Während wir diese Zeilen schreiben, befinden sich die Finanzmärkte in
der Wall Street, New York, der City of London und anderswo in einer
schweren Krise. In gerade mal 24 Stunden gingen zwei der vier größten
US-Investmentbanken Pleite. Lehman Brothers ist nach 158 Jahren nur
mehr Geschichte, 25000 Beschäftigte haben weltweit ihren Job verloren.
Merrill Lynch, die weltweit größte Investmentbank, wurde von der Bank
of America auf Anordnung der US-Finanzbehörden übernommen. Ansonsten
wäre auch Merrill Lynch zusammengebrochen, was wiederum mehrere andere
Banken (man spricht von 15) in den Ruin getrieben hätte.
Dazu muss man noch die Pleite von Bear Stearns im Frühjahr dieses Jahres zählen.
Um das Bild noch abzurunden erklärte die größte
Versicherungsgesellschaft der USA, die AIG, dass sie 40 Mrd. $
benötigt, um der Pleite zu entgehen, und bat die US-Notenbank um einen
Kredit bevor es zu spät ist!
All das passierte nur eine Woche nachdem Fannie Mae und Freddie Mac,
die beiden weltweit größten Hypothekenbanken, nationalisiert werden
mussten, um die US-amerikanischen Häuslbesitzer und die ganze Branche
vor dem Ruin zu retten. Nur so konnte der völlige Zusammenbruch des
Immobilienmarktes abgewandt werden. So griff selbst die Administration
von Präsident Bush zum Mittel der Verstaatlichung!
Wie konnte der Kapitalismus in ein derartiges Schlamassel schlittern?
Die bürgerlichen ÖkonomInnen haben im Grunde keine schlüssige Erklärung
für diese Krise. Einige sagen, es liege an der Gier der Vorstände in
den Banken, die sich in halsbrecherische Investitionen verstiegen haben
und zu viel Kredite an Menschen hergegeben haben, die diese nichts
zurückzahlen können. Andere meinen, die Schuld liege bei der
US-Notenbank und anderen Zentralbanken, weil diese die Zinsraten so
niedrig gehalten haben, was wiederum zu viele Menschen veranlasst habe
Kredite aufzunehmen. Andere sagen, die Zentralbanken hätten bei der
Regulierung der Banken und Investmenthäuser versagt. Mit besseren
Kontrollmechanismen hätte rechtzeitig verhindert werden können, dass
die Finanzgeschäfte nicht mehr mit den nötigen Fonds abgesichert waren.
Doch vielleicht bietet uns die Geschichte des britischen
Reiseunternehmens XL, welches diese Woche Konkurs anmelden musste
(worauf Hunderte ihren Job verloren haben und Tausende nicht mehr an
ihren Urlaubsorten festsaßen), einen Erklärungsansatz dafür, warum
dieser globale Finanz-Tsunami so viele Finanzinstitute hinweg spült.
Der Vorstandsvorsitzende von XL erklärte der Öffentlichkeit unter
Tränen in den Augen, warum sein Unternehmen nun am Ende ist: der
massive Anstieg des Erdölpreises hatte die Kosten des Unternehmens vor
allem für Treibstoff dramatisch ansteigen lassen; als er versuchte
zusätzliche Finanzmittel aufzutreiben, fand er keine Banken, die ihm zu
vernünftigen Konditionen und Zinssätzen einen Kredit gewährt hätten.
Genau darin liegt das Problem. Die Kreditkrise hat mittlerweile ein
Ausmaß erreicht, dass die Banken nicht mehr länger bereit sind, Geld zu
vernünftigen Zinsen an Unternehmen herzuborgen. Unternehmen, die
wirtschaftlich unter Druck geraten, werden so in den Konkurs getrieben
– und da wird im nächsten Jahr noch einiges auf uns zukommen!
Warum sehen sich die Banken nicht mehr imstande weiterhin so großzügig
Kredite zu gewähren? Der Grund ist, dass sie bereits so viel Geld in
den Sand gesetzt haben, weil sie bei den meisten Werten, die sie in den
letzten 5-6 Jahren erworben haben, Abschreibungen machen mussten. Jetzt
müssen sie die Notbremse ziehen und stoppen die Kreditvergabe. Sie
müssen neues Kapital und neue Investoren finden, bevor sie wieder das
Kreditgeschäft ankurbeln können. In der Zwischenzeit verbleiben sie
verängstigt durch die jüngsten Entwicklungen in einer abwartenden
Position. Selbst anderen Banken wollen sie nicht aushelfen. Das ist
auch der Grund, warum Bear Stearns, Lehman, Northern Rock und andere
Pleite gingen – niemand wollte ihnen Geld borgen.
Was sind das für Assets, die so viel an Wert eingebüßt haben? Großteils
handelt es sich um sogenannte hypothekengestützte Wertpapiere. In der
Hochblüte des Immobilienmarktes erhielten Banken und
Immobiliengesellschaften von den Sparern ausreichend Geld, das sie dann
an Menschen weiter verliehen, die ein Eigenheim kaufen wollten.
