 2006 stieg diese Zahl auf 2200. Die Elemente sozialer Desintagration und der Barbarei sind vorhanden und werden sie weiter ausbreiten, wenn die ArbeiterInnenklasse nicht die Macht übernimmt.
Früher oder später muss es zu einer offenen Konfrontation zwischen den Klassen kommen. Calderon versucht den Staat aufzurüsten und bereitet sich so auf die zukünftigen Kämpfe vor. In der jüngsten Vergangenheit wurden 30.000 Soldaten im Land stationiert. Amnesty International schreibt von systematischer "Polizeiwillkür, Folter, unfairen Gerichtsverhandlungen und Urteilen" im Land. Trotzdem hat Lopez Obrador den Vorschlag gemacht, anstatt gegen all das anzukämpfen, dass die Armee verstärkt zum Einsatz kommen müsse.
Die herrschende Klasse in Mexiko versteht von ihrem eigenen Klassenstandpunkt aus, was wir auch von unserem Klassenstandpunkt aus verstehen. Doch die reformistischen FührerInnen der PRD verstehen rein gar nichts und handeln dementsprechend. Die Lage in Mexiko ist sehr explosiv, auch wenn sich der Klassenkampf in Form von Ebee und Flut entwickeln wird. Wir haben dort eine starke Organisation und eine Führung, welche in der Hitze des Gefechtes gestählt wurde. In der nächsten Periode können diese GenossInnen ähnliche Ergebnisse erzielen wie die GenossInnen in Pakistan. Von nun an müssen wir Mexiko und den mexikanischen GenossInnen unsere größte Aufmerksamkeit zukommen lassen.
Bolivien
Evo Morales ist jetzt seit zwei Jahren im Amt. Er wurde gewählt nachdem das hervorragende bolivianische Proletariat 18 Monate lang mit revolutionären Mitteln für die Veränderung der Gesellschaft gekämpft hat. Die ArbeiterInnen organisierten zwei Generalstreiks und zwei Aufstände, sie stürzten zwei Präsidenten. Was mehr kann man von der ArbeiterInnenklasse verlangen?
Die Bourgeoisie und der Imperialismus fürchteten, dass Bolivien den selben Weg gehen könnte wie Venezuela unter Hugo Chávez. Doch Morales' Politik der nur teilweisen "Nationalisierung" der Erdöl- und Erdgasvorkommen hat nur ausländische Regierungen und Investoren irritiert ohne die grundlegenden Probleme der Gesellschaft zu lösen. Die "demokratische Revolution", die er verspricht, hat die Bourgeoisie in den wohlhabenderen östlichen Landesteilen in Alarmbereitschaft versetzt, ohne die ArbeiterInnen und BäuerInnen zufrieden zu stellen.
Infolgedessen ist die Konterrevolution zum jetzigen Zeitpunkt auf dem Vormarsch in Bolivien. Die abwartende und unentschlossene Haltung von Morales hat zu einer Gegenoffensive der Reaktion geführt. Die Richter haben gegen die Regierung gestreikt, weil diese angeblich ein toalitäres Regime installieren möchte. Der Oberste Gerichtshof ist ein Hort der Reaktion, trotzdem wurden keinerlei ernsthafte Aktionen gegen diesen gesetzt.
Die bourgeoise Jugend und konterrevolutionäre StudentInnen bilden die Sturmtruppen der Reaktion und organisieren gewaltsame Straßendemonstrationen. Es kam zu Zusammenstößen mit revolutionären ArbeiterInnen und BäuerInnen. Vor einem Jahr versuchten AnhängerInnen der Regierung den Gouverneur von Cochachamba zum Rücktritt zu zwingen, weil dieser ein Referendum über die Autonomie dieser Region vorschlug. Bei gewaltsamen Zusammenstößen kamen in der Folge drei Menschen ums Leben. Nun sitzen die Kräfte der Reaktion in Cochachamba wieder fest im Sattel - was vor einem Jahr noch als undenkbar erschien.
Diese Scharmützel sind ein Warnsignal, dass es zu einem Bürgerkrieg kommen könnte. Sie sind, in den Worten des "Economist", "Teil einer improvisierten Revolution mit unklaren Zielen". Das ist keine schlechte Beschreibung der Situation. Doch in einer Revolution braucht es klare Ziele und die Entschlossenheit diese entgegen alle Hindernisse und Widerstände zu erreichen. Genau das fehlt aber in Bolivien.
Der Aufruf zu einer Verfassungsgebenden Versammlung ist, wie wir vorausgesagt haben, ein Mittel zur Ablenkung der revolutionären Bewegung auf die parlamentarische Ebene. Morales ließ den Vorschlag fallen, dass die Versammlung mit einfacher Mehrheit Verfassungsregelungen verabschieden können sollte, anchdem es in den östlichen Landesteilen zu Straßenprotesten gekommen war. Die MAS hatte zwar in der Versammlung eine Mehrheit aber keine Zwei-Drittel-Mehrheit, welche notwendig wäre, um eine neue Verfassung zu beschließen.
Die MAS von Morales machte den Vorschlag Bolivien als einen "pluri-nationalen, kommunitären" Staat neu zu definieren, der drei Dutzend indigenen "Nationen" die Würde zurückgibt. Diese Gruppen sollen ihr Territorium und die natürlichen Ressourcen kontrollieren und wären neben individuellen BürgerInnen als Gemeinden im gesetzgebenden Abgeordnetenhaus vertreten. Privates Eigentum sollte beschützt werden, wenn es zur "ökonomischen und sozio-kulturellen Entwicklung beiträgt". Eine vierte "soziale Macht" sollte die traditionellen drei kontrollieren.
Vizepräsident Álvaro García Linera forderte die "Verbreiterung der Eliten" und "Platz sowohl für kapitalistische wie auch postkapitalistische Entwicklung". Das stammt direkt aus dem reformistischen Kochbuch eines Heinz Dieterich. Es gibt keine sozialistische Perspektive, keinen Vorschlag zur Enteignung der Oligarchie. Und die FührerInnen sind selbst dabei noch zu Kompromissen bereit.
Die Regierung sucht den Ausgleich mit der Reaktion. "Wir wollen keine Verfassung, die nur von 60 - 70 % des Landes angenommen wurde und vom Rest abgelehnt wird.", sagt Garcia Linera. Der endgültige Text der Verfassung soll einem Referendum und dann der Interpretation durch die Gerichte, die Morales nicht kontrolliert, unterzogen werden. Das wird der Reaktion genügend Möglichkeiten geben ihre Taktik der Sabotage und Destabilisierung fortzusetzen.