Einige Banker begannen aber in der Hoffnung auf schnellere und höhere
Profite ein wenig “innvoativer” zu werden. Sie borgten sich von anderen
Banken Finanzmittel aus und leihten diese dann für Hypotheken aus. Vor
allem in den USA und Britannien waren diese Praktiken sehr weit
verbreitet. Ein gutes Beispiel ist Northern Rock, das bis Mitte der
1990er Jahre eine eher verschlafene Immobiliengesellschaft war, die
dann in eine “Bank” mit Shareholdern und einem aggressiven Management
umgebaut wurde, um möglichst hohe Renditen für die Investoren (nicht
die Sparer) rauszuholen.
Doch das war noch lange nicht das Ende der Fahnenstange. Viele Banken
entwickelten einen neuen Trick und verkauften Hypotheken als Bonds und
Wertpapiere an andere Banken und Finanzhäuser. Auf diesem Weg
„diversifizierten“ sie ihre Risken auf andere. Außerdem stampften sie
neue, rechtlich selbständige Unternehmen aus dem Boden, welche all
diese Verbindlichkeiten übernahmen. Das bedeutete, dass sie munter
weiter machen konnten, immer mehr ausborgten, um dieses Geld dann in
Hypothekengeschäfte zu stecken. Bald schon wurden viele Banken, die
ursprünglich genügend Geldmittel hatten, um zumindest 10% ihrer
Schuldscheindarlehen zu decken, so geschwächt, dass sie nur noch 5%
decken konnten, die großen US-Banken gar nur mehr 2%. Der Grad der
Fremdfinanzierung stieg ins Unermessliche und lag nun beim 50fachen des
Geldes, das die Banken tatsächlich zur Deckung von Verlusten zur
Verfügung hatten.
Aber alles kein Problem – der US-Immobilienmarkt florierte ja. Die
Banken borgten Geld her, die Immobilienpreise stiegen, die
Hauseigentümer konnten die Kredite zurückzahlen und noch größere
Kredite aufnehmen. Die Banken vergaben in dieser Phase Kredite sogar an
Menschen, die über kaum ein Einkommen verfügten, in der Hoffnung, dass
die Werte für Eigenheime weiter steigen werden, was wiederum als
Sicherheit für die Kredite galt.
Doch dann drehte sich alles in sein Gegenteil. Ab dem Jahr 2006
begannen die Immobilienpreise langsam zu fallen. Damit sank aber auch
die Fähigkeit vieler Haushalte Kredite zurückzuzahlen. Der
Hypothekenmarkt brach ein. Diese „Assets“ waren plötzlich nichts mehr
wert. Das Risiko war bereits diversifiziert, so dass eine Vielzahl von
Mitspielern hart getroffen wurden, als die Krise ausbrach.
Warum brach der Immobilienmarkt ein? Warum ging der Boom, der immerhin
18 Jahre lang andauerte, nicht weiter? Ich erlaube es mir, eine Antwort
zu geben. Der moderne Kapitalismus funktioniert nach bestimmten
Bewegungsgesetzen. Das wichtigste Bewegungsgesetz des Kapitalismus ist
die Rentabilität.
Wie Marx zeigte, ist die Profitrate der Schlüssel zu Investitionen und
Wachstum in einem kapitalistischen System: Kein Profit, keine
Investitionen, in weiterer Folge kein Einkommen und keine Jobs. Doch
die Rentabilität bewegt sich, wie wir in anderen Texten mehrfach
nachgewiesen haben, in Zyklen: Für eine gewisse Zeit lang wird die
Rentabilität zunehmen, dann geht sie zurück.
Doch der Profitzyklus ist nicht der einzige im Kapitalismus. Es gibt
auch einen Zyklus bei Grundstückspreisen oder im Bauwesen. Der Zyklus
bei Immobilienpreisen scheint durchschnittlich rund 18 Jahre zu dauern.
Der US-amerikanische Ökonom Simon Kuznets entdeckte die Existenz dieses
Zyklus bereits in den 1930ern. Dieser Zyklus geht nicht Hand in Hand
mit dem aus marxistischer Sicht zentralen Profitzyklus. Letzterer ist
ein Produkt der Bewegungsgesetze der kapitalistischen Akkumulation und
geht im produktiven Sektor der Ökonomie vor sich (und damit meinen wir
„produktiv“ im marxistischen Sinn, d.h. der Sektor, in dem es zur
Produktion von Wert kommt).