Letztlich ist die Ökonomie entscheidend. Und die bolivianische Ökonomie ist in keinem guten Zustand und wächst weniger als der lateinamerikanische Durchschnitt. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung lebt in Armut, vier Fünftel der ArbeiterInnen sind im informellen Sektor und viele wandern aus. Abgesehen von Bergbau und Erdgas liegen die privaten Investitionen bei weniger als 2 - 3 % des BIP. Wenn er keine guten Jobs schafft und den Lebensstandard zu heben vermag, dann wird kein noch so ausgeklügeltes konstitutionelles Manöver Morales retten.
Die ArbeiterInnen und BäuerInnen werden bald schon ermüden, wenn sich an ihren Lebensbedingungen nicht grundlegend etwas ändert. Sie werden in einen Zustand der Passivität verfallen, und das wird es der konterrevolutionären Bourgeoisie erlauben in die Offensive zu gehen und all die verlorenen Positionen zurückzuerobern. Die Reaktionäre werden Selbstvertrauen gewinnen und immer aggressiver auftreten, wenn die ArbeiterInnen Vertrauen in die Zukunft der Revolution verlieren.
Sie werden den Weg zur Vertreibung von Evo Morales von der politischen Macht vorbereiten. Sie könnten dazu die Armee einsetzen, doch sie könnten dies auch über den "konstitutionellen" Weg machen, nachdem sie weiterhin signifikante Teile des Staatsapparates und der Justiz kontrollieren. Das ist das Ende der Politik des Reformismus und des Kompromisses. Andererseits können die Reaktionäre, wenn sie ungestüm vorgehen, eine soziale Explosion provozieren, was ihr gesamtes Projekt gefährden würde.
Venezuela
Im Gegensatz zu den ignoranten Sekten verstehen die ImperialistInnen was auch wir verstehen: in Venezuela haben wir es mit einer Revolution zu tun und die Massen woollen die Gesellschaft verändern. Das erklärt auch die Hysterie rund um Fragen wie RCTV oder das Verfassungsreferendum. Die ImperialistInnen halten den Druck auf Chávez aufrecht um die Revolution zum Stoppen zu bringen. Sie stützen sich dabei auf den rechten Flügel in der Bolivarischen Führung und auf die konterrevolutionäre Bürokratie. Doch die ArbeiterInnen und BäuerInnen machen von unten Druck. Der Ausgang dieses Kampfes wird das Schicksal der Revolution - auf die eine oder andere Art und Weise - bestimmen.
Der rapide und scheinbar unaufhaltsame Aufstieg von Chávez kann nicht nur mit der Rolle seiner Persönlichkeit erklärt werden. Ein Gärungsprozess hatte bereits die Massen erfasst gehabt, der jedoch noch keinen Kanal hatte, in dem er sich ausdrücken konnte. Sobald die Massen ein Ausdrucksmittel gefunden hatten, bauten sie eine unbändige Bewegung auf, die nun schon seit rund 10 Jahren andauert.
Zwischen Chávez und den Massen existiert eine dialektische Beziehung - eine machtvolle Chemie, in welcher der Führer der Bolivarischen Bewegung, indem er den Erwartungshaltungen der Massen eine Stimme gibt, diese revolutionäre Erwartungshaltung weiter intensiviert. Die Massen machen Druck und verlangen Veränderungen. Das hat auf Chávez eine Wirkung und treibt ihn weiter nach links. Diese besondere Chemie wurde auch von den Strategen des Kapitals und des Imperialismus beobachtet. Sie kamen zu dem Schluss, dass es notwendig wäre Chávez auf die eine oder andere Art und Weise zu eliminieren. Das ist der eigentliche Grund, warum sie solche Anstrengungen unternahmen für die Kampagne für ein "Nein" im Verfassungsreferendum.
Das war die erste wirkliche Niederlage von Chávez. Zum ersten Mal in einem Jahrzehnt hat die Opposition einen Sieg eingefahren. In den Bobo-Bezirken von Caracas war der Jubel grenzenlos. Doch die Freude der KonterrevolutionärInnen ist sowohl voreilig wie auch übertrieben. Im Vergleich zu den Ergebnissen der Präsidentschaftswahlen im Jahre 2006 konnte die Opposition ihre Stimmen nur um 200.000 steigern. Doch Chávez verlor im Gegenzug 2,9 Millionen Stimmen. Diese Stimmen gingen nicht an die Opposition sondern ins Lager der NichtwählerInnen.
Die Ergebnisse des Referendums zur Verfassungsreform zeigen folgendes. Der Vorschlag für eine Verfasungsreform wurde nur knapp abgelehnt, 4,521,494 Stimmen dagegen (50.65%) und 4,404,626, (49.34%) dafür. Die Frage, die wir uns stellen müssen, lautet nicht, warum das "Nein" gewonnen hat sondern warum so viele Chavistas ihre Stimme nicht abgegeben haben. Die überwältigende Mehrheit der Massen unterstützt weiterhin Chávez und die Revolution, doch es gibt klare Ermüdungserscheinungen.
Nach neun Jahren der Erhebung sind die Massen der Reden, Paraden und Demonstrationen und auch der endlosen Wahlen und Referenden müde. Wirklich erstaunlich ist eigentlich, dass diese Bewegung solange andauern konnte und dass diese Ermüdungserscheinungen so spat erst einsetzten. Die Wahlen im Dezember 2006 brachten nach neun Jahren des Prozesses eine 63%-Mehrheit für Chávez. Das ist Ausdruck für ein hohes Maß an revolutionärem Bewusstsein. Doch so eine Situation kann nicht ewig so weiter gehen.
Die Massen woollen weniger Worte aber dafür mehr entschiedene Taten: gegen die GroßgrundbesitzerInnen und KapitalistInnen, gegen die korrupten Gouverneure und Beamten. Vor allem fordern sie Aktionen gegen die 5. Kolonne an rechten Chavistas, die ein rotes T-shirt tragen und vom "Sozialismus des 21. Jahrunderts" reden, in Wirklichkeit aber den Sozialismus ablehnen und die Revolution von innen heraus sabotieren.
Selbst die größten Anstrengungen der Opposition brachten nur einen Zugewinn an 200.000 Stimmen. Das ist eine Tatsache. Außerdem kann dieser Kampf nicht nur mit Stimmen gewonnen werden. Der fettbäuchige Kapitalist und seine Familie, der kleine Geschäftsinhaber, der verzogene Student, der Regierungsbeamte, der die Politik der letzten Jahre ablehnt, der nostalgisch in die "gute alte Zeit" der Vierten Republik zurückblickende Pensionist, der Spekulant, die devote alte Dame, die von der reaktionären Kirchenhierarchie manipuliert wird, der solide Mittelschichtsbürger, der der "Anarchie" müde ist: all diese Elemente erscheinen bei Wahlen eine formidable Größe, doch im Klassenkampf sind sie eine irrelevante Größe.
Das Kräfteverhältnis zwischen den Klassen
Das reale Kräfteverhältnis zwischen den Klassen zeigte sich anhand der Demos am Ende der Wahlkampagne zum Verfassungsreferendum. Wie schon im Dezember 2006 bewegte die Opposition Himmel und Erde zur Mobilisierung ihrer Massenbasis und konnte tatsächlich eine große Menge versammeln. Doch am nächsten Tag wurden die Straßen der Hauptstadt Caracas von einem Meer an roten T-shirts und Fahnen überflutet. Die zwei Demos zeigten, dass die active Basis der Chavistas fünfmal so groß ist wie jene der Opposition.
In der Jugend ist das Bild noch eindeutiger. Die rechten Studierenden sind die Sturmtruppen der Opposition. Sie stellten die wichtigste Kraft, die gewalttätige Provokationen gegen die Chavistas organisierte. Zu ihrer größten Demo kamen maximal 50.000 Menschen. Doch die chavistischen StudentInnen hatten bei ihrer Demo 200-300.000 TeilnehmerInnen. In dieser entscheidenden Arena des Kampfes - der Jugend - verfügt die Revolution über weit mehr aktive Kräfte als die Konterrevolution.
Auf der Seite der Revolution steht die überwältigende Mehrheit der ArbeiterInnen und BäuerInnen. Das ist die entscheidende Frage! Keine Glühlampe leuchtet, kein Rad dreht sich, kein Telefon klingelt ohne die Erlaubnis der ArbeiterInnenklasse. Das ist eine kolossale Kraft, wenn sie erst einmal für die sozialistische Umwälzung der Gesellschaft organisiert und mobilisiert ist.
Die Opposition hat sich dazu entschieden einen vorsichtigen und konzillianten Ton anzuschlagen, weil die Zeit für eine Operation wie im April 2002 noch nicht reif ist. Jeder Putschversuch würde die Massen auf die Straße treiben, um die Revolution zu verteidigen.
Unter solchen Umständen wäre die venezolanische Armee ein äußerst unzuverlässiges Instrument für einen Putsch. Das würde zu einem Bürgerkrieg führen, in dem ein Sieg der Konterrevolution alles andere als gewiss wäre. Und wer würde daran zweifeln, dass dieses Mal eine Niederlage der Konterrevolution in der offenen Schlacht die sofortige Liquidierung des Kapitalismus in Venezuela bedeuten würde.
Die venezolanische Armee und der Staat
Die Armee spiegelt immer die diversen Strömungen in der Gesellschaft wider. Die venezolanische Armee hat nun fast ein Jahrzehnt des revolutionären Sturm und Drangs durchlebt. Das hat seine Spuren hinterlassen. Es kann keinen Zweifel geben, dass die überwältigende Mehrheit der gewöhnlichen Soldaten, Söhne von ArbeiterInnen und BäuerInnen, loyal zu Chávez und zur Revolution stehen. Das gilt wohl auch für die meisten Unteroffiziere. Je höher wir in der Armeehierarchie kommen, desto unklarer ist jedoch die Situation. Im Vorfeld des Verfassungsreferendums gab es Gerüchte über Verschwörungen und einige Offizieren wurden verhaftet. Das ist eine ernsthafte Warnung!
Der einzige Weg um sicherzustellen, dass alle reaktionären Offiziere wie Manuel Baduel aus der Armee entfernt werden, ist die Einführung demokratischer Verhältnisse in der Armee. Die Soldaten sollen die volle Freiheit haben politischen Parteien und Gewerkschaften beizutreten. Offiziere sollten wie alle Beamten in regelmäßigen Abständen zur Wahl gestellt werden. Jene, die zur Revolution loyal sind, werden dann auch nichts zu befürchten haben.
Unter den Offizieren stehen viele wohl loyal zu Chávez. Andere werden mit der Opposition sympathisieren oder gar im Geheimen die Konterrevolution unterstützen. Die meisten sind wahrscheinlich unpolitische Karrieristen, deren Sympathien in erster Linie vom allgemeinen Klima in der Gesellschaft abhängen.
Die Frage des Staates und der Streitkräfte nimmt nun eine Schlüsselposition in der revolutionären Gleichung ein. Der bürgerliche Staat ist nun seit geraumer Zeit am Desintegrieren. Doch keine neue staatliche Macht trat an seine Stelle. Das ist eine sehr gefährliche Ausgangsposition. Die Formierung einer neuen staatlichen Macht setzt notwendigerweise auch eine neue Form von Armee voraus - eine Armee des Volkes, eine ArbeiterInnen- und BäuerInnenmiliz.
Die überarbeitete Version der Verfassung hätte im Artikel 329 den Aufbau einer Bolivarischen Volksmiliz "als einen integralen Bestandteil der Bolivarischen Streitkräfte" vorgesehen, die sich aus "Einheiten der militärischen Reserve" zusammensetzen sollte. Das wären mehr als eineinhalb Millionen Venezolaner. Solch eine Kraft wäre ein machtvolles revolutionaries Instrument zur bekämpfung der Feinde der Revolution sowohl innerhalb wie auch außerhalb der Landesgrenzen .
Hätten die Gewerkschaften eine Führung, die der Klasse gerecht werden würde, würden sie diesen Vorschlag umgehend aufnehmen und in allen Fabriken und Betrieben ArbeiterInnenmilizen aufbauen. Die ArbeiterInnen müssen im Umgang mit der Waffe geschult werden, damit sie ihre Errungenschaften verteidigen können, um die Revolution gegen ihre Feinde verteidigen und um neue Errungenschaften erringen zu können. Doch die UNT ist gespalten und von den Fraktionskämpfen in der Führung massiv geschwächt. Die Führung war mehr am Kampf um Positionen interessiert als an der Verteidigung der Interessen der ArbeiterInnenklasse. Das ist das wahre Problem!