Im Gegensatz dazu ist der Zyklus bei Immobilien im unproduktiven Sektor
der kapitalistischen Ökonomie wirksam. Der in den produktiven Sektoren
der Ökonomie geschaffene neue Wert und dabei angeeignete Mehrwert wird
von den unproduktiven Sektoren abgeschöpft, wenn die Kapitaleigentümer
ihre Profite und die ArbeiterInnen ihre Löhne ausgeben. Ein großer
Anteil der Konsumausgaben geht in den Bereich Wohnen. Somit spiegelt
der Zyklus bei Immobilienpreisen sehr gut das Ausgabeverhalten von
KapitalistInnen und ArbeiterInnen wider, nicht aber die Profitabilität
des Kapitals.
Aus diesen Gründen haben der Zyklus bei Immobilien ein anderes Timing als der Profitzyklus.
Das massive Ansteigen der Immobilienpreise in den USA wie auch in
anderen Teilen der Welt, stellte eine gewaltige Verschiebung von
Ressourcen in unproductive Sektoren der Ökonomie, wo keine neuen
Profite durch Investitionen in neue Technologien und eine Steigerung
der Arbeitsproduktivität gemacht werden. In der Folge wurde dadurch
vielmehr die Fähigkeit des Kapitalismus in neue Technologien zu
investieren, um das Wirtschaftswachstum anzukurbeln, reduziert. Wir
hatten es mehr oder weniger zur Gänze mit einem Prozess zur Schaffung
fiktiven Kapitals zu tun. Das zeigt sich vor allem an einer Tatsache.
Wenn man die Bewegung der Immobilienpreise von 1991 bis 2006 misst,
dann wird man sehen, dass sich in den USA der Preisindex für diesen
Bereich gemessen am Wert von 1991 verdoppelt hat. Doch die Kosten für
den Bau eines Hauses, einschließlich dem Kauf von Baugrund, waren
überhaupt nicht gestiegen. Die Hauspreise waren also völlig entkoppelt
vom realen Produktionswert eines Hauses. Dieser Markt war somit ein
einzigartiger Bereich für Finanzspekulation. Als dann die Preise für
ein Eigenheim in keiner Relation mehr zu den Einkommen jener Menschen
standen, die diese Häuser kauften, brach der Markt schlussendlich ein.
Der Kapitalismus funktioniert nicht entlang einer steten, aufwärts
strebenden Linie zu immer mehr Fortschritt. Dieses System wird von
einem Zyklus aus Auf- und Abschwüngen beherrscht, und diese Dynamik
kann auch sehr gewaltsame Formen annehmen. Dieser von Chaos und
Anarchie gekennzeichnete Charakter des Kapitalismus findet seine
Entsprechung sowohl im Profitzyklus wie auch im Zyklus auf den
Immobilienmärkten.
Was bedeutet das jetzt alles? Mit größter Wahrscheinlichkeit werden
noch mehr Banken Pleite gehen. Die Finanzmärkte werden so schnell nicht
aus der Krise herauskommen. Wir haben zwar kein Mitleid, wenn reiche
Investoren ihr Geld verlieren, doch es muss uns klar sein, dass im
Finanzdienstleistungsbereich unzählige Arbeitsplätze verloren gehen.
Das sind nicht die Jobs jener an der Spitze, die eigentlich für diese
Krise verantwortlich sind – denn diese haben sich längst abgesichert.
Wir reden von Zehntausenden Beschäftigten, die im Finanzsektor
arbeiteten und nicht zu den Top-Verdienern zählten, ihre Ersparnisse
oft auch noch in Aktien von jenen Instituten investiert haben, bei
denen sie beschäftigt waren, und die jetzt ohne soziale Absicherung
dastehen.
Der Zusammenbruch des Finanzsektors wird international zu einem
ernsthaften Wirtschaftseinbruch führen. Die Anzeichen dafür sehen wir
bereits in den USA, der EU und Japan. Unternehmen werden der Reihe nach
dicht machen, Arbeitslosigkeit und Inflation werden stark ansteigen.
Die Politik steht all dem äußerst hilflos gegenüber. Dies gilt für die
rechtskonservative Adinistration von Bush in den USA wie für die New
Labour-Regierung in London. In gewisser Hinsicht verschließt New Labour
in seiner absoluten Unterordnung unter das Modell einer „freien,
deregulierten Marktwirtschaft“ sogar noch mehr die Augen vor dem wahren
Ausmaß der Krise als es die Republikaner tun. In den USA wurden
Hyopthekenbanken bereits nationalisiert, in Britannien ist die
Regierung einfach nur geschockt und stammelt etwas von der „schwersten
Krise seit 60 Jahren“ daher.
Letztendlich wird der Kapitalismus diese Krise überstehen, außer es
wird der Herrschaft des Kapitals ein bewusstes Ende gesetzt. Eine
Erholung der Ökonomie setzt aber voraus, dass die Rentabilität des
Kapitals wieder hergestellt wird. Dazu müssen jedoch massiv
Arbeitsplätze vernichtet und schwache Unternehmen von den stärkeren
übernommen werden. Diesen Prozess sehen wir bereits im Finanzsektor,
und er wird bald schon die gesamte Wirtschaft erfassen.
Source: Der Funke