Bankrott der Sekten
Es ist ein Glück, dass die linksradikalen Sekten (die sich in allen Schlüsselfragen meist als UltraopportunistInnen erweisen) in Venezuela recht schwach sind. Ihre gewöhnliche Ungeduld, ihr abstraktes Denken und ihr organischer Formalismus machen es ihnen unmöglich, die Psychologie der Massen zu verstehen. Leider haben einige von ihnen aufgrund eines Zufalls der Geschichte führende Positionen in einigen Gewerkschaften geerbt. Diese haben sie jedoch nur dazu genutzt, um die ArbeiteraktivistInnen rund um sie zu desorientieren und in eine Sackgasse zu führen.
Sie haben die UNT als eine revolutionäre Kraft zerstört, sie haben sich anhand der Frage der PSUV gespalten. Der Flügel der UNT unter der Führung von Orlando Chirinos hat sich nicht nur geweigert der Massenpartei der ArbeiterInnenklasse beizutreten sondern hat sogar gemeinsame Sache mit der Konterrevolution in der Frage der Verfassungsreform gemacht. Das war eine kriminelle Politik. Diese selbsternannten "Marxisten" sie in ihrem Hass gegen Chávez so verblendet, dass sie bereits unfähig sind zwischen Revolution und Konterrevolution zu unterscheiden. So lösen sie sich selbst von der lebendigen Bewegung der Massen und sind zu Ohnmacht verdammt.
Die Rolle der sogenannten Trotzkisten, welche die Menschen dazu aufriefen "Nein" oder ungültig zu stimmen, war absolut katastrophal. Das schreibt sie als fortschrittliche Kraft, ganz zu schweigen als revolutionäre Kraft ab.
Die Konterrevolution und der Imperialismus verstehen die Lage viel besser als die SektiererInnen. Die Massen wurden durch Chávez zu politischem Leben erwacht und stehen loyal zu ihm. Die Bourgeoisie hat alles unternommen, um Chávez loszuwerden und ist damit gescheitert. Jeder konterrevolutionäre Versuch zerschellte am Felsen der Massenbewegung.
Sie haben sich deshalb dazu entschieden sich in Geduld zu üben und auf Zeit zu spielen. Chávez wurde für sechs weitere Jahre gewählt und hat jetzt noch rund fünf Jahre Amtszeit vor sich. Der erste Schritt der Bourgeoisie lag darin zu schauen, dass Chávez nicht noch einmal kandidieren kann. Darin lag die Bedeutung des Verfassungsreferendums aus ihrer Sicht. Sie rechnen damit, dass die Bewegung auf die eine oder andere Art sich spalten und desintegrieren wird, wenn Chávez einmal weg ist. Und das würde es ihnen erlauben, zurück an die Macht zu kommen.
Die Opposition ist vorsichtig, weil sie sich ihrer Schwäche bewusst ist. Sie weiß, dass sie nicht stark genug ist, um in die Offensive zu gehen. Doch auf der Basis eines "nationalen Schulterschlusses" versucht Chávez dazu zu bringen sein Programm zu verwässern. Wenn sie damit durchkommen, wird das auf die chavistische Basis einen demoralisierenden Effekt haben, während die ReformistInenn und BürokratInnen gestärkt werden.
Ökonomische Sabotage
Wie ist es möglich, dass die Opposition sich wieder aufbauen konnte, obwohl sie bereits so schwer geschlagen war? Der Grund ist, dass die Revolution nicht zu Ende gebracht wurde, d.h. die wichtigsten ökonomischen Schalthebel in den Händen der erbittertsten GegnerInnen der Revolution belassen wurden. Dazu kommt, dass die Massen nicht unbegrenzt alles hinnehmen, ohne dass sie in eine Stimmung der Apathie und Verzweiflung verfallen.
Wie wir in den Thesen über Revolution und Konterrevolution in Venezuela geschrieben haben:
"Sich rein auf die Opferbereitschaft der Massen zu stützen ist ein schwerer Fehler. Die Massen können ihr Heute nur zu einem bestimmten Grad für ihr Morgen aufopfern. Das muss immer im Kopf behalten werden. Letztlich ist die ökonomische Frage entscheidend."
Diese Ausführungen sind gegenwärtig aktueller denn je. Der Mangel an Grundnahrungsmitteln wie Milch, Fleisch und Zucker hat in den letzten Monaten ein nicht mehr zu tolerierendes Ausmaß erlangt. Dies erinnert an die Lage in Chile, als die Wirtschaftssabotage gegen die linke Volksfrontregierung der 1970er eingesetzt wurde.
Die konterrevolutionäre Bourgeoisie in Venezuela setzt auf eine systematische Kampagne zur Sabotage der venezolanischen Ökonomie. Die Engpässe bei gewissen Produkten sind Ernst und die Inflation liegt mittlerweile bei 19%. Die Massen sind loyal zur Revolution, doch sie werden diese Situation nicht ewig akzeptieren. Früher oder spatter muss es eine Lösung für dieses Problem geben. Chávez hat wichtige Schritte vorwärts unternommen, doch er zögert noch immer bei einigen grundlegenden Fragen wie jener der Armee. Der Ausgang dieses Prozesses ist alles andere als klar.
Für die Massen ist die Frage des Sozialismus und der Revolution keine abstrakte Frage sondern äußerst konkret. Die ArbeiterInnen und BäuerInnen in Venezuela waren bis jetzt äußerst loyal zur Revolution. Sie haben ein hohes Maß an revolutionärer Reife, Kampfes- und Opferbereittschaft an den Tag gelegt. Doch wenn sich diese Situation allzu lange hinzieht ohne dass es zu einem entscheidenden Bruch kommt, dann werden die Massen ermüden. Beginnend mit den rückständigsten Schichten wird eine Stimmung der Apathie und des Skeptizismus sich breit machen.
Wenn kein klares Ende in Sicht ist, werden sie zu sagen beginnen: wir haben all diese Reden schon einmal gehört, aber nichts grundlegendes hat sich geändert. Wozu sollen wir dann auf die Straße gehen und demonstrieren? Wozu sollen wir wählen gehen, wenn wir ohnedies so leben müssen wie zuvor auch? Das ist die größte Gefahr für die Revolution. Wenn die Reaktion sieht, dass die revolutionäre Welle ausebbt, dann wird sie in die Gegenoffensive gehen. Die fortgeschrittensten Schichten unter den ArbeiterInnen werden zusehends isloiert sein und die Massen werden ihren Aufrufen nicht mehr folgen. Wenn dieser Punkt erreicht ist, dann wird die Konterrevolution zuschlagen.
Jene, die argumentieren, dass die Revolution bereits zu weit gegangen sei und dass die Enteignungen jetzt gestoppt gehören und ein Kompromiss mit Baduel gefunden werden müsse um die Revolution zu retten, liegen völlig falsch. Der Grund, warum ein Teil der Massen zusehends desillusioniert ist, ist nicht, dass die Revolution zu schnell unterwegs ist sondern weil sie zu langsam und nicht weit genug gegangen ist.
MarxistInnen und Wahlen
MarxistInnen lehnen die Teilnahme an Wahlen nicht ab. Das ist die Position des Anarchismus aber nicht des Marxismus. Im Allgemeinen muss die ArbeiterInnenklasse jedes demokratische Mittel, das ihr zur Verfügung steht, nutzen um die eigenen Kräfte zu sammeln und eine Position nach der anderen vom Klassenfeind zu erobern und die Eroberung der Macht vorzubereiten.
Der Kampf auf der Wahlebene hat in Venezuela eine wichtige Rolle bei der Vereinigung, Organisierung und Mobilisierung der Massen gespielt. Doch dies hat seine Grenzen. Der Klassenkampf kann nicht auf abstrakte Statistiken oder Wahlarithmetik reduziert werden. Das Schicksal einer Revolution wird nicht durch Gesetze oder Verfassungen vorherbestimmt. Revolutionen werden nicht in Anwaltskanzleien oder in Parlamentsdebatten gewonnen oder verloren, sondern in den Fabriken, den Dörfern, den Armenvierteln, den Schulen und Kasernen.
Selbst nach der Niederlage im Referendum hätte Chávez genügend Macht den Großgrundbesitz, die Banken und das Kapital zu enteignen. Er verfügt über die Kontrolle über die Nationalversammlung und er genießt die Unterstützung der entscheidenden Sektoren der venezolanischen Gesellschaft. Ein Ermächtigungsgesetz zur Enteignung des Großgrundbesitzes, der Banken und der großen privaten Unternehmen würde enthusiastische Unterstützung seitens der Massen auslösen.
Das hohe Ausmaß an Wahlenthaltung, welches der Opposition diesen knappen Sieg ermöglichte, ist eine deutliche Warnung. Die Massen verlangen entschiedene Taten nicht Worte! Diese Niederlage wird daher ihren gegenteiligen Effekt haben. Es kann die revolutionären Massenkämpfe auf ein neues Niveau heben. Marx meinte einst, die Revolution benötige oft die Peitsche der Konterrevolution. Und wir haben dies in den vergangenen neun Jahren in Venezuela mehrfach gesehen.
Der Sieg des "Nein" im Verfassungsreferendum kann die Wirkung eines heilsamen Schocks haben. Die chavistische Basis ist verärgert und gibt der Bürokratie zurecht die Schuld an diesem Rückschlag. Sie verlangt Taten, um die Bewegung von rechten Elementen zu säubern.
Wir müssen die Revolution konkret durch all ihre Stadien verfolgen, wir brauchen alle Fakten und Zahlen, wir müssen uns aktiv an allen Debatten beteiligen und wir müssen eine führende Rolle beim Aufbau der neuen sozialistischen Partei, der PSUV, spielen. Doch wir müssen dies als ihr marxistischer Flügel tun, wir müssen klar als Strömung von den anderen Kräften in der Bewegung unterscheiden.
Wir haben einiges an Zeit, aber nicht unendlich viel Zeit. Wir müssen unsere eigenen Kräfte aufbauen. Auf diesem Weg haben wir schon viel erreicht, doch es muss noch viel, sehr viel mehr getan werden. Der Schlüssel zur Revolution liegt im Aufbau einer starken Kaderorganisation in kürzestmöglicher Zeit.
Der subjektive Faktor
Das Hauptproblem liegt in der Schwäche des subjektiven Faktors. Die vergangenen zwei bis drei Jahrzehnte haben die reformistische Degeneration der Führungen der ArbeiterInnenklasse besiegelt. Dies gilt sowohl für die politischen Parteien wie auch für die Gewerkschaften. Wir sehen die schreckliche Degeneration der Sozialdemokratie in Form des Blairismus in Britannien. Noch ärger ist das Verhalten der StalinistInnen in Italien, die es mit der Gründung der Demokratischen Partei geschafft haben, die Überbleibsel der Kommunistischen Partei Italiens (KPI) in eine bürgerliche Partei zu verwandeln.
Es ist schon eine Ironie der Geschichte, dass die italienischen StalinistInnen das geschafft haben, woran Tony Blair in Britannien gescheitert ist. Doch wie schon Lenin sagte, kennt die Geschichte alle noch so erdenklich eigenartigen Umwälzungen! Lenin sagte dies zu einer Zeit, als eine Fraktion der russischen Bourgeoisie rund um Ustryalov die Vorhersage traf, dass die Bolschewistische Partei zu einem Instrument der kapitalistischen Konterrevolution in Russland werden könnte. Lenin gestand damals ein, dass diese These von Ustryalov möglich wäre und dass selbst die Bolschewistische Partei unter bestimmten Bedingungen in eine bürgerliche Partei verwandelt werden könnte, welche die kapitalistische Restauration in Russland umsetzen könnte. In der Tat, wenn sich Bucharins Fraktion durchgesetzt hätte, dann hätte dies bereits 1928-9 passieren können.
Die ex-kommunistische Partei Italiens (die Linksdemokraten, DS) war natürlich nicht zu vergleichen mit der Bolschewistischen Partei unter Lenin! Diese Partei hatte nichts gemein mit einer Kommunistischen Partei, nicht einmal in ihrer Karrikaturform, wie sie die alte stalinistische KPI der 1940er Jahre darstellte. Die Linksdemokraten war nicht mehr als die Karrikatur einer sozialdemokratischen Partei, welche eine Politik der Klassenzusammenarbeit vertrat. Die Tatsache, dass sie sich selbst „Kommunistische Partei" nannte, hatte nichts mit ihrer tatsächlichen Beschafftheit zu tun. Die gegenwärtige Entwicklung sollte daher auch niemand überraschen. Sie ist nicht aus heiterem Himmel aufgetaucht, sondern nur die logische Schlussfolgerung von Jahrzehnten der reformistischen Degeneration, welche mit Togliatti begann, von Berlinguer („der historische Kompromiss") fortgesetzt und nun von Veltroni vollendet wurde. Somit hat die Geschichte an den italienischen StalinistInnen Rache genommen.
Trotz der erschreckenden Degeneration der Massenorganisationen können diese noch immer eine enorme Macht über die ArbeiterInnen ausüben. Alle Anstrengungen linksradikaler Sekten neue „Massenparteien" in Opposition zu den traditionellen Organisationen zu schaffen, sind kläglich gescheitert. In Britannien haben die Sekten trotz der verheerenden Verbrechen von Blair und New Labour keinen Boden gewinnen können, erleiden eine Spaltung nach der anderen und stecken in der Krise. In Frankreich, wo es drei große pseudo-trotzkistische Sekten gibt, haben sie sogar an Boden verloren. In Belgien scheiterten alle Versuche der Sekten eine „neue ArbeiterInnenpartei" aufzubauen. In Australien wurden die Sekten völlig vom überwältigenden Wahlsieg der Labour Party am falschen Fuß erwischt.
Im Fall von Venezuela liegt die Sache noch klarer auf der Hand. Es gibt keinen Grund die allgemeine Analyse zur Venezolanischen Revolution hier noch mal zu wiederholen. Doch die Schaffung der PSUV mit einer Gesamtmitgliederzahl von mehr als 5 Millionen Menschen ist ein Zeichen für die Herangehensweise der Massen zur Revolution und zu Chávez. Wir waren die einzigen, die imstande waren die reale Bewegung der Massen in Venezuela zu verstehen und darin zu intervenieren. Diese Bewegung ist nicht am Ende, ist jetzt aber einem kritischen Punkt angelangt. Doch die Massen haben gezeigt, dass sie das wollen, was wir auch wollen. Sie ziehen aus ihren Erfahrungen Schlüsse und diese Schlussfolgerungen sind korrekt. Das ist der Grund, warum unmittelbar nach der Niederlage im Referendum zur Verfassungsreform die Losung erhoben wurde, man müsse die Bewegung von der Bürokratie säubern. Das zeigt, dass die venezolanischen MarxistInnen der CMR die Psychologie der Massen antizipiert haben und die relevanten und zeitgemäßen Losungen vorzubringen.
Bauen wir die revolutionäre Tendenz auf!
Bauen wir die Marxistische Internationale auf!
[...] jene Strömung, welche gemeinsam mit der Revolution aufwächst, welche imstande ist ihr eigenes Morgen und Übermorgen vorherzusehen, welche sich klare Ziele steckt und weiß wie diese zu erreichen sind." (Trotzki, Die ersten 5 Jahre der Kommunistischen Internationale, Band 1, Über die Politik der KAPD.)
Ted Grant erklärte Zeit seines Lebens, dass sich die MarxistInnen immer auf die Grundlagen und nicht auf das eine oder andere zufällige Merkmal stützen müssen. Es gibt keine Schemata, die alles zu erklären vermögen. Wir müssen als Ansatzpunkt die Welt, den Klassenkampf und die ArbeiterInnenbewegung nehmen wie sie sind. Überall hat der Prozess einen anhaltenden und sich hinziehenden Charakter angenommen. Diese Tatsache kann auf GenossInnen, welche die Theorien und Methoden des Marxismus nicht verinnerlicht haben, einen sehr desorientierenden Effekt haben.
Das war in der Vergangenheit nicht der Fall, als sich eine vorrevolutionäre Situation rasch in Richtung Revolution oder Konterrevolution entwickelte. Jetzt haben wir eine Art Revolution in Zeitlupe in Venezuela, die schon rund 10 Jahre andauert. Warum? Das Kräfteverhältnis zwischen den Klassen ist sehr günstig. Die ArbeiterInnen könnten relativ leicht die Macht übernehmen. Doch es fehlt ihnen an einer Führung. Chávez ist ein ehrlich und mutig, aber er ist kein Marxist und hat daher auch nicht das gemacht, was es zu tun gilt. Wir haben es mit einer Frage der Führung zu tun.
Wenn es in Venezuela schon vor dem Beginn der Revolution eine starke marxistische Strömung gegeben hätte, dann hätte sie eine wichtige Rolle dabei spielen können, geduldig zu erklären, was jetzt notwendig wäre. Das hätte der Avantgarde (und Chavez selbst) geholfen, auf jeder Stufe der Bewegung zu den richtigen Schlussfolgerungen zu kommen. Mangels einer solchen geschulten marxistischen Führung muss die revolutionäre Avantgarde erst schmerzhaft langsam durch einen Prozess der allmählichen Annäherung lernen. Das Problem liegt darin, dass es in einer revolutionären Situation nicht genügend Zeit gibt, um nach dieser Methode zu lernen, und Fehler werden meist mit einem hohen Preis bezahlt.
In Mexiko wie in Venezuela ist die Bourgeoisie noch nicht stark genug, um die revolutionäre Bewegung zu zerschlagen, doch die ArbeiterInnen werden von ihrer Führung daran gehindert die Macht zu übernehmen. Dies erklärt auch den prolongierten Charakter des Prozesses. Doch früher oder später muss es zu einer Entscheidung kommen. Das verstehen auch die ImperialistInnen. Sie wissen, dass die gegenwärtige instabile Kräftekonstellation nicht dauerhaft aufrechterhalten werden kann. Und sie bereiten sich dementsprechend vor.
Wir haben darauf hingewiesen, dass man eine Perspektive der Weltwirtschaft nicht auf der Entwicklung der Weltwirtschaft in den letzten 20 Jahren erarbeiten kann. Genauso wenig kann man davon ausgehen, dass bürgerliche Demokratien für immer in Europa, den USA, Japan und den anderen entwickelten kapitalistischen Ländern die Norm sein wird.
Die Massen können nur durch Erfahrungen lernen. Die ArbeiterInnen in den entwickelten kapitalistischen Ländern haben sich an einen anständigen Lebensstandard, Reformen und Demokratie gewöhnt. Ihre Psychologie wird noch mehr von der Vergangenheit als von der Gegenwart und der Zukunft bestimmt. Mächtige Illusionen wurden über die letzten Jahrzehnte aufgebaut. Es wird schon große Erschütterungen benötigen, um diese aus dem Bewusstsein der Massen zu verdrängen.
In der turbulenten Periode, an deren Anfang wir nun stehen, werden wir Zeugen großer Schocks und Krisen werden, welche die Gesellschaft in einem Land nach dem anderen erschüttern werden. Klassenbewusstsein lässt sich nicht nur anhand von Streikzahlen messen. Wir müssen die Bewegung der ArbeiterInnen aufmerksam durch all ihre Phasen verfolgen. Wenn die ArbeiterInnen auf der ökonomischen Ebene kein Vorwärtskommen sehen, dann werden sie es auf der politischen Ebene versuchen und umgekehrt. Doch sie werden sich dabei nur durch ihre traditionellen Massenorganisationen ausdrücken. Denn die Massen verstehen kleine Gruppen nicht, selbst wenn deren Ideen noch so korrekt sind.
Ab einem gewissen Punkt muss dieser Prozess einen Ausdruck in den traditionellen Massenorganisationen der ArbeiterInnenklasse finden. Es ist schwer vorzustellen, dass eine Führung noch verrotteter sein könnte als jene der britischen Labour Party. In den letzten zehn Jahren haben alle Sekten emsig daran gearbeitet, Wahlbündnisse und Allianzen als Alternative zur Labour Party aufzubauen. Ihrer Logik zufolge sollten diese neuen Formationen die „verbürgerlichte" Labour Party ersetzen. Doch all diese Projekte endeten im Nichts. Wenn sich die ArbeiterInnen bewegen, dann tun sie dies durch ihre traditionellen Massenorganisationen.
Das hat sich einmal mehr bestätigt durch die Wahlen in Australien und noch mehr in Belgien, wo der Kandidat der Linken, der Marxist Erik De Bruyn, bei den Wahlen zum Vorsitz der Sozialistischen Partei ein Drittel der Stimmen erhielt. Dieses Ergebnis schockte die Rechte und in den Medien wurde darüber groß berichtet. Was dabei entscheidend ist, ist, dass die SP tot zu sein schien. Es gab kein internes Parteileben mehr. Die Stadtpartei von Antwerpen traf sich einmal im Jahr. Doch als die ArbeiterInnen sahen, dass es einen Kampf gegen den rechten Flügel gab, beteiligten sich etliche und gaben ihre Stimme ab. Derselbe Prozess wird in der Zukunft in einem Land nach dem anderen zu beobachten sein.
Anders als die linksradikalen Sekten, die eine leblose und schematische Methode haben, gehen wir an die ArbeiterInnenbewegung immer dialektisch heran. Wir sehen die Dinge wie sie sind, wie sie waren und bemühen uns zu verstehen, wie sie sich entwickeln werden. Wenn die Massen nicht aktiv sind, erhöht sich der Druck auf die Massenorganisationen seitens der Bourgeoisie umso mehr. Doch wenn die ArbeiterInnen sich zu bewegen beginnen, werden sie sich immer zuerst an die Massenorganisationen wenden, aus dem einfachen Grund, dass es keine Alternative gibt.
Es gibt eine Vielzahl von Analogien zwischen dem Klassenkampf und Krieg. In Kriegen wird auch nicht ständig gekämpft. Jeder Soldat wird einem erzählen können, dass auch in einem Krieg Schlachten die Ausnahme sind, und dass es dazwischen längere Phasen der Inaktivität gibt. Solche Phasen müssen dazu genutzt werden, um die Waffen zu reinigen, Schützengräben auszuheben, neue Rekruten auszubilden, kurzum es geht darum, sich auf künftige Schlachten vorzubereiten, die früher kommen können als man denkt. Wir müssen dabei wie gute Soldaten vorgehen. Wir müssen die Pausen im Klassenkampf nutzen, um unsere Kräfte zu formieren und unsere Organisation zu stärken.
Die ArbeiterInnen sind nicht immer zum Kampf bereit, das stimmt. Der Klassenkampf hat seinen eigenen Rhythmus. Auch im Klassenkampf kommt es zu Phasen der Ebbe, das ist unvermeidlich. Außerdem ist es nicht unbedingt vorteilhaft für uns, wenn die Massen ständig in Bewegung sind. Nehmen wir nur das Beispiel Bolivien, wo die ArbeiterInnenklasse innerhalb von 18 Monaten mit zwei Generalstreiks und zwei Aufständen zwei Regierungen zu Sturz brachte. Was kann man mehr von der ArbeiterInnenklasse verlangen? Wenn die bolivianischen ArbeiterInnen nicht die Macht übernommen haben, ist dies nicht auf das niedrige Bewusstsein der Massen zurückzuführen, wie ReformistInnen vom Schlage eines Heinz Dieterich zu meinen glauben, sondern es ist eine Frage der fehlenden Führung.
Aus historischen Gründen hat die genuine Tendenz des revolutionären Marxismus weltweit schwere Rückschläge erleiden müssen. Zu einem guten Teil spiegelt dies die objektiven Bedingungen wider. Über eine ganze historische Epoche (1945-74) hinweg war der Kapitalismus zumindest in den industrialisierten Ländern von einem großen Wirtschaftsaufschwung, einer langen Periode der Vollbeschäftigung, wachsender Lebensstandards und Reformen gekennzeichnet. Selbst mit einer korrekten Führung wäre die Vierte Internationale damals vor großen Schwierigkeiten gestanden. Doch mit einer Führung von Epigonen Trotzkis wurde die Bewegung unter diesen Bedingungen völlig zerstört.
In Kriegen kann es oft notwendig sein, einen Rückzug anzutreten. Die Bedeutung guter Generäle kommt bei Rückzügen noch mehr zur Geltung als bei Offensiven. Mit guten Generälen ist es möglich sich geordnet zurückzuziehen und dabei die Kräfte zusammenzuhalten und die Verluste gering zu halten. Doch schlechte Generäle werden einen Rückzug in eine Niederlage verwandeln. Das passierte der Vierten Internationale nach dem Tod von Trotzki. Pablo, Mandel, Healy, Lambert, Cannon und Hanson haben alle zu diesem Debakel beigetragen. Die Sekten haben in der Folge eine Spaltung nach der anderen hinnehmen müssen und sind nun in einem Prozess der fortgeschrittenen und nicht mehr rückgängig zu machenden Auflösung.
Dank der unermüdlichen theoretischen Arbeit von Genossen Ted Grant konnte sich unsere Tendenz unter den neuen Bedingungen neu orientieren sowie Kader, Programm, Methoden und Traditionen des Trotzkismus bewahren. Heute ist die IMT die einzige Erbin dieser Traditionen. Auf dieser Grundlage und trotz aller Schwierigkeiten und Rückschläge gelang es uns die Kräfte des genuinen Marxismus-Leninismus (Trotzkismus) neu aufzubauen und dabei die besten Elemente der ArbeiterInnenavantgarde und der Jugend von anderen Strömungen anzuziehen. Brasilien ist nur das jüngste und beste Beispiel dafür.
Wir stehen heute in einem fruchtbaren Dialog mit der revolutionären Avantgarde in Venezuela, mit kubanischen RevolutionärInnen, mit sozialistischen RepublikanerInnen in Irland und KommunistInnen und KlassenkämpferInnen in vielen anderen Ländern. In Pakistan, Spanien, Italien und Mexiko verfügen wir bereits über die Basis für den Aufbau von Massenströmungen. In Venezuela sind wir aktiver Bestandteil der Revolution und ziehen die besten KämpferInnen durch unsere Arbeit in den besetzten Betrieben, der PSUV und der Jugend an. In Brasilien gibt es für die marxistische Strömung in der PT ein enormes Potential.
Es stimmt, dass wir selbst in der Linken eine Minderheit darstellen. Doch wie der alte Engels einst sagte: „Marx und ich, wir waren unser ganzes Leben lang in der Minderheit, und wir waren stolz darauf." Doch wir leben in einer geschichtlichen Epoche, wo große Umwälzungen auf der Tagesordnung stehen, und wo Minderheiten sehr schnell Mehrheiten werden können. Wir leben nicht in einer langen Periode organischen Wachstums des Kapitalismus sondern in einer Periode von Erschütterungen und Turbulenzen weltweit. Diese Ansicht vertritt sogar ein Alan Greenspan! Selbst in einem Boom haben sich die Lebensbedingungen der Massen überall verschlechtert. Was wird erst in einer Rezession passieren?
In allen Ländern kann sich die Lage sehr schnell umdrehen. Wir müssen darauf vorbereitet sein, damit wir nicht von den Ereignissen überrascht werden. Etwas, das völlig trivial zu sein scheint, kann eine Bewegung auslösen, die uns völlig am falschen Fuß erwischt. Wie wir aus der Geschichte wissen, können unter bestimmten Bedingungen vormals sehr rückständige Elemente plötzlich eine große Militanz entwickeln. In Russland im Jahre 1905 organisierten die ArbeiterInnen einen friedlichen Marsch, um dem Zaren eine Petition mit der Bitte um Reformen zu überreichen. An der Spitze dieser friedlichen Demonstration stand ein Priester - Vater Gapon. Die MarxistInnen waren damals eine kleine Minderheit, die von der ArbeiterInnenklasse völlig isoliert war. Nach dem Massaker vom 9. Jänner hat sich das Bewusstsein der Massen binnen 24 Stunden völlig transformiert.
Schon heute sehen wir bedeutende Veränderungen in der Psychologie der Massen. Als Bush zum zweiten Mal gewählt wurde, zogen viele daraus völlig pessimistische Schlüsse. Wir sagten damals voraus, dass er als der unpopulärste Präsident in die Geschichte der USA eingehen wird. Von seiner einstigen Popularität ist nichts mehr übrig. Besonders bezeichnend ist, wie er unter den 42 Millionen Latinos in den USA an Boden verloren hat. Dies ist heute die größte ethnische Minderheit in den USA und Lateinamerikas viertgrößte „Nation". Eine Umfrage im Januar 2007 seitens des Pew Hispanic Center, einer Gruppe mit Sitz in Washington, ergab, dass 66% der Latinos in den USA den schnellstmöglichen Rückzug der US-Truppen bevorzugen würden, vor zwei Jahren waren es nur 51%.
Revolutionäre Entwicklungen in Lateinamerika werden sich schnell über die migrantischen Communities und speziell der Jugend in den USA ausbreiten. Die Massenproteste der lateinamerikanischen EinwandererInnen in den USA zeigt, dass es in diesem bedeutenden Sektor der Gesellschaft gärt. Armut, niedrige Löhne, rassistische Diskriminierung, Polizeigewalt, ungerechte Gesetze, der Irakkrieg, wo Schwarze und Latinos überproportional zu den Opfern beitragen - all diese Faktoren zusammen bereiten einen guten Nährboden für die Verbreitung revolutionärer Ideen auf.
In Britannien hat unsere Tendenz (Militant) in der Vergangenheit nach Jahren der geduldigen Arbeit in den Gewerkschaften und der Labour Party wichtige Erfolge feiern können. Das war ein echtes Modell, wie revolutionäre Arbeit organisiert werden sollte. Unter der Führung von Ted Grant kombinierten wir eine konsequente Haltung gegenüber marxistischer Theorie mit einer systematischen Arbeit in den Massenorganisationen der ArbeiterInnenklasse. Dies ermöglichte es uns die größte und erfolgreichste trotzkistische Organisation seit der Linken Opposition in Russland aufzubauen. Leider wurde dieser große Erfolg durch kriminelle Abenteuer vernichtet. Doch was wir in der Vergangenheit geschafft haben, können und werden wir auch in der Zukunft in Britannien und international erreichen.
Wir brauen unsere Organisation auf einer soliden Grundlage, mit Ideen und Methoden, die sich immer und immer wieder als überlegen erwiesen haben. Doch korrekte Ideen sind nicht genug beim Aufbau einer Massenströmung mit Wurzeln in der ArbeiterInnenklasse. Dazu bedarf es bestimmter Ereignisse. Ereignisse, Ereignisse und nochmals Ereignisse werden die Gesellschaft und die Massenorganisationen erschüttern. Die alte konservative Psychologie wird durcheinander gewirbelt, und die ArbeiterInnenklasse wird wieder beginnen revolutionäre Schlüsse zu ziehen.
Überall sehen wir das, was Trotzki den Molekularprozess der sozialistischen Revolution nannte, d.h. dass unter der Oberfläche bei den Massen es zu einem Gärungsprozess kommt, der früher oder später an die Oberfläche treten wird. Wir müssen uns darauf vorbereiten und dürfen uns nicht durch die unvermeidliche Ebbe und episodische Entwicklungen ablenken lassen.
Der Schluss aus all dem ist klar: wir ändern unseren Kurs nicht. Wir müssen an unseren Prinzipien, an unserem Programm, unseren Methoden und Perspektiven festhalten, wobei wir gleichzeitig in der Taktik die notwendige Flexibilität an den Tag legen müssen, um die Massen erreichen zu können. Das allein wird letztlich unseren Erfolg möglich machen! Wenn wir Kurs halten und nicht zu viele Fehler machen, ist der Erfolg unserer Tendenz sicher: eine Tendenz, die mit der Revolution wachsen wird, die imstande ist ihr eigenes Morgen vorherzusehen, die sich selbst klare Ziele steckt und weiß wie diese zu erreichen sind.
Niewpoort, 15. Jänner 2008
[*] Diese Zahlen stammen aus der ursprünglichen Version des Dokuments (November 2007). Seither hat Erdöl die 100 $-Grenze und Gold die 900 $-Grenze ereicht. Wir können davon ausgehen, dass dieser Anstieg in den nächsten Monaten weitergehen wird.